Aloronice. Judith Weber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Judith Weber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844232790
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heraus in ein kleines Tal führte.

      Der Ausblick von der Anhöhe, direkt vorm Eingang zur Höhle, war atemberaubend. Als Claude ihn zum ersten Mal sah, war er vollkommen überwältigt von dem Überfluss an Farben in Aloronice. In der Senke schlängelte sich ein Fluss strahlend blau durch eine üppige Vegetation, einem Regenwald nicht unähnlich. Der Himmel über ihm war von einem ebenso strahlenden Blau. Während die Blüten an den Berghängen zahlreiche Farbtupfer in Gelb und Rot als Kontrapunkte setzten, war am südlichen Ende des Tals eine Stadt in hellstem Weiß zu erkennen. Die Burg Irion, etwas oberhalb der Stadt, rundete das Gesamtbild ab.

      Dies war also nun seine neue Heimat. Hier sollte er die nächsten Monate oder Jahre damit verbringen, all das zu erlernen, was ein Prinz von Aloronice können und wissen musste.

      Es waren dann letztendlich die gesamten letzten drei Jahre gewesen, in denen er lernen musste, die alten Schriftzeichen zu lesen, zu reiten, mit dem Schwert und anderen Waffen zu kämpfen und, was er besonders nervtötend fand, die Hofetikette zu verinnerlichen. Langweilige Tanzschritte, höflichste Konversation und alle Sprachen des Landes standen auf seinem Stundenplan. Er musste lernen, sich angemessen mit den Vertretern des Rates auszutauschen, lernte politische Winkelzüge, wer mit wem konnte und wer nicht und er lernte schnell.

      Richard war die ganze Zeit an seiner Seite geblieben. Auch er war in den strengen Stundenplan mit eingebunden, fast alles übten und probierten sie gemeinsam. Lediglich in Claudes Politikstunden trennten sich ihre Wege. Richard musste in dieser Zeit lernen, wie man Waffen säubert, aus nichts ein Lagerfeuer macht und auch ein wenig Kochen stand für ihn auf dem Stundenplan.

      Ihre liebste gemeinsame Stunde war jedoch das Wandeltraining. Sie hatten gelernt durch bestimmte Gedankenmuster ihren Körper vom Geist zu lösen und sich in ihre Tierkörper umzuwandeln.

      Als es das erste Mal klappte, war Claude sehr erschrocken, wie normal und richtig es sich anfühlte, dass er einen Tierkörper besaß. Sein Großvater war bei dieser ersten Verwandlung dabei gewesen, der ganze Rat war anwesend. Es war von elementarer Bedeutung welches Tier sich bei seiner ersten Wandlung in ihm manifestieren würde. Sollte es kein Raubtier sein, dann wäre die Rechtmäßigkeit seiner Thronfolge in Frage gestellt und der Rat müsste sich ernsthafte Gedanken um einen möglichen anderen Nachfolger von Laurent machen.

      Claude war extrem angespannt. Richard stand neben ihm und schnaufte vernehmlich.

      „Gedanken aus, Gefühle raus", Richard murmelte alle Anweisungen seines Wandlungslehrers immer wieder vor sich hin. Er war zuerst dran, so war es üblich, der Gefährte musste seine Wandlung unmittelbar vor dem Thronfolger vollziehen.

      „Ich wär lieber vor dir dran", Claude flüsterte, „das Warten macht mich ganz wahnsinnig!"

      „Bitte, gerne nach dir", Richards Stimme bekam durch das leichte Knurren, was er zur Einstimmung auf die Umwandlung unentwegt praktizierte, einen merkwürdig weggetretenen Klang.

      „Nichts lieber als das", grinste Claude, „aber ich darf ja nicht und außerdem", sein Grinsen wurde immer breiter, „muss ich doch sehen, wie du dich zum Affen machst!"

      „Pfff! Das würde dir so passen!"

      In den letzten Wochen war diese Bemerkung eine Art Running Gag zwischen ihnen geworden. Sie überlegten beide, in welches Tier sich der jeweils andere wohl verwandeln würde und waren äußerst gespannt auf das tatsächliche Ergebnis.

      Der Rat hatte sich vollständig versammelt und bildete einen Kreis um die beiden jungen Männer.

      „So werden wir jetzt die Wandlung des Gefährten erwarten. Er trete vor." Richard trat vor und verbeugte sich, so wie er es gelernt hatte, vor den Vertretern aller Stämme, die anwesend waren.

      „Er möge beginnen!", Laurent in seiner Robe stand inmitten der Ratsmitglieder, seine herausgehobene Position konnte man nur an der Andersfarbigkeit seines Umhanges erkennen.

