In der Hitze Havannas. Nick Hermanns. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nick Hermanns
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741858772
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nein. Dafür ist es noch zu früh. Das einzige, was wir bisher mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, ist das er nicht in einem der großen Krankenhäuser ist, dass außerdem die Polizei keine nicht identifizierten Verbrechensopfer gemeldet hat und dass er – soweit sich das überhaupt feststellen lässt – nicht die USA verlassen hat, wenigstens nicht per Flugzeug .“

      Der Ober reichte den beiden die Menu-Karte. Remington Junior nahm das Lamb Chop. Tom ergriff die Gelegenheit, sich dieser Wahl höflich anzuschließen. Der Ober nahm noch die Bestellung von zwei Club-Soda auf und verschwand.

      „Ich glaube ohnehin nicht an sein Verschwinden“, murmelte Ben.

      „Verzeihen Sie?“

      „Ich glaube, er lebt nicht mehr. Sie hat ihn umbringen lassen.“

      „Wer hat ihn umbringen lassen, Ben?“

      „Meine Stiefmutter. Wussten Sie, dass sie ein Verhältnis mit dem Geschäftspartner meines Vaters hat?“

      „Nein. Aber selbst wenn: wie kommen Sie darauf, dass sie Ihren Vater hätte töten wollen?“

      „Geld. Und die Freiheit, mit Goodell zusammen zu sein.“

      „Goodell ist der Partner Ihres Vaters?“

      „Ja. Henry Goodell. Er ist seit vielen Jahren geschieden. Er ist jünger als mein Vater. Und er erbt automatisch die Firmenanteile, sodass ihm dann das Unternehmen alleine untersteht. Das Vermögen geht an meine Mutter, ein Teil natürlich auch an mich. Aber der geringere Teil.“

      „Was dann wären...?“

      „Ich weiß es nicht genau. Für mich blieben wahrscheinlich so um die zwei oder drei Millionen Dollar.“

      „Was ja auch ein Motiv wäre.“

      „Natürlich. Aber mir liegt nicht viel an Geld. Ich komme mit dem, was ich während meines Studiums von meinem Vater bekomme, hervorragend aus. Mehr als die fünftausend Dollar im Monat brauche ich nie, alle Kosten für Wohnung und Uni werden natürlich extra bezahlt.“

      Tim schluckte. Was für ein schnöseliger kleiner Pisser.

      „Nehmen wir mal an, Ihr Vater sei am Leben. Gibt es einen Ort, an dem Sie nach ihm suchen würden?“, fragte er.

      „Wir haben eine kleine Ranch in Oregon, wo meine Stiefmutter oft einen Teil des Sommers verbringt. Mein Vater ist da auch oft gewesen, ebenso wie ich. Aber dort ist niemand. Ich habe schon mit unserem Verwalter telefoniert, der sich um die Ranch kümmert. Er ist extra rausgefahren. Das Haus ist leer.“

      „Geben Sie mir bitte die Adresse und die Nummer des Verwalters. Vielleicht taucht er ja doch noch dort auf.“

      Benjamin zog einen schweren Füllhalter aus der Innentasche seines Sakkos und notierte eine Adresse und eine Telefonnummer auf einen Zettel.

      „Hier. Aber das ist sinnlos.“

      Der Ober erschien mit zwei dampfenden Tellern. Die Lamb Chops sahen fantastisch aus. Während des Essens verstummte die Unterhaltung fast ganz. Die beiden sprachen über belanglose Details aus Oliver Remingtons Leben. Tim registrierte, dass Ben Remington dazu neigte, von seinem Vater in der Vergangenheitsform zu erzählen. Was immer das bedeuten mochte. Nachdem das Lämmlein verzehrt war, bestellte Ben noch zwei Espressi und bat um die Rechnung.

      „Lassen Sie mich das zahlen, Tim. Und versprechen Sie mir, dass Sie herausbekommen, was mit meinem Vater geschehen ist. Und bitte glauben Sie mir, dass meine Stiefmutter da mit drinsteckt.“

      Tim bedankte sich für die Einladung und versprach, sein Bestes zu tun. Ben zahlte per Kreditkarte, ließ aber vierzig Dollar Trinkgeld in bar auf dem Tisch liegen. Zwanzig wäre normal, überschlug Tim. Dreißig wäre großzügig. Vierzig fand der ein bisschen angeberisch.

      Vor dem Lokal verabschiedeten sich die beiden per Handschlag. Tim ging in Richtung La Brea Avenue. Als er sich umschaute wurde gerade Benjamins Wagen gebracht. Ein 911er Cabrio. Das wurde sicher auch nicht vom monatlichen Taschengeld bezahlt.

