Er sah auf den Wurf hinunter, ihn beschäftigte die Frage, welche er auswählen sollte. Die mit dem niedlichen Fleck an der Nase, den frechen Kater oder die mit dem fluffigen Fell? Er konnte sich beim besten Willen nicht entscheiden und beschloss, die Auswahl dem Schicksal zu überlassen. Voller Konzentration und mit pochendem Herzen, kniff er die Augenlider fest zu, anschließend bückte er sich und griff mitten hinein in den Wurf. Jetzt hatte er eine fest in der Hand, hob sie hoch und öffnete wieder die Augen. Das Schicksal hatte sich für die niedliche mit dem schwarzen Fleck an der Nase entschieden.
Die Werkbank im Schuppen war ein guter, wenn auch provisorischer Arbeitsplatz. Er hielt das Kätzchen fest mit der Faust umklammert, als ob sie ahnen würde, was auf sie zukam, zappelte sie heftig. Aber er gab nicht nach, das Schicksal hatte es so gewollt. Da das Zappeln nicht aufhörte, eilte er in den Schuppen, setzte sie auf die Werkbank und klemmte das eine Hinterbeinchen im Schraubstock fest. Der Druck der ausgeübt wurde, war gerade so stark, dass sie ihr Pfötchen nicht hinausziehen konnte, es aber auch nicht zerquetscht wurde. Vermutlich tat es ihr doch ziemlich weh, denn sie miaute herzzerreißend.
Mist, das war vielleicht in der Nachbarschaft zu hören! Kurzerhand schnitt er ein Stück Stoff von einem alten Lumpen ab und stopfte es wie einen Knebel in ihr kleines rosa Mäulchen. Drumherum wickelte er noch eine alte Bandage. So, jetzt konnte er endlich loslegen, er nahm das altmodische Rasiermesser zur Hand.
Kapitel 5
Pünktlich traf er am Abend in der schicken, angesagten Cocktailbar in Friedrichshain ein. Sein Magen knurrte fürchterlich und eigentlich wäre er lieber in einem Restaurant eingefallen. Hoffentlich gab es dort auch etwas „Kalorienreiches” zu essen und nicht nur dieses vegane Zeugs, von dem kein Mensch satt wurde.
Schon von weitem erkannte er sie. Unwillkürlich musste er grinsen, als er sie sah. Ihre schlanke Gestalt, das kräftige, braungoldene Haar. Ihre Ausstrahlung war unverkennbar, da hatte ihre Mutter ganze Arbeit geleistet, auch wenn sie alles dafür tat dieser Erziehung und den Erwartungen ihrer Mutter zu entkommen und ihr eigenes Leben zu leben.
„Hi, Ella“, begrüßte er sie.
Sie sprang erfreut vom Tisch auf und umarmte ihn herzlich.
„Toll, dich mal wieder zu sehen, du scheinst ja irrsinnig viel zu arbeiten. Wie viele Bösewichte hat die Staatsanwaltschaft denn in letzter Zeit erwischt? Habt ihr den spektakulären Juwelenraub bei diesem Kuˋdamm Juwelier schon aufgeklärt?”
„Die Bösewichte sind uns immer einen Schritt voraus, sie haben die neuere, bessere Technik. Das neueste I- Phone gegen dieses hier”. Mit einer schnellen Bewegung zog er sein Diensthandy aus der Hosentasche.
„Porsche Turbo gegen VW Passat, Modell 2001.”
Ella fiel vor Lachen fast vom Stuhl, als sie das vorsintflutliche Modell sah, klobig und einfach nur peinlich.
„Immerhin ist es uns gelungen, eine internationale Autoschieberbande auszuheben, das hebt mal wieder die Motivation. Sag, deiner Mutter, dass ihr Luxusschlitten wieder sicher ist”.
Ella gluckste vor Lachen.
„Den klaut doch sowieso keiner, die modernen Kriminellen stehen auf Porsche, Audi und neue Mercedesmodelle, ihr alter Jaguar ist doch von Vorgestern, der kriegt schon bald die Zulassung als Oldtimer.”
„Außerdem ist es unfair“, fuhr sie fort, „wenn ihr nur an die Luxusschlitten der Reichen denkt, was ist denn mit den Taschendieben, die die Touris und die Normalos beklauen? Das kam doch schon groß in den Medien, dass die Polizei diese Sachen nicht mehr verfolgt. Da habt ihr auf ganzer Linie kapituliert.”
Leon grinste ironisch.
