Der Jüngling. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750208926
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alt war, getadelt, daß ich im Sommergarten zu viel nach den Statuen hinsähe.«

      »Sie möchten schrecklich gern, daß ich zu irgendeiner hiesigen Josephine hinginge und dann zu Ihnen käme, um Ihnen Bericht zu erstatten. Aber Ihr Wunsch ist gegenstandslos: auch ich habe schon als Dreizehnjähriger ein nacktes, ganz nacktes Weib gesehen; seitdem habe ich einen Ekel vor ihnen.«

      »Im Ernst? Aber, cher enfant, ein schönes, frisches Weib duftet wie ein Apfel; wie kann man da Ekel empfinden?«

      »Ich hatte in meiner ersten schlechten Pension bei Herrn Touchard, noch ehe ich aufs Gymnasium kam, einen Kameraden namens Lambert. Er prügelte mich immer, weil er mehr als drei Jahre älter war als ich, und ich mußte ihn bedienen und ihm die Stiefel ausziehen. Als er konfirmiert war, kam der Abbé Rigaud zu ihm, um ihm zur ersten Kommunion Glück zu wünschen, und die beiden fielen einander unter Tränen um den Hals, und der Abbé Rigaud drückte ihn mit allerlei pathetischen Gesten an seine Brust. Ich weinte ebenfalls und beneidete ihn sehr. Als sein Vater gestorben war, verließ er die Pension, und ich sah ihn zwei Jahre lang nicht wieder, aber nach den zwei Jahren traf ich ihn einmal auf der Straße. Er sagte, er werde mich besuchen. Ich war damals schon auf dem Gymnasium und wohnte bei Nikolai Semjonowitsch. Er kam eines Vormittags zu mir, zeigte mir fünfhundert Rubel und forderte mich auf, mit ihm zu kommen. Obgleich er mich vor zwei Jahren geprügelt hatte, hatte er mich doch immer nötig gehabt, nicht allein wegen der Stiefel; er brauchte jemand, um sich auszusprechen. Er sagte mir, er habe heute seiner Mutter aus der Schatulle mittels eines Nachschlüssels Geld weggenommen, denn das Geld, das sein Vater hinterlassen habe, gehöre nach dem Gesetz alles ihm, und sie dürfe es ihm nicht vorenthalten, und gestern sei der Abbé Rigaud zu ihm gekommen, um ihn zu ermahnen; er sei hereingekommen, habe sich vor ihn hingestellt, zu schluchzen angefangen, sehr entsetzt getan und die Arme zum Himmel erhoben. »Aber ich zog ein Messer aus der Tasche und sagte, ich würde ihn abstechen.« Wir fuhren nach dem Kusnezkij Most. Unterwegs teilte er mir mit, daß seine Mutter mit dem Abbé Rigaud ein Verhältnis habe, und er habe das gemerkt, und ihm sei alles schnuppe, und alles, was von der Kommunion gesagt werde, sei dummes Zeug. Er redete noch vieles andere, und mir wurde angst und bange. Auf dem Kusnezkij Most kaufte er eine doppelläufige Flinte, eine Jagdtasche, fertige Patronen, eine Reitpeitsche und dann noch ein Pfund Konfekt. Wir fuhren vor die Stadt, um zu schießen, und begegneten unterwegs einem Vogelhändler mit Käfigen; Lambert kaufte ihm einen Kanarienvogel ab. In einem Wäldchen ließ er den Kanarienvogel heraus, da dieser nach der langen Gefangenschaft im Bauer ja doch nicht weit wegfliegen konnte, und fing an, nach ihm zu schießen, traf ihn aber nicht. Er schoß zum erstenmal in seinem Leben; eine Flinte aber hatte er sich schon längst kaufen wollen, schon als er noch bei Touchard war, und wir hatten von der Flinte schon lange zusammen geträumt. Vor Aufregung war er ganz benommen. Er hatte pechschwarzes Haar, ein weiß-rotes Gesicht wie eine Maske, eine lange Hakennase wie die Franzosen, weiße Zähne und schwarze Augen. Er band den Kanarienvogel mit einem Faden an einen Zweig und gab aus nächster Nähe, aus einer Entfernung von zwei Zoll, aus beiden Läufen zwei Schüsse auf ihn ab, und das Tierchen zerstob in hundert Federchen. Dann kehrten wir zurück, fuhren nach einem Gasthaus, ließen uns ein Zimmer geben und fingen an zu essen und Champagner zu trinken; da kam eine Dame... Ich erinnere mich, daß mir ihre luxuriöse Toilette sehr imponierte: sie trug ein grünseidenes Kleid. Da sah ich denn nun das alles... wovon ich Ihnen schon gesagt habe... Darauf, als wir wieder zu trinken angefangen hatten, begann er, sie zu hänseln und zu schimpfen; sie saß ohne ihr Kleid da, er hatte es ihr weggenommen, und als sie anfing zu schimpfen und ihr Kleid zu verlangen, um sich anzuziehen, begann er sie aus Leibeskräften mit der Peitsche über die nackten Schultern zu schlagen. Ich stand auf und packte ihn an den Haaren, und zwar so geschickt, daß ich ihn mit einem Ruck auf den Fußboden warf. Er ergriff eine Gabel und stach mich damit in den Schenkel. Da kamen auf das Geschrei Leute ins Zimmer gestürzt, und es gelang mir, zu entwischen. Seitdem ist es mir eklig, an ein nacktes Weib zu denken; und dabei ist sie wirklich schön gewesen, das können Sie glauben.«

      Während meiner Erzählung hatte sich der Gesichtsausdruck des Fürsten aus einem heiteren in einen tieftraurigen verwandelt.

