Doppel-Infarkt. Arnulf Meyer-Piening. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arnulf Meyer-Piening
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750261297
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außergewöhnlich attraktiv.“

       „Ihr Europäer habt einen besonderen Geschmack, was Frauen anbetrifft, aber du hast recht, sie ist wirklich eine gut aussehende Frau, sie ähnelt eher einer Philippinin.“

       Frau Tanabe war tatsächlich am nächsten Tag auf die Minute pünktlich. Später gestand sie, dass sie eine halbe Stunde vor dem Park Hotel hin und her gegangen sei, um weder zu früh noch zu spät zu kommen. Sie fragte, was er sehen wolle, er antwortete, dass er sich ihrer Führung anvertrauen wolle, sie solle ihm zeigen, was sie für wichtig halte. Sie schlug vor, mit der U-Bahn zur Ginza zu fahren.

       „Ich kenne dort eine Anzahl kleiner Lokale, die ich Ihnen gerne zeigen möchte. Außerdem können Sie dort gut einkaufen, vielleicht wollen Sie Ihrer Frau etwas mitbringen.“

       Da war die versteckte Frage, auf die er schon gewartet hatte, er wunderte sich nur, dass sie so schnell kam.

       „Mal sehen, wenn ich etwas Passendes finde.“

       ‚Das war also geklärt‘, dachte er und fügte die Gegenfrage hinzu: „Gehen Sie mit Ihrem Mann dort einkaufen?“

       „Eigentlich nie, er hat keine Zeit und auch keine Lust zum Einkaufen“, war die Antwort. Das klang ziemlich distanziert und war auch wohl so gemeint. Schweigend gingen sie den kurzen Weg zur U-Bahn-Station. Automatisch passte er seine Schrittlänge an ihre an, so gingen sie in gleichen Rhythmus.

       Sie nahmen die Marunouchi Line und fuhren die acht Stationen zur Ginza, die zentrale Einkaufsstraße Tokios. Sie gingen eine Weile schweigend an den Schaufenstern entlang, aber sie nahmen die Auslagen nicht wahr, denn sie waren innerlich zu sehr miteinander beschäftigt.

       „Wollen Sie etwas essen oder etwas einkaufen?“ fragte Frau Tanabe unvermittelt.

       „Eigentlich nicht. Ich glaube, ich kann alles auch zu Hause kaufen, was hier angeboten wird.“

       „Aber nicht die Mode, so gute Qualität bekommen Sie nirgends auf der Welt und vor allem nicht zu diesen Preisen“, erwiderte sie.

       „Trotzdem möchte ich jetzt nichts einkaufen.“

       „Haben Sie Kinder?“

       „Ja, drei. Sie sind schon groß: 21, 20 und 17 Jahre.

       „Jungen oder Mädchen?“

       „Zwei Jungen und ein Mädchen.“

       „Sie sind sicher sehr stolz, besonders auf ihre zwei Söhne?“

       „Ja, ich freue mich darüber. Und Sie, haben Sie auch Kinder?

       „Ich habe zwei Kinder, einen Jungen von 8 Jahren und ein Mädchen von 12 Jahren.

       „Merkwürdig, diese Reihenfolge der Aufzählung. Sie ziehen Ihren Jungen vor?“

       „Ja, den liebe ich ganz besonders. Meine Tochter ist mehr wie mein Mann.“

       „Und das heißt?“

       „Sie ist sehr egoistisch.“

       ‚Was sie damit wohl meint‘, dachte Beyer, ‚warum bezeichnet sie ihrem Mann als egoistisch und auch ihre Tochter gleichermaßen?‘ Er hätte sie gerne gefragt, aber er traute sich nicht. Vielleicht würde sich später einmal die Gelegenheit dazu ergeben.

       „Wollen wir nach Yokohama fahren“, lenkte sie schnell ab. „Wir könnten dort eine Fahrt mit einem Schiff machen, da sind nicht so viele Menschen.“

       „Eine ausgezeichnete Idee, ich bin auf oder am Wasser immer glücklich.“

       Sie nahmen die J.R., die Japan Railway Line nach Yokohama. Dort schlenderten sie die Hafenanlagen entlang, bestiegen ein Ausflugsboot und fuhren zur Bay Bridge und auf die Reede, wo hunderte von Schiffen auf das Löschen ihrer Ladung warteten. Sie lehnten an der Reling und sahen auf die Schiffe und den Hafen in der Ferne. Beyers Gedanken schweiften zu seiner Kindheit zurück.

