Der Jüngling. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750208926
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könnte, da ich ja keinerlei Dienste geleistet hätte. Der Fürst bekam einen Schreck und erging sich in Versicherungen, ich hätte ihm außerordentlich viele Dienste geleistet und würde es künftig in noch größerem Umfang tun und fünfzig Rubel seien eine so winzige Summe, daß er mir im Gegenteil noch etwas zulegen werde, weil er sich dazu für verpflichtet halte, und er habe selbst alles mit Tatjana Pawlowna abgesprochen, es aber »unverzeihlicherweise ganz vergessen«. Ich brauste auf und erklärte mit der größten Entschiedenheit, es sei niedrig, ein Gehalt dafür anzunehmen, daß ich Skandalgeschichten erzählt hätte, wie ich zwei Damen mit Schleppen bis zu den Instituten nachgelaufen sei, ich hätte mich nicht verdingt, um ihn zu amüsieren, sondern um ernste Arbeit zu tun, und wenn keine Arbeit da sei, so müßten wir unsere Beziehungen abbrechen und so weiter und so weiter. Ich hätte nicht geglaubt, daß jemand so erschrecken könnte, wie er nach diesen meinen Worten erschrak. Selbstverständlich endete die Sache damit, daß ich meine Weigerung aufgab und er mir die fünfzig Rubel aufdrängte: bis auf - den heutigen Tag steigt mir bei der Erinnerung daran, daß ich sie annahm, die Schamröte ins Gesicht! In der Welt endet alles immer mit einer Gemeinheit, und das Ärgste war, er wußte mir damals beinahe zu beweisen, daß ich unstreitig das Geld verdient hätte, und ich war damals dumm genug, es zu glauben. Und außerdem war es ganz unmöglich, es abzulehnen.

      »Cher, cher enfant!« rief er, indem er mich küßte und umarmte (ich muß gestehen, ich war selbst nahe daran, loszuweinen, weiß der Teufel warum, obwohl ich mich sogleich wieder in die Gewalt bekam, und selbst jetzt, wo ich dies schreibe, steigt mir das Blut ins Gesicht), »lieber Freund, du bist mir jetzt so teuer wie ein leiblicher Verwandter; du bist mir in diesem Monat ganz ans Herz gewachsen! In der sogenannten Gesellschaft sind nur Leute, denen man nicht näherkommt. Katerina Nikolajewna« (seine Tochter) »ist eine herrliche Frau, und ich bin stolz auf sie, aber sie kränkt mich doch oft, sehr oft, mein Lieber... Na, und diese jungen Mädchen (elles sont charmantes) und ihre Mütter, die immer zu meinem Namenstag herkommen, die bringen nur ihre Kanevasstickereien her, verstehen aber selbst nichts zu sagen. Ich habe sechzig Kissen mit ihren Stickereien liegen, lauter Hunde und Hirsche. Ich habe diese jungen Mädchen ja sehr gern, aber mit dir verkehre ich fast wie mit einem leiblichen Verwandten, und nicht etwa wie mit einem Sohn, sondern wie mit einem Bruder, und besonders liebe ich es, wenn du opponierst; du besitzt eine literarische Bildung, du hast viel gelesen, du verstehst es, dich zu begeistern...«

      »Ich habe nichts gelesen und besitze ganz und gar keine literarische Bildung. Ich habe nur gelesen, was mir gerade in die Finger kam, und in den letzten zwei Jahren habe ich überhaupt nichts gelesen, und ich werde auch nichts mehr lesen.«

      »Warum denn nicht?«

      »Ich habe andere Ziele.«

      »Cher... es wäre schade, wenn du dir am Ende deines Lebens sagen müßtest wie ich: Je sais tout, mais je ne sais rien de bon. Ich weiß absolut nicht, wozu ich auf der Welt gelebt habe! Aber... ich bin dir zu großem Dank verpflichtet ... und ich wollte sogar ...«

      Er brach plötzlich ab, wurde ganz matt und versank in seine Gedanken. Nach einer Erschütterung (und solche konnten ihm alle Augenblicke aus dem einen oder andern Grund begegnen) verlor er gewöhnlich für einige Zeit gleichsam die gesunde Urteilskraft und vermochte nicht mehr die Herrschaft über sich auszuüben; indes erholte er sich immer bald wieder, so daß kein weiterer Schaden daraus entstand. So saßen wir ungefähr eine Minute lang da. Seine sehr volle Unterlippe hing ganz herab ... Am meisten setzte es mich in Erstaunen, daß er auf einmal seine Tochter erwähnt hatte und noch dazu mit solcher Offenherzigkeit. Natürlich führte ich das auf seinen angegriffenen Zustand zurück.

      »Cher enfant, du bist mir doch nicht böse, weil ich du zu dir sage, nicht wahr?« entfuhr es ihm plötzlich.

      »Durchaus nicht. Ich muß gestehen, daß ich anfangs, bei den ersten Malen, mich etwas verletzt fühlte und auch meinerseits zu Ihnen du sagen wollte, aber ich sah ein, daß das dumm sein würde, da Sie ja nicht, um mich herabzuwürdigen, du zu mir sagen.«

      Er hörte schon nicht mehr zu und hatte seine Frage vergessen.