      »Mon pauvre enfant! Ich bin immer davon überzeugt gewesen, daß es in deiner Kindheit sehr viel unglückliche Tage gegeben hat.«

      »Bitte, beunruhigen Sie sich darüber nicht!«

      »Aber du bist allein gewesen, das hast du mir selbst gesagt, und wenn du auch diesen Lambert hattest; du hast das so ergreifend geschildert: dieser Kanarienvogel, diese Konfirmation mit Tränen an der Brust, und dann, ein, zwei Jahre danach, er über das Verhältnis seiner Mutter mit dem Abbé... Oh, mon cher, diese Frage der Kindererziehung ist in unserer Zeit geradezu furchtbar: solange diese Goldköpfchen mit ihren Locken und ihrer Unschuld in der ersten Kindheit vor einem umherhüpfen und einen mit ihrem hellen Lachen und ihren hellen Äuglein ansehen, da sind sie ganz wie Engel Gottes oder wie reizende Vögelchen; aber später... aber später kommt es vor, daß es das beste wäre, sie wären überhaupt nicht groß geworden!«

      »Was haben Sie für eine schwächliche Denkungsart, Fürst! Und Sie reden, als ob Sie selbst Kinder hätten. Sie haben ja doch keine Kinder und werden nie welche bekommen!«

      »Tiens!« erwiderte er, und sein Gesicht veränderte sich in einem Augenblick. »Da hat mir gerade Alexandra Petrowna gesagt... vorgestern, hehe!... Alexandra Petrowna Sinizkaja... du mußt sie vor drei Wochen hier gesehen haben... stell dir vor, die sagte mir vorgestern auf meine lustige Bemerkung, daß ich, falls ich mich jetzt verheiratete, wenigstens sicher sein könne, keine Kinder zu bekommen... da sagte sie auf einmal zu mir so recht boshaft: »Im Gegenteil, gerade Sie werden welche bekommen, solche Leute wie Sie bekommen unfehlbar welche, schon gleich im ersten Jahr, das werden Sie sehen!« Hehe! Und alle haben sie, ich weiß nicht woher, die Vorstellung, ich würde mich plötzlich verheiraten. Aber wenn es auch boshaft gesagt war, so mußt du doch zugeben, daß es scharfsinnig war.«

      »Scharfsinnig und beleidigend.«

      »Na, cher enfant, nicht jeder kann unsereinen beleidigen. Ich schätze Scharfsinnigkeit bei den Leuten besonders hoch, sie ist offenbar im Schwinden begriffen; aber was Alexandra Petrowna gesagt hat... kann man sich etwa mit ihr in einen Streit einlassen?«

      »Was haben Sie da gesagt? Was haben Sie da gesagt?« rief ich hastig. »Nicht jeder kann unsereinen... das ist richtig! Nicht jeder ist wert, daß man ihn beachte, - ein vortrefflicher Grundsatz! Gerade ich kann den gebrauchen. Das werde ich mir aufschreiben. Sie sagen manchmal allerliebste Dinge, Fürst!«

      Er strahlte über das ganze Gesicht.

      »N'est-ce pas? Cher enfant, der wahre Esprit verschwindet aus der Welt, je länger, je mehr. Eh, mais... C'est moi qui connaît les femmes! Glaube mir, das Leben einer jeden Frau, was sie auch immer für Reden führen mag, ist ein stetes Suchen nach einem, dem sie sich unterordnen kann... Sozusagen ein Durst nach Unterordnung. Und wohl zu beachten: ohne jede Ausnahme!«

      »Sehr richtig, großartig!« rief ich ganz entzückt. Zu anderer Zeit wären wir sogleich für eine ganze Stunde in philosophische Erörterungen dieses Themas hineingeraten, aber auf einmal hatte ich das Gefühl, als ob ich einen Stich bekäme, und ich wurde dunkelrot. Es kam mir der Gedanke, daß ich mich durch das Lob seines Bonmots wohl gar bei ihm vor der Geldforderung einzuschmeicheln suchte und daß er das jedenfalls denken würde, wenn ich nun mit meiner Bitte herauskäme. Ich erwähne das jetzt absichtlich.

      »Fürst, ich bitte Sie ganz ergebenst, mir sogleich die fünfzig Rubel auszuzahlen, die Sie mir für diesen Monat schuldig sind«, schoß ich auf einmal in gereiztem und geradezu grobem Ton los.

      Ich erinnere mich (da mir dieser ganze Vormittag mit allen Einzelheiten im Gedächtnis haftet), daß sich zwischen uns damals eine in ihrer brutalen Realität höchst garstige Szene abspielte. Er verstand mich zuerst nicht, sah mich lange an und begriff nicht, von was für Geld ich redete. Es war ja ganz natürlich, daß er nicht auf den Gedanken kam, ich könne Gehalt beanspruchen, - wofür denn auch? Allerdings versicherte er dann eifrig, er habe es nur vergessen, und zog, sobald er den Zusammenhang erraten hatte, sofort fünfzig Rubel heraus, aber er tat das mit übermäßiger Hast und wurde dabei sogar rot. Als ich sah, wie die Sache lag, stand ich auf und erklärte schroff, jetzt könne ich das Geld