Mir war widerwärtig zumute, als ich, müde vom Gehen und von meinen Gedanken, am Abend zwischen sieben und acht Uhr nach dem Semjonowskij Polk wanderte. Es war schon ganz dunkel geworden, und das Wetter hatte sich geändert: es war trocken, aber ein unangenehmer Petersburger Wind, so recht schneidend und scharf, hatte sich erhoben, blies mir in den Rücken und wirbelte ringsumher Staub und Sand auf. Wie viele verdrießliche Gesichter bekam ich bei dem einfachen Volk zu sehen, das eilig von seiner Arbeit und von seinem Gewerbe nach den dürftigen Wohnungen zurückkehrte! Jedem stand seine eigene mürrische Sorge im Gesicht geschrieben, und es war in der ganzen Menge vielleicht kein einziger gemeinsamer, einigender Gedanke zu finden! Krafft hatte recht: ein jeder lebt nur für sich. Ich stieß auf einen kleinen Knaben, so klein, daß man sich wundern mußte, wie er um diese Tageszeit noch allein auf der Straße sein konnte; er schien sich verlaufen zu haben; eine Frau blieb einen Augenblick stehen, um ihn anzuhören, aber da sie ihn nicht verstand, breitete sie ratlos die Arme aus, ging weiter und ließ ihn im Dunkeln allein stehen. Ich trat zu ihm heran, aber er bekam auf einmal vor mir Angst und lief davon. Als ich mich unserer Wohnung näherte, nahm ich mir vor, nie zu Wassin zu gehen. Während ich die Treppe hinaufstieg, empfand ich den lebhaften Wunsch, die Meinigen allein zu Hause zu finden, ohne Wersilow, damit ich vor seiner Ankunft noch zu meiner Mutter oder zu meiner lieben Schwester ein freundliches Wort sagen könnte; mit der letzteren hatte ich einen ganzen Monat lang fast nie ein Wort gesprochen. Es traf sich wirklich so, daß er nicht zu Hause war...
Übrigens: da ich jetzt in meinen »Aufzeichnungen« diese neue Person auf die Bühne bringe (ich rede von Wersilow), so will ich in aller Kürze seinen Lebenslauf vorführen, der übrigens nichts Besonderes darbietet. Ich tue das, damit dem Leser alles noch besser verständlich wird und weil ich nicht vorherzusehen vermag, wo ich diese Biographie im weiteren Verlauf der Erzählung würde einschieben können.
Er studierte auf der Universität, trat dann aber in ein Gardeanariotowa und nahm den Abschied. Er reiste ins Ausland und führte nach seiner Rückkehr in Moskau ein vornehmes, vergnügtes Leben. Nach dem Tod seiner Frau begab er sich auf sein Gut; hier fand die Episode mit meiner Mutter statt. Dann lebte er lange Zeit irgendwo im Süden. Als der Krieg mit den westeuropäischen Mächten ausbrach, trat er wieder ins Militär ein, gelangte aber nicht nach der Krim und kam die ganze Zeit über in kein Gefecht. Nach Beendigung des Krieges nahm er wieder den Abschied und ging ins Ausland, wohin er sogar meine Mutter mitnahm, indes ließ er sie in Königsberg. Die Ärmste hat mir manchmal mit wahrem Entsetzen und mit Kopfschütteln erzählt, wie sie damals dort ein ganzes halbes Jahr mutterseelenallein mit ihrem kleinen Töchterchen gelebt habe, ohne Kenntnis der Sprache, wie verraten und verkauft, und wie ihr zuletzt auch noch das Geld ausgegangen sei. Da war Tatjana Pawlowna hingekommen, hatte sie zurückgeholt und nach irgendeinem Ort im Gouvernement Nischnij Nowgorod gebracht. Darauf übernahm Wersilow eine Stelle als Friedensrichter des ersten Aufgebots und soll sie vorzüglich ausgefüllt haben; aber er gab sie bald wieder auf und beschäftigte sich in Petersburg mit der Führung von allerlei Zivilprozessen. Andronikow stellte seine Fähigkeiten immer sehr hoch, schätzte ihn sehr und sagte nur, er werde aus seinem Charakter nicht klug. Dann gab Wersilow auch diese Tätigkeit auf und reiste wieder ins Ausland, diesmal für längere Zeit, auf mehrere Jahre. Danach bildeten sich besonders enge Beziehungen zwischen ihm und dem alten Fürsten Sokolskij heraus. Während dieser ganzen Zeit änderten sich seine Vermögensverhältnisse zwei- oder dreimal vollständig: bald versank er in größte Armut, bald wurde er auf einmal wieder reich und kam in die Höhe.
Übrigens will ich jetzt, wo ich meine Aufzeichnungen bis zu diesem Punkt geführt habe, mich dazu entschließen, auch »meine Idee« darzulegen. Es ist das erstemal seit ihrer Entstehung, daß ich sie in Worte kleide. Ich entschließe mich, sie sozusagen dem Leser zu enthüllen, und zwar ebenfalls zu besserer Verständlichkeit meiner weiteren Darlegungen. Denn nicht nur für den Leser, sondern auch für mich selbst, den Verfasser, ist es eine schwere Aufgabe, aus den von mir getanen Schritten klug zu werden, wenn nicht vorher erklärt worden ist, was mich zu ihnen geführt und gedrängt hat. Durch diese »Redefigur des Verschweigens« bin ich infolge meiner Ungeschicklichkeit wieder in jene »Finessen« der Romanschriftsteller hineingeraten, die ich oben selbst verspottet habe. Jetzt, wo ich in die Tür meines Petersburger Romans mit all meinen darin enthaltenen schmählichen Erlebnissen eintrete, finde ich eine solche Vorbemerkung unumgänglich notwendig. Aber nicht jene Finessen haben mich dazu verleitet, bisher über manche Punkte Stillschweigen zu bewahren, sondern das Wesen der Sache selbst, das heißt die Schwierigkeit, sie darzustellen; sogar jetzt, wo schon alles Vergangene vergangen ist; fühle ich die fast unüberwindliche Schwierigkeit einer Darlegung dieser »Idee«. Überdies muß ich sie ohne Zweifel in ihrer damaligen Form darstellen, das heißt so, wie sie sich in meinem Kopf gestaltet hatte und mir damals vor dem geistigen Auge stand, nicht so, wie sie jetzt aussieht, – und das ist wieder eine neue Schwierigkeit. Manche Dinge auseinanderzusetzen, ist beinahe unmöglich. Gerade diejenigen Ideen, die am allereinfachsten und am allerklarsten sind, gerade die sind besonders schwer zu begreifen. Hätte Kolumbus vor der Entdeckung Amerikas es unternommen, anderen seine Idee darzulegen, so bin ich überzeugt, daß sie ihn sehr, sehr lange nicht verstanden hätten. Und sie haben ihn auch wirklich nicht verstanden. Wenn ich das sage, beabsichtige ich ganz und gar nicht, mich mit Kolumbus auf eine Stufe zu stellen, und wenn jemand das aus meinen Worten folgern sollte, dann mag er sich schämen; weiter sage ich nichts.
Fünftes Kapitel
Meine Idee ist – ein Rothschild zu werden. Ich bitte den Leser, ruhig und ernst zu bleiben.
Ich wiederhole: meine Idee ist, ein Rothschild zu werden, ebenso reich zu werden wie Rothschild, nicht bloß einfach reich, sondern geradeso reich wie Rothschild. Weshalb und warum ich das will und