8.
Vorbereitung zum Eingriff
Professor Sabor kam mit seinem Assistenzarzt und der Stationsschwester zur Visite. Er griff die Krankenakte und studierte sie aufmerksam. Dann kontrollierte er meinen Pulsschlag und betrachtete mein Gesicht.
„Ich glaube, es geht aufwärts. Machen Sie sich keine Sorgen. Sehr viele Menschen bekommen einen Herzinfarkt und leben anschließend wieder vergnügt weiter. Sie werden sehen, auch Sie kriegen wir wieder hin.“
„Was geschieht jetzt mit mir. Muss ich operiert werden?“ fragte ich ängstlich.
„Ich hoffe nicht, das kann ich allerdings erst endgültig sagen, wenn wir eine Herzkatheter-Untersuchung gemacht haben.“
„Wie geschieht der Eingriff?“ wollte ich wissen.
„Wir führen eine Sonde durch die Vene in Ihr Herz ein. Mein Assistenzarzt, Dr. Janke, wird Sie noch mit den Einzelheiten vertraut machen.“
„Ist der Eingriff gefährlich?“ fragte ich besorgt.
„Ich mache das schon seit 15 Jahren, wir sind im diesem Krankenhaus auf solche Eingriffe spezialisiert. In 98% der Fälle verläuft alles ohne Probleme.“
„Und was geschieht mit den restlichen zwei Prozent?“
„Machen Sie sich heute keine Gedanken und schlafen Sie. Wenn Sie können lesen Sie oder sehen Sie fern, wozu Sie auch immer Lust haben. Am besten ist, wenn Sie sich entspannen und an etwas Schönes denken.“
‚Hoffentlich geht das gut‘, dachte ich und machte mir Sorgen. ‚Vielleicht würde der morgige Tag die Wende zum Guten bringen, vielleicht aber auch das Ende. Der Tod bereitete mir eigentlich keine große Sorge, ich hatte ihn schon kennengelernt – oder wenigstens schon mal von Ferne gesehen. Große Angst hatte ich vor einer langen Krankheit und vor allem vor den Folgen eines Schlaganfalls.‘ So lag ich auf dem Rücken, starrte wieder an die Decke und dachte an meine Arbeit. Doch dann gelang es mir einzuschlafen. Der Professor hatte beruhigend auf mich gewirkt. Er strahlte eine souveräne Kompetenz aus. Ich hatte Vertrauen zu ihm.
Der Justizskandal
Die Tage vor der Abreise nach Tokio waren angefüllt mit intensiver Arbeit für Klienten. Zwischen verschiedenen Inlandreisen zu den diversen Berater-Teams war es ihm noch gelungen, einen Termin mit seinem Freund Walter Stein zu arrangieren. Er traf ihn in seinem Haus am Rande von Stuttgart.
„Das ist die größte Schweinerei, die mir jemals zuvor begegnet ist!“ tobte Walter sofort los. „Wir sind da in etwas hineingeraten, wofür wir überhaupt nichts können. Angeblich sei ein Ei angebrütet gewesen, irgendein Saukerl aus unserer Produktion hat das Gesundheitsministerium angerufen und Meldung gemacht. Sie kamen sofort mit der Presse und haben hier Aufnahmen gemacht. Du weißt, dass wir die Eier immer aufgeschlagen in großen Containern geliefert bekommen. Da haben sie dann die Kamera in die Brühe gehalten. Nun sieht die rohe Eiermasse generell nicht gerade appetitlich aus, wenn du das Zeug aber in Großformat zeigst, dann sieht es wie schleimige Kotze aus. So ist das dann über den Sender gegangen und in der Tagespresse abgedruckt worden.“
„Wirklich eine äußerst miese Geschichte“, stimmte ihm Arnim zu.