      »Nun, was macht dein Vater?« fragte er plötzlich, indem er nachdenklich den Blick zu mir hob.

      Ich fuhr ordentlich zusammen. Erstens hatte er Wersilow meinen Vater genannt, was er sich mir gegenüber noch nie erlaubt hatte, und zweitens hatte er von Wersilow zu sprechen angefangen, was noch nie vorgekommen war.

      »Er sitzt ohne Geld und ist melancholisch«, antwortete ich kurz, aber ich brannte vor Neugier.

      »Ja, wegen des Geldes. Heute wird ihr Prozeß entschieden, und ich warte darauf, was Fürst Serjosha für Nachricht bringen wird. Er hat mir versprochen, direkt vom Gericht herzukommen. Davon hängt ihr ganzes Schicksal ab; es handelt sich um sechzig- oder achtzigtausend Rubel. Gewiß, ich habe auch Andrej Petrowitsch« (das heißt Wersilow) »immer alles Gute gewünscht, und es scheint, er wird gewinnen, und die Fürsten werden nichts bekommen. Gesetz ist Gesetz!«

      »Heute ist auf dem Gericht die Entscheidung?« rief ich überrascht.

      Der Gedanke, daß Wersilow mir nicht einmal das für nötig gehalten hatte mitzuteilen, frappierte mich außerordentlich. »Also hat er es auch der Mutter nicht gesagt und vielleicht niemandem!« schoß es mir sogleich durch den Kopf. »Ist das ein Charakter!«

      »Ist denn Fürst Sokolskij in Petersburg?« fragte ich, da mir dieser zweite Gedanke unmittelbar danach kam.

      »Ja, seit gestern. Er ist direkt aus Berlin gekommen, eigens für diesen Tag!«

      Das war ebenfalls eine für mich äußerst wichtige Nachricht. »Auch er wird heute hierherkommen, dieser Mensch, der ihm die Ohrfeige gegeben hat!«

      »Nun, und wie steht's«, fuhr der Fürst mit plötzlich verändertem Gesichtsausdruck fort, »verkündet er immer noch wie früher das Reich Gottes, und... und ist er vielleicht immer noch hinter den Mädelchen her, hinter den halbflüggen Mädelchen? Hehe! Da verlautet auch jetzt wieder ein höchst amüsantes Geschichtchen... Hehe!«

      »Wer verkündet das Reich Gottes? Wer ist hinter den Mädchen her?«

      »Andrej Petrowitsch! Kannst du es glauben, er hat uns allen damals gehörig zugesetzt: was wir äßen, was wir für Gedanken hätten, fragte er uns. Wenigstens lief es beinah darauf hinaus. Er wollte uns in Angst setzen, uns läutern. ›Wenn du fromm bist‹, sagte er, ›warum wirst du dann nicht Mönch?‹ Es fehlte nicht viel, und er hätte das von uns gefordert. Mais quelle idée! Selbst wenn es richtig ist, ist es nicht doch zu streng? Besonders mich erschreckte er gern mit dem Jüngsten Gericht, mich ganz besonders.«

      »Ich habe nichts Derartiges bemerkt, und ich lebe doch schon einen Monat mit ihm zusammen«, erwiderte ich, gespannt zuhörend. Es verdroß mich sehr, daß er sich noch nicht ordentlich erholt hatte und so unzusammenhängend vor sich hin murmelte.

      »Er redet jetzt nur nicht davon, aber du kannst mir glauben, daß es sich so verhält. Er ist ein geistvoller Mensch und besitzt unstreitig ein tiefes Wissen; aber steckt darin auch richtiger Verstand? Das geschah mit ihm alles nach seinem dreijährigen Aufenthalt im Ausland. Ich muß gestehen, ich war ganz erschüttert... und alle waren ganz erschüttert... Cher enfant, j'aime le bon Dieu... Ich glaube an ihn, ich glaube an ihn, soviel ich nur kann, aber – ich war damals in größter Aufregung. Ich gebe zu, daß ich mich bei meiner Entgegnung leichtfertig benahm, aber das tat ich absichtlich, im Ärger, – und überdies war meine Entgegnung im Grunde ebenso ernsthaft, wie sie es seit Anbeginn der Welt gewesen ist: ›Wenn ein höchstes Wesen‹, sagte ich zu ihm, ›vorhanden ist und persönlich existiert, nicht in Gestalt eines über die ganze Schöpfung ausgegossenen Geistes, etwa in Gestalt einer Flüssigkeit (denn das wäre noch schwerer zu begreifen), wo wohnt dieses höchste Wesen denn dann?‹ Mein Freund, c'était bête, ohne Zweifel, aber darauf laufen doch alle Entgegnungen hinaus. Un domicile – das ist ein wichtiger Punkt. Er wurde furchtbar zornig. Er ist dort zum Katholizismus übergetreten.«

      »Dieses Gerede habe ich ebenfalls gehört. Es ist sicherlich dummes Zeug.«

      »Ich versichere dir bei allem, was heilig ist, daß es sich