       „Bei uns in Deutschland gibt es heute diesen herrlichen Anblick nicht mehr. Als ich noch ein kleiner Junge war, nahm mich mein Vater oft mit in den Hafen von Bremen. Mir schien dort immer alles sehr groß, es gab so viele Schiffe dort, sie lagen dicht gedrängt an den Kaimauern, alle Krane waren in Bewegung und entluden oder beluden die Frachter, die unsere Stadt mit aller Welt verbanden. Aber heute ist das alles vorbei, es legt dort kein Frachter mehr an, nur noch ein paar Spezialschiffe langweilen sich. Nicht, dass es jemals auch nur im Entferntesten so belebt war wie hier, aber der Ort weckt ein Stück Kindheitserinnerung in mir.“

       „Ich verstehe, was Sie sagen wollen, manchmal steigt eine Erinnerung in einem auf und man fühlt sich in glückliche Kindheitstage versetzt. Das geht mir auch so.“

       „Jetzt zum Beispiel?“

       Sie antwortete nicht, als ob sie die Frage nicht gehört oder verstanden hätte. Als sie wieder am Ponton angelegt hatten, bummelten sie zu dem Restaurantschiff „Rikawa Maru“ – Heimathafen Yokohama.

       „Das Schiff fuhr früher auf der Island-Route, jetzt liegt es auf dem Strand und hatte eine neue Bestimmung erhalten“, erklärte sie.

       ‚Vielleicht finde ich auch eines Tages meine Bestimmung‘, dachte Beyer, aber er wollte seine Gefühle nicht äußern.

       „Wollen wir etwas essen?“ fragte sie nach einer längeren Pause. Sie bestiegen das Schiff und kauften sich ein paar Kleinigkeiten, die ihnen in einer Pappschachtel ausgehändigt wurden. Sie standen an Deck und blickten träumend in die sonnendurchtränkte See.

       „Woran denken Sie?“ unterbrach sie das Schweigen.

       „Ich dachte gerade über mein bisheriges Leben nach, und dass ich es in der Zukunft etwas anders gestalten möchte. Aber ich weiß noch nicht wie.“

       Es entstand eine lange Pause, keiner wusste, was er sagen sollte. Sie fasste vorsichtig seine Hand und nun standen sie Hand in Hand an der Reling uns schauten auf das Wasser und die vorüberfliegenden Möwen.

       „Ich würde gerne einmal um die Welt segeln“, sagte er unvermittelt, „dann könnte ich einen Abstecher nach Japan machen.“

       „Eine gute Idee, dann komme ich Sie auf Ihrem Schiff besuchen.

       „Vielleicht fahren wir dann gemeinsam weiter.“

       „Ich denke, wir sollten so langsam wieder nach Hause fahren“, lenkte sie ab, „ich muss zu meiner Familie zurück.

       In Kanders Büro traf Beyer am nächsten Morgen seinen Kollegen Fukuzawa und Herrn Haziki. Jeder hatte seine Interviews gehabt, und sie waren zufrieden. Es war noch zu früh, ein erstes Fazit zu ziehen, aber der Gesprächsverlauf war positiv gewesen. Die Fragen über die strategische Bedeutung der Informationstechnologien stießen auf großes Interesse. Einige Gesprächspartner der zweiten und dritten Führungsebene wollten sich vor einer endgültigen Antwort noch mit ihren Vorgesetzten abstimmen, andere waren zu einer spontanen Antwort bereit. Zwischenzeitlich war auch die Mailing-Aktion angelaufen. Der Fragebogen war mit dem Computer erstellt und an die ausgewählten Firmen versendet worden. Man hoffte, in etwa einer Woche die ersten Antworten zu erhalten. Auch das DV-Auswerteprogramm war auf die für Japan veränderten Fragebogen angepasst worden.