„Die Reaktion kannst du dir ja vorstellen“, fuhr Walter wütend fort. „Wir haben nur noch Stornos, vor allem von den großen Einkaufsketten, aber auch von den kleinen Läden erhalten wir eine Abbestellung nach der anderen. Keiner bei uns in der Firma traut sich noch, den Hörer abzunehmen.“
„Und was ist wirklich Sache?“
„Nichts! Sicherlich es kommt mal vor, dass ein Ei angebrütet ist, damit ist es aber nicht verdorben. Im weiteren Verarbeitungsprozess wird die betreffende Eiermasse soweit es geht aussortiert, damit ist der Rest gerettet. Natürlich sollte so etwas nicht passieren, die Lieferanten sind vertraglich verpflichtet, nur einwandfreie und frische Ware zu liefern, aber es lässt sich bei der großen Menge auch nicht immer verhindern. Jedenfalls hat es auf die Qualität unsere Produkte überhaupt keinen Einfluss.“
„Und was soll jetzt geschehen?“ Arnim sah seinen Freund aufmerksam an.
„Wir haben gegen die Behörde Klage erhoben, aber der Schaden ist immens. Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll. Wir sind am Ende.“
Walter Stein war mit den Nerven völlig fertig, die Augen lagen tief, denn er hatte in den letzten Tagen wenig geschlafen.
„Die Schadenersatzprozesse werden sich über Jahre hinziehen“, bemerkte Arnim sorgenvoll. „In der Zwischenzeit könnt ihr Konkurs anmelden.“
„So ist es“, fluchte Stein.
„Hast du mal an den Verkauf deiner Firma gedacht?“ fragte Arnim vorsichtig.
„Bisher nie“, du weißt, mein Großvater hat die Firma aufgebaut, mein Vater hat sie zu der heutigen Größe gebracht und ich versuche, sie an die nächste Generation weiterzugeben. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, meine Firma eines Tages zu verkaufen, denn die Firma ist mein Leben.“ Walter schien den Tränen nahe zu sein. „Aber warum fragst du, hast du eine Idee?“
Arnim berichtete von dem Gespräch mit Stones in Chicago.
„Wir könnten ja mal unverbindlich den Kontakt herstellen, wenn du willst.“
Walter war einverstanden.
Tatsächlich kam der Verkauf der Firma ein paar Monate später zustande. Stein gewann später auch den Prozess gegen die Landesregierung, die zu erheblichem Schadenersatz verpflichtet wurde, aber er verließ seine Vaterstadt als innerlich gebrochener Mann. Er konnte die vielen offenen oder versteckten Anfeindungen seiner Mitmenschen nicht verwinden, denen er im Verlauf der gerichtlichen Auseinandersetzung und durch die hämische Berichterstattung in der lokalen Presse ausgeliefert war.
‚Manchmal kann die Presse großen Schaden anrichten, wenn sie auf der Suche nach Sensationen an ungefilterter Schuldzuweisung interessiert ist. Das Ende des Prozesses liest dann niemand mehr, ebenso wenig wie eine Gegendarstellung‘, dachte Beyer, hoffentlich kommst du nie in eine ähnliche Situation.
9.
Sorgenvolles Warten
Tatsächlich gingen meine Gedanken auf Reisen: Was Mikiko wohl machte? Lebte sie noch immer in Japan oder hatte sie den Absprung nach Europa geschafft? Hatte sie ihren Mann verlassen und einen neuen Partner gefunden? Sie war wirklich eine attraktive Frau gewesen, wenn sie jetzt hier gewesen wäre, dann wäre es mir durchaus recht gewesen. Hätte ich sie halten sollen?
Noch immer unschlüssig saß ich am Tisch, es fiel mir schwer, mich zu entscheiden, ja, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Ich wollte nach Hause, wollte allein sein, fürchtete mich aber zugleich davor. Bleibe lieber noch etwas sitzen, es ist weit bis dort oben zu den ersten Häusern. Unterwegs triffst du keinen Menschen. Nein, ich konnte nicht mehr warten. Der Mann da drüben hatte sich schon umgedreht, wenn der mich gesehen hat, wie ich hier so sitze. Besser ich gehe jetzt, dachte ich. Außerdem wollte ich auch keine engere Bekanntschaft machen. Ich spürte, dass dies geschehen würde, wenn sie mich nach Hause brächte. Sie war eine Frau, die sich selbstlos für jeden einsetzen würde, der ihrer Hilfe bedurfte.
Ich sah mich um, niemand kümmerte sich um mich, niemand sah, wie es wirklich um mich stand, auch ich wusste es nicht, ahnte es nicht einmal. Ich musste jetzt aufstehen, musste jetzt den Weg hinaufsteigen, ich würde durch die Felder gehen, ganz langsam, Schritt