      ***

      Ich pulte mit der Zungenspitze an den Zähnen rum, die vorübergehend in meinem Mund wohnten. Ich mochte meine alten entschieden lieber. Vor allem klang ich früher nicht wie Inge Meysel – falls die außer mir noch jemand kennt. Jedenfalls klang sie so wie ich momentan. Als säße das Gebiss nicht ganz fest.

      In Anbetracht der Tatsache, dass mir am Abend schon wieder Grillgäste ins Haus standen, kam ich nicht umhin, die doch arg angegriffenen Vorräte aufzufüllen, vor allem die flüssigen.

      So langsam hatte ich mich an den Geldschrank im Wagen gewöhnt. Gut, dass ich so ein großes Auto gekauft hatte. Also schielte ich wieder mal beim rückwärts fahren über die graue Riesenkiste hinweg und machte mich auf den Weg zum Einkaufscenter. George wollte zuhause bleiben. Auf halbem Weg hörte ich hinter mir eine Polizeisirene. Ich sah auf den Tacho. Fünfundzwanzig. Das konnte es also nicht sein. Ich zog den Wagen nach rechts und hielt in einer breiten Ausfahrt an. Im Rückspiegel sah ich ein Blaulicht auf einem Zivilfahrzeug.

      Ich blieb im Wagen, ließ das Fenster runter und kramte nach meinen Papieren. Ein zivil gekleideter Mann in mittleren Jahren, der ein bisschen schlampig und irgendwie unglücklich wirkte hielt mir seine Marke entgegen.

      „Guten Tag, Sir. Bitte Führerschein und Wagenpapiere.“

      Wenn ich in meiner Zeit in den USA eines gelernt hatte, dann dass es nicht empfehlenswert war, mit den Police-Officers zu diskutieren, blöde Fragen zu stellen oder ein Scherzlein zu wagen. Humor gehörte nicht unbedingt zur Kernkompetenz der kalifornischen Polizei. Noch weniger empfehlenswert war es, aus dem Wagen zu steigen.

      Also reichte ich ihm mit freundlichem Gesicht die bereitgehaltenen Papiere aus dem Fenster. Er griff wortlos danach und studierte sie ausgiebig. Wobei die Dauer seiner Lesetätigkeit in keinem sinnvollen Verhältnis zur Informationsdichte der Papiere stand. Mir schien es, als wüsste er nicht recht weiter. Dann gab er die Papiere zurück.

      „Was ist in dem Schrank auf Ihrer Ladefläche, Sir?“

      „Nichts, Officer. Ich habe ihn kürzlich gekauft.“

      „Haben Sie die Quittung dabei?“

      Ich war mir überhaupt nicht sicher, ob er das Recht hatte, nach einer Quittung zu fragen, aber da sie tatsächlich noch auf dem Beifahrersitz rumlag, nickte ich und reichte sie ihm.

      „Ihre Ladung ist unzureichend gesichert, Sir.“

      „Ich werde den Schrank heute noch ausladen, Officer. Ich erwarte zwei Freunde, die mir dabei helfen. Das Ding ist für einen alleine etwas zu schwer.“

      „Ich werde eine Mängelanzeige aufsetzen, Sir. Ich bitte Sie, sich morgen um zehn Uhr im LAPD Hauptquartier mit dem Wagen einzufinden. Sollte bis dahin der Schrank nicht ausgeladen sein, müssen Sie mit einer Anzeige wegen Verkehrsgefährdung rechnen.“

      Ich fasste es nicht. Hatte dieser Sesselfurzer nichts Wichtigeres zu tun? Ich nickte ergeben und hielt die Klappe. Ich war ja nicht mal sicher, ob der Transport einer solchen Ladung wirklich nicht legal war. Angesichts der Pickups mit zehn Mexikanern auf der Ladefläche, die mir dauernd begegneten, schien mir das eher unwahrscheinlich. Aber was sollte ich diskutieren? Fuhr ich eben am nächsten Tag mal wieder nach Downtown.

      Der Zivilbulle nickte mir knapp zu und ging zu seinem Crown Victoria. Ich sah ihm nach. Er sah auch von hinten nicht glücklich aus.

      ***

      Gegen vier Uhr am Nachmittag war ich wieder zuhause und lud die Einkäufe aus. Ich ging rasch den Hund ausgießen, und anschließend schwamm ich ein paar hundert Meter. Anfangs hatte ich das täglich gemacht, in letzter Zeit war ich meist zu faul, zu müde oder zu sonst was. Ich musste in bisschen mehr auf mich achten. Von meiner früher relativ guten Form war nicht mehr allzu viel übrig. Fünf Kilo zu viel – und das war noch eine optimistische Schätzung. Immerhin hatte ich heute das Mittagessen ausfallen lassen, es sei denn, man rechnete den Donut, den ich mir im Food Court des Einkaufscenters