Das kann nicht sein!
Ich schaue zu Suse, ob ihr etwas auffällt, aber sie scheint überhaupt nicht zu merken, wer dort auf der Bühne steht und sich langsam entkleidet. Sie grinst nur vor sich hin und nippt ab und zu an ihrem Glas Sekt.
Mein Blick wandert zurück zu dem dritten Stripper. Ich muss mich vergewissern, mich nicht getäuscht zu haben. Aber ich bin mir sicher, mich nicht geirrt zu haben. Auf der Bühne steht tatsächlich Lisas Freund Tom, in voller Größe.
Von wegen Getränke mixen! Der Typ zieht sich vor fremden Frauen aus.
Plötzlich wird mir ganz heiß. Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht schießt, aber nicht, weil mich die Typen vorn auf der Bühne anmachen. Nein, weil ich mich schäme. Ich weiß nur noch nicht, ob für Lisa oder für Tom. In meinem Kopf entsteht eine Frage nach der anderen.
Weiß Lisa davon? Hat sie uns belogen, weil es ihr peinlich ist? Ist das der Grund, warum sie Tom nicht auf der Arbeit besuchen will? Hat sie sich komisch verhalten in der letzten Zeit? Oh Gott, soll ich mit ihr darüber reden? Was ist, wenn sie nichts davon weiß und die Wahrheit erst von mir erfährt?
Ich bin vollkommen durcheinander. Die vielen Fragen quälen mich.
Erneut schaue ich zu Susanne. Sie scheint Tom nicht zu erkennen, obwohl sie ihn auch kennt. Na ja, kennen ist zu viel gesagt. Sie hat ihn zur Ladeneröffnung nur ein einziges Mal gesehen. Womöglich hat sie ihn längst vergessen und weiß deshalb nicht, wer dort vorn steht.
Soll ich Suse davon erzählen? Nein, lieber nicht!, beantworte ich mir die Frage selbst.
Von Mia weiß ich, wie gern sich Susanne verplappert. Sie tut es zwar nicht, um jemanden zu schaden, sondern weil es ihr einfach so rausrutscht. Wenn sie es weiß, erfährt es demnächst Mia und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis es die anderen wissen. So gut, wie Mia sich gerade mit Lisa versteht, wird sie es ihr sicherlich sagen.
Wäre das so verkehrt, wenn Mia es ihr sagt? Dann wäre ich zumindest raus aus der Sache. Oder auch nicht! Lisa wird fragen, woher Mia es weiß! Und dann wird sie Lisa erzählen, ich hätte Tom gesehen.
Mir läuft der Schweiß die Stirn hinunter. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.
Vielleicht wäre es am besten, Tom darauf anzusprechen? Nein, das kann ich nicht! Ich sollte mich da lieber raushalten und so tun, als ob ich nichts davon weiß. Selbst wenn irgendwann einmal herauskommen sollte, dass wir bei einer Show von Tom waren, kann ich immer noch sagen, ich hätte ihn nicht erkannt. Suse weiß doch auch nicht, wer da vorne steht. Also bin ich fein raus aus der Sache.
Mit dieser Entscheidung lehne ich mich entspannt zurück. So langsam normalisieren sich meine Körperfunktionen wieder. Ich kann mich jetzt nach dem Wissen zwar nicht mehr auf die Nummer, die auf der Bühne dargeboten wird, einlassen - die Stripper haben sich schon einen Großteil ihrer Klamotten entledigt, aber das macht nichts. Irgendwann ist die Show vorbei.
Ich muss nur warten, bis Tom und seine Kollegen sich komplett entkleidet haben, dann kann ich endlich hier raus und die Sache vergessen!
»Nein!«, schreit Suse neben mir auf.
Ich zucke vor Schreck zusammen und ahne, was nun passiert. Sie hat Tom erkannt.
Dennoch frage ich gekonnt scheinheilig: »Was ist denn los?«
»Das glaube ich nicht!«
»Was denn?«, versuche ich erneut unwissend zu klingen.
»Der Typ da vorn rechts ist der Mann einer Kundin.«
Der Mann einer Kundin? Das ist Tom, der Freund von Lisa!
