Aloronice. Judith Weber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Judith Weber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844232790
Скачать книгу
nicht mehr zu denken. „Na toll!" dachte Marie „jetzt stolpere ich hier herum wie so ein Trampeltier, wobei die vermutlich besser für das Laufen im Sand gerüstet sind als ich.

      „Du hast damals plötzlich laut aufgelacht und ich habe gedacht, du drehst mir durch. Erinnerst du dich?" Thea half Maries Gedächtnis auf die Sprünge.

      Stimmt, so war es gewesen, sie hatte lachen müssen, ein wenig schrill vielleicht, leichte Hysterie? Sie war auf der Flucht gewesen, auf der Flucht, vor der viel zu schnell, viel zu intensiven Stimmung. Das hatte sie so nicht geplant. Das war ihr so auch noch nie passiert. Hätte sie nicht losgelassen, hätte sie für nichts mehr garantieren können, es war ihr zu dem Zeitpunkt schon entsetzlich peinlich, wie schnell sie sich hatte bezaubern lassen. Sie hatte sich eingeredet, dass es nur die Stimmung, das Licht, die warme Luft und ihre leichte Übermüdung gewesen sein konnte, was sie so unkontrolliert hatte werden lassen.

      "Danke! Danke Sand, danke, dass du so real dazwischen geplatzt bist!"

      Es war wie ein stummes Gebet gewesen. Auf keinen Fall hatte sie oberflächlich wirken wollen. Er hatte nicht denken sollen, sie wäre leicht zu haben. Sie war kurz davor gewesen, alle ihre Vorsätze zu vergessen und ihn einfach zu küssen. Unglaublich, sie hatte ihn da kaum eine Stunde gekannt.

      Was war damals bloß los mit ihr? Sie war bis dahin immer so beherrscht gewesen, überlegte sich jedes Date zehnmal hin und her, plante jede Verabredung sorgfältig und wog das Für und Wider schon im Vornherein sorgfältig ab.

      Dieses hier hatte sie überrumpelt, ihr keine Luft zum Atmen und Denken gelassen.

      Es war erst ihr zweiter Abend in einem fremden Land und sie war im Begriff gewesen sich Hals über Kopf zu verlieben. Zu verlieben in einen, zugegebenermaßen unglaublich gut aussehenden, aber gänzlich unbekannten jungen Mann. Sie hatte am Meer gestanden, die nackten Füße im Wasser, es war kalt und die Kälte schien ihre Gehirnwindungen wieder zum Arbeiten zu bringen. Ein Blick auf ihre Uhr und sie hatte festgestellt, dass es schon auf Mitternacht zuging. Höchste Zeit ins College zurückzukehren.

      Thea staunte, „Meine Güte, du erinnerst dich wirklich ziemlich genau an diese Geschichte. Ich schaffe das nur, wenn ich mein Tagebuch zur Hilfe nehme." Marie war selbst erstaunt, wie viele Einzelheiten ihr plötzlich wieder eingefallen waren. „Ja, ist schon erstaunlich. Vermutlich ist was dran, dass im Alter das Langzeitgedächtnis besser funktioniert als das Kurzzeitgedächtnis. Ich habe jetzt schon vergessen, was Robert gesagt hat, wann er wieder zurück sein wollte." „Geht mir nicht anders! Aber um noch mal auf deine ursprüngliche Idee zurück zu kommen." „Welche meinst du? Die Kinder zu vertreiben?" „Nein!", Thea lachte, „Ich meine die Idee mit dem ,hier mal raus müssen‘. Ich denke, das ist eine gute Idee und würde mir auch gefallen." „Und wo wollen wir hin?" „Na, nach Frankreich selbstverständlich. Lass uns doch mal sehen, ob wir die alten Bekanntschaften dort nicht ausgraben können. Aber auch wenn nicht, wäre es doch schön mal ein paar Tage in der Sonne zu sitzen und uns verwöhnen zu lassen. Was meinst du?" Marie war ein wenig unbehaglich zumute. Bisher waren es doch nur Spinnereien von ihr gewesen. Sie hatte nicht ernsthaft geplant die Vergangenheit aufleben zu lassen. Thea ließ jedoch nicht locker. „In zwei Monaten sind deine Mädchen weg und dann starten wir für ein, zwei Wochen in den Süden. Da gibt es gar keine Widerrede. Punkt! Und Robert nehmen wir mit, wenn er will, kann er auch seinen Freund Mike einladen. Dann muss er nicht allein mit uns alten Schachteln reisen. Ich lade euch alle ein." Mit dieser letzten Bemerkung wischte Thea jegliche Einwände Maries vom Tisch und stellte das Ganze als bereits beschlossene Tatsache dar. „Du bist unglaublich", Marie freute sich, obwohl sie immer noch Bedenken hatte, „wäre schon schön, Sonne und Meer!" „Gut, abgemacht! Und weißt du was, ich suche mal in meinen

      Tagebüchern. Vielleicht finde ich ja noch die Adresse von diesem Claude. Du schreibst ein paar Zeilen, was du so machst und wie es dir jetzt geht und dann schicken wir das Ganze los und warten ab." „Meinst du wirklich der erinnert sich noch an mich?" „Da bin ich mir sehr sicher!" „Also gut! Ich mach‘s, auch wenn es völlig blödsinnig ist." „Wir schaden ja keinem. Und nun setz dich an deinen Schreibtisch und stoppel ein paar Worte zusammen. Ich schaue heute Abend vorbei und hol den Brief dann ab." Meine Güte, dachte Marie, nun hat Thea es aber eilig! Vermutlich hatte sie recht, wenn sie noch allzu lange darüber nachdachte, würde sie vermutlich der Mut verlassen. „Ist okay, dann bis später!" „Ja, bis später!", sie legten auf.