      Richard trat vor, sofort begann er sein Knurren zu verstärken. Er fiel in eine Art Trance und in dem Moment, wo Claude dachte, dass Richard gleich in Ohnmacht fallen würde, verdrehte dieser die Augen, fiel auf die Knie und rollte sich dann auf dem Boden zusammen. Seine Gliedmaßen streckten und zogen sich zusammen, in immer schnellerem Wechsel. Durch seine Haut sprossen immer mehr rote Haare, mit einem letzten Aufbäumen war die ursprüngliche Gestalt Richards verschwunden und in der Mitte des Kreises stand ein junger Fuchs. Schnüffelnd, leicht orientierungslos taumelte der Fuchs auf Laurent und die Mitglieder des Rates zu, drehte sich unmittelbar vor ihnen einmal um die eigene Achse und stakste dann mit unsicheren Schritten auf Claude zu, um sich direkt vor dessen Füßen zu Boden zu legen.

      Jetzt war es an Claude.

      „Nun werden wir also die Wandlung des Thronfolgers erwarten. Er möge beweisen, dass er in allem den Anforderungen der Wandlung entspricht und sein Blut das Blut der Herrschenden ist." Laurent hatte gesprochen und Claude trat in die Mitte des Kreises. Der Fuchs wollte folgen, aber Laurent hielt ihn mit einer Handbewegung auf seinem Platz zurück. „Später!", sagte er, „Der Prinz möge beginnen!"

      Claude konzentrierte sich, ein tiefes Knurren kam aus seinem Innersten, es schien ihm als ob die Welt um ihn herum sich langsam auflöste, immer stärker wurde sein Knurren und er fühlte, wie sich seine Arme und Beine immer wieder zusammen krampften. Ihm wurde schwindelig, er musste sich hinlegen und glitt auf den Boden. Heftige Zuckungen rüttelten seinen ganzen Körper durcheinander und er stöhnte auf als seine Finger sich verkürzten, in seinem Kopf dröhnte es und als er schon glaubte den Verstand zu verlieren, bemerkte er, dass sich seine Wahrnehmung langsam wieder auf die Außenwelt umlenkte. Er konnte plötzlich weiter sehen als zuvor und er roch Dinge und Lebewesen, die noch weiter entfernt waren, als er gucken konnte. Er schaute hoch zu Laurent, mühsam erhob er sich und ging ihm entgegen. Schwarze Pfoten kamen in sein Blickfeld, waren das seine? Behutsam setzte er einen Fuß vor den anderen, bis er nur noch wenige Zentimeter vor Laurent stand. Hatte er die Prüfung bestanden? Wie sah er aus? Seine Pfoten erinnerten ihn deutlich an Raubtierfüße, aber an welche?

      Laurents Gesichtszüge entspannten sich. Claude legte sich vor Laurent ab und der Fuchs war sofort an seiner Seite.

      „Mitglieder des Rates", hob Laurent zu sprechen an „ ich stelle euch hiermit meinen legitimen

      Nachfolger vor", er machte eine ausladende, alle Ratsmitglieder einschließende Armbewegung, „seht! Die Regentschaft des Wolfes wird eines Tages abgelöst werden durch Prinz Claude, durch die Regentschaft des schwarzen Panthers!"

      Das alles passierte etwa nach der Hälfte seiner Lehrzeit, so dass ihm und auch Richard nun noch anderthalb Jahre blieben bis zum Abschluss ihrer Ausbildung.

      In diesen anderthalb Jahren waren sie beide so vertraut mit ihrer Tiergestalt geworden, dass es ihnen fast leichter fiel als Fuchs und Panther durch die Gegend zu streifen, als in ihren Menschenkörpern zu agieren. Wie Laurent es vorausgesagt hatte, erwies es sich als äußert nützlich, dass sie beide die Menschenwelt in den ersten achtzehn Jahren ihres Lebens derartig verinnerlicht hatten.

      Als besonders hilfreich erwiesen sich auch ihre häufigen Ausflüge zurück in die Menschenwelt, die jetzt im letzten Ausbildungsjahr sogar auf dem Stundenplan standen.

      „Es ist wichtig", sagte Laurent, „dass ihr euch immer wieder dort oben umseht. Nutzt unser altes Haus als Basisstation und macht einfach das, was andere junge Männer in eurem Alter auch machen würden."

      Anfangs noch zögerlich, genossen sie bald diese Ausflüge in ihr altes Leben zunehmend. Die alten Schulfreunde waren hoch erfreut sie wieder zu sehen und schnell waren alte Verbindungen neu geknüpft. Man hing am Strand ab, feierte Partys und immer wieder gab es auch das ein oder andere Abenteuer mit dem anderen Geschlecht. Sein altes Jugendzimmer erwies sich dabei als äußerst nützlich und so manchen Morgen kam Claude die Treppe nicht allein hinunter. Richard war allerdings auch kein Kind von Traurigkeit und nutzte das vorhandene Gästezimmer auch hin und wieder einmal.

      Obwohl sie Laurent nie erzählt hatten, was sie in der Menschenwelt so trieben, war es Laurent, der Claude eines Tages zur Seite nahm und ihn dabei eindringlich ansah.

      „Es