Das sage ich natürlich nicht laut. Ich bin mir nicht sicher, was Susanne weiß. Entweder kann sie Tom nicht Lisa zuordnen und erinnert sich nur daran, ihn einmal im Laden gesehen zu haben oder er hat noch eine Frau.
Nein, das kann nicht sein! Wenn Tom noch eine andere haben würde, dann hätte Susanne bei seinem ersten Besuch in der Boutique etwas gesagt, aber das tat sie nicht.
»Echt?«, sage ich.
»Ja, ich bin mir ganz sicher, er war schon einmal bei uns im Laden!«
»Mit oder ohne Frau?«, frage ich vorsichtig.
»Keine Ahnung, ich glaube mit einer Frau. So genau kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Ich weiß nur, ich habe ihn schon einmal bei uns in der Boutique gesehen.«
»Aha.«
»Kennst du ihn etwa auch? Du guckst so komisch!«
Mist! Was soll ich jetzt antworten? Soll ich Suse die Wahrheit sagen oder sie einfach belügen?
Mein Körper fängt fürchterlich an, zu zittern. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Um dieser Situation zu entgehen und Susannes Blick loszuwerden, sage ich schnell: »Keine Ahnung. Bei dem Licht kann ich den Typen so schlecht erkennen!«
»Das Scheinwerferlicht ist doch hell genug. Hast du Probleme mit deinen Augen?«
Nee, ich habe keine Sehschwäche, aber ich kann dir schlecht sagen, wer der Typ ist.
»Ähm, es kann schon sein, dass ich Probleme mit meinen Augen habe«, flunkere ich.
»Na ja, möglicherweise erkennst du ihn nachher, wenn das Licht wieder an ist.«
»Vielleicht.«
»Och menno, nachdem ich nun einen der Typen kenne, kann ich mich nicht mehr so richtig auf die Show konzentrieren. Wie ist es bei dir?«
»Ganz ehrlich! So toll finde ich die Nummer, die die Jungs da vorne abziehen von Anfang an nicht.«
»Warum denn nicht!«
»Ich hatte mir das alles anders vorgestellt.«
»Wie denn?«
»Zum Beispiel hätte ich nicht gedacht, dass wir hier in Reihen sitzen müssen. Mir wäre es lieber gewesen, an einem kleinen Tisch zu sitzen.«
»Aha. Das stört mich weniger.«
»Tja, Geschmäcker sind halt verschieden.«
»Stimmt! Ach, guck mal! Jetzt holen die ein paar Frauen nach vorne. Vielleicht wird das doch noch ein bisschen spaßig.«
»Dann melde dich doch!«
»Nee, um Himmels willen. Das geht mir etwas zu weit!«
»Das musst du ja auch nicht. Es war nur eine Idee!«
»Mmh.«
Puh, ich hoffe, Suse spricht mich nicht noch einmal darauf an, ob ich den dritten Typen kenne. Am liebsten würde ich die Bar verlassen, um dem Thema komplett aus dem Weg zu gehen. Aber wie sollte ich den vorzeitigen Abgang meiner neuen Freundin erklären?
Angespannt warte ich, dass die Stripper endlich fertig werden und wir gehen können. Meine Angst wird immer größer. Jedes Mal, wenn Suse sich bewegt, denke ich, sie spricht mich erneut auf Tom an. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um mir nichts anmerken zu lassen und das Ganze durchzustehen.
4. Kapitel - Marta
Ich steige aus der Dusche und trockne mich ab. In Gedanken bin ich noch in der Bar. Der Schock mit Tom sitzt mir noch in den Knochen. Seit der Ankunft in meiner Wohnung kann ich an nichts anderes denken, als an diesen Abend. Ich hatte mehr Glück als Verstand. Nachdem das Licht anging, waren die Jungs von der Bühne verschwunden, sodass Susanne mich nicht erneut darauf ansprechen konnte, ob ich Tom kenne. Aber ich merkte auf der Heimfahrt, wie arg sie dieses Thema noch beschäftigte. Suse war so ruhig und nachdenklich. Das machte mir ein wenig Sorgen. Ich rechnete jede Sekunde damit, sie könnte mich erneut auf Tom ansprechen. Glücklicherweise passierte