      Ging ja einfacher als ich dachte, Thea legte den Telefonhörer zufrieden aus der Hand.

      Am besten, ich mach es gleich, bevor mich der Mut wieder verlässt. Marie setzte sich tatsächlich an den Schreibtisch und legte ein weißes, leeres Blatt Papier vor sich auf die Holzplatte. Ihr Blick ging ins Leere und als wäre es gestern gewesen, fielen Marie immer mehr Einzelheiten jener ersten Begegnung ein.

      Sie machte damals einen Schritt auf ihn zu, wie ferngesteuert. Ihre Arme hingen schlaff neben ihrem Körper, sie hatte gar keine andere Möglichkeit gehabt.

      Sie hatte registriert, dass er sich keinen Zentimeter bewegte, noch einen weiteren Schritt und sie hätte direkt vor ihm gestanden. Ihre Augen blickten auf seine Brust, langsam hatte sie den Kopf gehoben, ihm direkt in die Augen gesehen. Schwarze Augen, grüne Augen es schien ihr, als wechselten sie unentwegt die Farbe. Starr unbeweglich standen sie dort, völlig gebannt vom Blick des anderen. Eine Ewigkeit.

      Nur noch einen Schritt, einen winzigen Schritt. Er hatte sich nicht gerührt. Sie hatte keine Wahl gehabt, sie konnte doch gar nicht anders, ihre Füße bewegten sich damals wie von selbst um diesen einen kleinen, fehlenden Schritt zu tun. Er hatte immer noch völlig still gestanden. Sie hatte sich gefragt, ob er überhaupt noch atmete. Sein Atem ging flach, kaum hörbar. Dann hatte er plötzlich tief eingeatmet und langsam, ganz langsam seinen Kopf gesenkt, sein Mund war über ihren Haaransatz geglitten, hatte ganz sacht ihre Stirn berührt und dort verharrt. Sie hatte den Atem angehalten und er schwerer geatmet und sie hatte das Gefühl gehabt, dass er mit sich kämpfte, der leichte Druck auf ihre Stirn hatte nachgelassen. Er hatte seine Lippen gelöst und seinen Kopf ein weiteres kleines, minimales Stück gesenkt. Mit seiner Stirn hatte er die ihre berührt und mit seiner Nase vorsichtig über ihre Nasenwurzel gestrichen, bis sein Mund nur noch Millimeter von ihrem entfernt gewesen war. Ein letzter tiefer Atemzug, er hatte die Arme gehoben, mit seiner rechten Hand ihre Taille umfasst und als er sie an sich zog, mit seiner linken in ihren Nacken gegriffen.

      Sie hatte geglaubt sich einfach in Luft, in Nichts aufzulösen. Doch in diesem Moment hatten Richard und Thea nach ihnen gerufen.

      Mit einer einzigen fließenden Bewegung hatte er sie sofort freigegeben, seine Arme sinken lassen, sich umgedreht und war, zuerst langsam, dann immer schneller auf die Stimmen zugegangen, die ihre Namen gerufen hatten.

      Ohne ein weiteres Wort hatte er sich auf dem Absatz umgedreht und war schnell, fast rannte er schon, über die Strandstraße hinein in das Gewirr der kleinen Straßen gegenüber gelaufen.

      Marie hatte noch immer dort gestanden, wo er sie verlassen hatte.

      Er war gegangen, hatte sie einfach so stehenlassen. Sie hatte es ja geahnt, niemand wollte etwas mit einem Mädchen zu tun haben, das so leicht rumzukriegen war. Zu leichte Beute. Der Zauber war fort gewesen und mit jeder Sekunde die verstrich, war sie wütender und wütender geworden. Das war gut, denn mit der Wut war auch ihre Energie zurückgekehrt. Sie hatte sich wieder bewegen können.

      Thea hatte neben ihr gestanden und sie besorgt gemustert.

      „Marie, geht es dir gut? Meine Güte, du bist ja vollkommen bleich, ist dir schwindelig? Willst du dich setzen?"

      „Grmmmpf" Marie hatte versucht ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen, sich geräuspert und gemerkt wie ihr die Tränen in die Augen schossen, aus Wut aus Trauer? Sie war sich nicht sicher gewesen, auf keinen Fall aber hatte sie weinen wollen. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, noch hatte Richard oben auf der Promenade gestanden und abwechselnd zu ihnen und zur anderen Straßenseite geblickt, wo Claude verschwunden war. Die ganze Situation schien auch ihm völlig rätselhaft gewesen zu sein.

      Sie war die paar Meter zum Meer zurückgelaufen, hatte ihre Schuhe in die Hand genommen und war zur Promenade hinauf gestapft. Sie hatte nur noch weg gewollt.