„Ich will mir keine teure Renokraft leisten. Unser Büro kann noch kein hohes Gehalt zahlen, wir müssen nehmen, was uns angeboten wird.”, krächzte sie in den Hörer.
„Von wo aus rufst du überhaupt an?”
„Aus dem Büro natürlich, allerdings mit meinem Handy. Als Angestellte kann ich mir Unpünktlichkeit nicht leisten. Du als Chefin kannst natürlich ausschlafen.”, meckerte die Stimme weiter.
„Ich komme so schnell ich kann, die Nacht war kurz.” Vor dem Wegdrücken der Verbindung fiel ihr noch ein zu fragen, „Wo ist er oder sie denn?”
„Schon hier im Büro aufgelaufen. Die Deppen von der Arbeitsagentur haben ihr einen Zettel mit unserer Adresse gleich in die Hand gedrückt!”, meldete ihre Mitarbeiterin.
Für ein paar Sekunden ließ sie sich in die weichen Kissen zurückfallen und starrte an die Decke ihres Schlafzimmers. Die vergangene Nacht war echt anstrengend gewesen, sie hatten eine rauschende Abschiedsparty gefeiert und sie war erst in den frühen Morgenstunden im Bett gelandet. Prompt rächte sich das an diesem Morgen, der entsprechend chaotisch anfing.
Mist, ihr Erinnerungsvermögen war beeinträchtig, ihr fiel auf Anhieb nicht so genau und im Detail ein, was sie letzte Nacht gemacht hatte!
Sie ließ ihren Blick im Schlafzimmer umherschweifen, vielleicht ergaben sich daraus Anhaltspunkte, die ihre Amnesie erklärten. O.K., es sah irgendwie ein wenig wild aus, deutlich unordentlicher als sonst. Ein Kleiderhaufen lag auf den Bodendielen, sie inspizierte ihn gründlich mit den Augen. Definitiv keine fremden Klamotten, nur ihr pailettenbesetztes Cocktailkleid, etwas Seidenunterwäsche von Agent Provocateur und ihre heißesten Pumps aus dem Schuhschrank, irgendein angesagtes italienisches Label, Lackleder, schwindelerregende Absätze. Das ließ irgendwie Rückschlüsse auf eine heftige Party zu. Halb unter dem Bett verborgen kullerte eine leere Champagnerflasche herum. Ella hob die Flasche an, wer hatte den Veuve Cliquot bloß geblecht? Sie oder er?
Aber der einzige sichtbare Beweis für seine nächtliche Anwesenheit, der zurückgeblieben war, war die einsame schwarze Herrensocke im Blumentopf.
„Wie ist die da bloß hingekommen?“, sinnierte Ella.
Sie angelte nach ihrem Wecker, der unter dem Bett stand. Erschrocken fuhr sie auf, „Was, schon 8:00 Uhr?“ Für langes Duschen und Schminken blieb keine Zeit. Der Blick in den Badezimmerspiegel offenbarte wild abstehende Haare und ein müdes Gesicht. Offensichtlich hatte sie jetzt das Alter erlangt, in dem sich mangelnder Schlaf rächte, dabei war sie doch erst Anfang Dreißig, na ja, nicht mehr ganz, sie neigte jetzt schon zur Schönfärberei was ihr Alter betraf.
Ella beeilte sich im Bad und brachte ihr Gesicht mit dieser erst kürzlich erstandenen wunderbaren und auch irrsinnig teuren Gesichtsmaske in Form, die sie extra für solche Zwecke in einer teuren Parfümerie erworben hatte. Die Verkäuferin dort sah super gut aus und Ella hatte ihr glatt geglaubt, als sie die Cremeampullen mit dem Spruch anpries: „Der neueste Schrei auf dem Kosmetikmarkt!“
Nun, jetzt hatte sie den Ernstfall und das Zeug schien zu wirken. Als Make up musste heute ein Lippenstift reichen. Der war ebenfalls brandneu und stammte von selbiger Verkäuferin. Sie hatte den Roseton des Lippenstifts als Allzweckwaffe im Kosmetikschrank gelobt, da musste Ella einfach zugreifen. Allzweckwaffen konnte sie jederzeit gebrauchen! Sie betrat den Schönheitstempel eher selten, nur wenn sie wirklich etwas brauchte. Ihr persönliches Problem: sie mutierte dort grundsätzlich zur Wachspuppe in den Händen der Verkäuferinnen.