„Hilf uns doch bei der Staatsanwaltschaft, die suchen dringend gute Leute.“
„Zu dir ins lindgrüne Verlies nach Moabit ziehen? Nein Danke!", grinste Ella zurück. „Aber sag mal, ich hab da heute so eine groß aufgemachte Story in der Zeitung gelesen, da ging es um einen gruseligen Mord an einem Obdachlosen. Er wurde von seinen Kumpels im Tiergarten in einem Gebüsch gefunden oder einer ihrer Hunde hat ihn aufgestöbert. Angeblich soll die Leiche teilweise verbrannt sein und „Bild” wusste mal wieder mehr als alle anderen zu berichten. Die schrieben schon von einer Mordserie, nur weil die so einen Profiler interviewt haben, der was von Ritualmord gefaselt hat.”
Leon zuckte mit den Schultern,
”Ich bin für Autoschiebereien und organisierte Kriminalität zuständig. Wird sich bald zeigen, ob uns das noch länger beschäftigen wird. Aber erzähl doch mal von deiner neuen Kanzlei, wie läuft es denn so bei dir? Hast du interessante Fälle?“
Spät abends, auf dem Rückweg in ihre Wohnung, grinste Ella glücklich in sich hinein. Das war wirklich ein lustiger Abend gewesen. Leon hatte angeboten, sie nach Hause zu begleiten, aber sie hatte abgelehnt. Erstens hatte sie eine gute S-Bahn Verbindung nach Hause und zweitens wollte sie ihn nicht Nachts in ihre Wohnung bitten, um noch ein Gläschen Wein zu trinken, wer weiß, welche Verwicklungen sich daraus wieder ergeben konnten. Das wollte sie auf keinen Fall riskieren, schließlich gab es da noch den Besitzer der einsamen Herrensocke im Blumentopf!
Kapitel 6
Die Lindenblüten der Straßenbäume verströmten einen schweren, süßen, geradezu betäubenden Duft. Es war ein wunderschöner Sommertag gewesen, nun senkte sich die Abenddämmerung langsam über Berlin-Zehlendorf, die Gaslaternen beleuchteten mit ihrem sanften gelben Schein die Kopfstein gepflasterten Straßen, ein lauwarmer Abendwind wehte ihr ins Gesicht. So liebte sie die Stadt! Entspannt bewegte sie sich durch die Dämmerung, das luftige Sommerkleid bauschte sich leicht in der Abendbrise.
Es war spät geworden in der Kanzlei, aber sie musste unbedingt heute noch diesen Besuch erledigen.
Sie kannte den Weg dorthin noch von ihren vergangenen Besuchen. Nach einigen hundert Metern erreichte sie ein altmodisches, riesiges, schmiedeeisernes Tor mit einer fast unsichtbaren, modernen Gegensprechanlage. Auf einem winzig kleinen Messingschild war eingraviert: Seniorenresidenz „Athene". Nachdem sie sich angemeldet hatte, öffnete sich das Tor langsam, wie von unsichtbarer Hand. Es gab den Blick frei auf eine lange, gewundene, von großen Rhododendronbüschen gesäumte Auffahrt, die in einer parkartigen englischen Gartenanlage mündete. Der Blick auf die Villa war atemberaubend, das von Säulen gesäumte Portal, die Stuckverzierungen, so hatte man noch im 19. Jahrhundert gebaut.
Als Ella das Haupthaus erreichte, konnte sie erkennen, dass dahinter noch einige andere Gebäude lagen. Die Suiten der Seniorenresidenz waren ebenfalls in einer alten Villa aus dem 19. Jahrhundert untergebracht. Die Gebäude hingegen in denen sie die Wirtschaftsgebäude vermutete, waren von ausgesprochen moderner Architektur. Jedoch hatte es der garantiert teure und erstklassige Architekt verstanden, die alte und moderne Architektur miteinander zu versöhnen. Sie war bereits zweimal hier gewesen und konnte ihren Weg jetzt selbständig finden.
Vor einigen Wochen war eine alte Freundin und Mandantin hier eingezogen. Da sie eine alte Freundin ihrer verstorbenen Großmutter gewesen war, hatte sie es schlecht ablehnen können, als die alte Dame sie gebeten hatte, sich um ihre, wie sie es nannte, „bürokratischen Angelegenheiten” zu kümmern.
„Kindchen”, hatte sie damals gesagt. ”Ich mag mich nicht mehr um diesen ganzen Kram kümmern, ich bin zwar geistig noch klar im Kopf, aber ich kann in meinem Alter keinen Computer mehr bedienen und mich um Verträge und Bankgeschäfte kümmern.” Mit diesen Worten hatte sie Ella alles übertragen und die Vollmachten unterschrieben.
Jetzt waren von Zeit zu Zeit persönliche Besuche fällig, um alles Nötige zu besprechen.
Augusta hatte sich einen wunderschönen, privaten Altersruhesitz mit Blick auf den Wannsee ausgesucht, das musste Ella zugeben. In der Nähe sah sie auch die Villa eines traditionsreichen Segelclubs. Einige