Ella baute sich vor ihrem Kleiderschrank auf und riss die Türen auf. Mit geübtem Blick musterte sie den Inhalt und angelte dann ihr Bürokostüm aus dem Schrank. Währenddessen lief der Espresso durch die vollautomatische Maschine. (Superleichte Bedienung - auch für Technikidioten). Mit der Tasse in der einen Hand, das Gebräu in hastigen kleinen Schlückchen genießend, suchte sie mit der freien Hand hastig ihre Sachen zusammen: Umhängetasche, Schlüsselbund und ihre allerneusten Pumps, in die sie sich neulich im Internetshop verliebt hatte. Währenddessen verkündete der Nachrichtensprecher auf Inforadio einen weiteren sonnigen und trockenen Tag.
Im Hinausgehen warf sie einen rundum Blick durch die Wohnung und seufzte laut, die Bude sah einfach unmöglich aus. Der Wäschekorb im Bad quoll über, die Staubflusen tanzten auf den schwarz-weißen Fliesen im Sonnenlicht, die Spinnweben hingen an den Stuckverzierungen der hohen Decken. Die Spinnen brauchten halt auch ihren Lebensraum, fiel ihr als lahme Ausrede noch ein. Der Kühlschrank war gähnend leer, abgesehen von einer Notration pappiger Tiefkühlpizza und einer Packung Käse. Ganz zu schweigen von dem dreckigen Geschirr, das sich in der Küchenspüle stapelte und nur die mikroskopisch kleinen Lebewesen erfreute, die sich dort tummelten und die Woche hatte gerade erst begonnen. Kommendes Wochenende, kommendes Wochenende schwor sie sich, würde sie aufräumen, ach was, einen Großputz würde sie veranstalten.
Kapitel 2
Die schwere Holztür fiel hinter ihr ins Schloss. Auf dem Weg nach unten begegnete sie nur ihrem uralten Nachbarn, der just in dem Moment, als sie seine Wohnungstür passierte, seinen Rollator geschützartig in den Treppenhausflur katapultierte. In letzter Sekunde verhinderte sie einen Zusammenstoß, der garantiert die Spitzen ihrer neuen Pumps ruiniert hätte. Ella flitzte mit einem schnellen Gruß an ihm vorbei, ehe er sie mit seiner üblichen langweiligen Klage über die Zustände in der Welt aufhalten konnte.
Sie überlegte kurz, ob sie es wagen sollte, ihren Mini durch den Stadtverkehr zu steuern, entschied sich aber für die U-Bahn, die war einfach schneller. Nach einer gefühlten Rekordzeit von nur 35 Minuten durch das allmorgendliche Berliner Verkehrschaos landete sie in ihrem Büro.
Ruth kam ihr schon entgegen, ehe Ella ganz die Tür aufgeschlossen hatte. Ihre von Natur aus schon lockigen Haare umwehten ihr Gesicht noch wilder als sonst und ihr schreiend buntes Sommerkleid stach in die Augen. Allen modischen Erziehungsversuchen zum Trotz, kleidete Ruth sich weiterhin äußerst farbenfroh. Atemlos verkündete ihre Mitarbeiterin,
„Die Bewerberin sitzt im Wartezimmer. Da haben wir uns was eingebrockt!”
Ella starrte sie verständnislos an.
”Wo liegt das Problem? Wir brauchen dringend eine neue Mitarbeiterin, du hast dich doch immer über das hohe Arbeitspensum beschwert!”
„Kümmere dich selbst drum, ich hab zu tun”, blaffte Ruth nur und rauschte zu ihrem Schreibtisch.
Ella holte einmal tief Luft, straffte den Rücken und zog den Bauch ein - wieso hatte sie diese komische Angewohnheit nur - und öffnete die Tür zum Wartezimmer.
Das Zimmer war gähnend leer, die Stühle standen in Reih und Glied, die Zeitschriften akkurat auf einem Stapel, die große Zimmerpalme staubig und vertrocknet wie die Sahara. Die Bildzeitung lag zerknittert auf einem Sessel und die riesigen Lettern der heutigen Schlagzeile schrieen ihr förmlich entgegen: „Grausamer Mord an Obdachlosem, Ritualmörder treibt sein Unwesen in Berlin“.
Nur in der hintersten Ecke saß eine zierliche Gestalt, bekleidet mit einem langen, dunklen Mantel und einem eleganten, seidenen Kopftuch. Ella grüßte kurz in ihre Richtung und schloss wieder die Tür.
In Richtung Schreibtisch flüsterte sie:
”Hej, Ruth, wo ist denn die große Überraschung, da drinnen sitzt nur eine neue Mandantin, offensichtlich eine Muslima.”
Ruth hob den Kopf und starrte Ella an. Ihre hellblauen Augen durchbohrten sie wie Stecknadeln. Betont langsam und nuanciert sagte sie:
„Das ist unsere neue Mitarbeiterin, falls du dich nicht noch anders entscheidest!“
Trügerisch lieblich säuselte Ruth:
”Als gläubige Christin liebst du doch den lebendigen Diskurs zwischen den Religionen und im absoluten Multikulti Bezirk