Bookwire #7. Vorname Nachname. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vorname Nachname
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844288988
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den Stöpsel gezogen hätte.

      Eine Weile lang sah das entsetzte Paar auf die bunte Wasserfläche hinaus und beobachtete, wie der Wasserpegel nach und nach wieder sank. Dann, ohne Vorwarnung, stieg keine fünf Schritte von ihnen entfernt eine bekannte, bläulich flackernde Lichtsphäre empor, die gemächlich auf sie zu geglitten kam. Wie hypnotisiert legte Jasmin einladend ihre Handflächen aneinander, um darauf die raschelnde Kugel in Empfang zu nehmen. Einen Augenblick später erklang eine mächtige, durchdringende Stimme aus deren Innerem:

      »ES IST VOLLBRACHT. DIE UNENDLICHKEIT IST HERBEIGEFÜHRT. MEINER HINTERLASSENSCHAFT SOLL ES NACH MEINEM WEGGANG NICHT AN LAND UND MITTELN FEHLEN. DENN DIEJENIGEN, DIE NUN DAS ZEITALTER DER UNENDLICHKEIT EINLÄUTEN WERDEN, SIND AB SOFORT IHRES EIGENEN LEBENS SCHMIED. DIE UNENDLICHKEIT, DIE ES ZU ERSCHAFFEN GILT, WENN EIN WESEN HÖHERER MÄCHTE SEINE IHR VERPFLICHTETE RAUMZEIT VERLÄSST, KENNT ZWEI RICHTUNGEN: DEN WEG DES LEBENSKOLLEKTIVS, WELCHER DIE HARMONIE ALLEN LEBENS VERKÖRPERT UND MIT DEM EIN EWIGES STREBEN NACH SYMPATHIE UND ZUSAMMENHALT EINHERGEHT – ODER ABER DEN WEG DER EWIGEN LEERE, WELCHE SICH IN TATEN UND BEGEHREN VERGÄNGLICHER NATUR ABZEICHNET. IHR HABT DIE WAHL. TRAGET DIESE BOTSCHAFT IN EURE MITTE. MEINE AUFGABE IN DIESER RAUMZEIT IST ERFÜLLT. ICH WERDE NUN IN DIE NÄCHSTHÖHERE BEWUSSTSEINSEBENE HINÜBERSCHREITEN, WIE ES MIR OBLIEGT. GEHABT EUCH WOHL UND GEDENKT MEINER WORTE: LIEBET EUREN NÄCHSTEN, DENN ZUSAMMEN SEID IHR EINS – SARABA.«

      Jasmin und Masayuki erschraken nicht. Es war eine sympathische Stimme, die ihnen sehr vertraut schien. Obwohl Jasmin eben noch einem Nervenzusammenbruch nahe gewesen war, nahm die Präsenz dieser größeren Macht ihr ihre Angst augenblicklich von der Seele. Sie wusste nun, dass der Traum über ihre Familie Wirklichkeit geworden war, und es war gut so. Es war vorbei. Tiefer Frieden überkam ihren Geist.

      Nach unbestimmter Zeit des selbstversunkenen Daseins fühlte Jasmin plötzlich, wie Masayuki ihre linke Hand ergriff und sie behutsam zu sich hinzog. Zuerst erkannte sie nicht, was er tat, doch dann gab er ihren Fingern einen kurzen, zärtlichen Kuss und führte sie langsam vor Jasmins Augen. An ihrem Ringfinger brillierte ein Diamantring, der geheimnisvolle Lichtmuster in die felsige Umgebung zeichnete.

      Einvernehmlich sahen sie sich in die Augen und nickten in einträchtiger Stille.

      Hildenberge war im Laternenwald unter anderem auch als »das Erfrorene Dorf« bekannt. Dieser ungewöhnliche Beiname stammte von einer viele Generationen zurückliegenden und verhängnisvollen Nacht her, in der die Siedlung von einem seltenen Wetterphänomen, einem Schneesturz, heimgesucht und dabei unter einer ewigen Schnee- und Eisdecke begraben wurde. Dies hatte zur Folge, dass die Gemeinde seither vor dem direkten Schein der himmlischen Scheiben verborgen blieb. Die Ortschaft bestand aus mehreren Dutzend uralter Holzbauten, die unter dem viele Meter dicken Gletschereis durch unzählige Eishöhlen und verschlungene Passagen miteinander verbunden waren.

      Einst war das Bauerndorf von duftenden Wiesen und üppig bewaldeten Hügeln umsäumt gewesen, doch jene Zeit kannten die Einwohner Hildenberges nur noch aus den alten Sagen und Geschichten, die an besonders düsteren Abenden vom Familienältesten erzählt wurden. Es war eine alte Tradition, sich vor den wärmenden Kachelöfen in kuschelwarme Wolldecken einzuhüllen, an den geheimnisumwobenen Lippen des Familienoberhauptes zu hängen und in längst vergangenen Zeiten zu schwelgen. Auch war es Brauch, dem Knistern der emporsteigenden Funken zu lauschen, die im fast zwei Dutzend Meter langen Schornstein auftrieben und geheimnisvolle Melodien in den mächtigen Gletscher hinaustrugen.

      Frierhütten wurden diese vom Eis verschlungenen Gebäude genannt, wobei jedes Haus über zwei Ein- und Ausgänge verfügte. Einerseits war es möglich, eine Frierhütte vom Dach aus über eine in den Gletscher eingelassene Treppe zu betreten und wieder zu verlassen. Dies allerdings nur, wenn das Bedürfnis bestand, sich an die Oberfläche der Eismassen hinaufzubegeben, was für die ältere Bevölkerung ein eher selteneres Unterfangen darstellte und mehr den Schneeballschlachten liebenden und leidenschaftlich Schneeburgen bauenden jungen Hildenberglern vorbehalten war. Andererseits, und viel häufiger, wurden die uralten, hölzernen Haustüren im Erdgeschoss benutzt, von denen aus man ganz gemütlich durch die Gletscherpassagen in die Dorfmitte gelangen konnte.

      Da sich die Temperaturen im gesamten Laternenwald nicht nach Jahreszeiten änderten wie vor der Neuzeit, sondern diese durch den Höhengrad festgelegt waren, sah es im Erfrorenen Dorf das ganze Jahr über quasi gleich aus. Gleichwohl gab es Zeichen, die erkennen ließen, dass die Siedlung über den Wandel der Zeit nicht völlig erhaben war, denn die einst aus Buchenholz errichteten Frierhütten siechten seit vielen Generationen unter der Eisdecke dahin und bedurften einer niemals endenden Pflege und Instandhaltung durch ihre emsigen Bewohner. Auch gab es immer wieder Bürger, die ihr Schicksal herausforderten und ihr Glück in der Ferne suchten. Zuwanderer oder gar Touristen gab es wiederum kaum, dafür laufend lebhafte Feste in der Dorfmitte, an denen viel gegessen und getrunken wurde, und an denen sich die alteingesessenen Bürger mit viel Witz und Fantasie über die Zukunft der Gemeinde Gedanken machten.

      Der Dorfälteste – ein uralter Mann mit langem Bart und täglich wechselnder Baskenmütze auf dem lichten Haupt – ermahnte die ansässigen Hildenbergler fortlaufend, sich der Folgen einer Umsiedlung des Dorfes bewusst zu werden. Er versicherte ihnen, es liege an einem geschützten Ort und könne sich auch bei politischen Spannungen zwischen den Präfekturen gut selbst versorgen, denn schließlich betrieb fast jede Familie einen eigenen beheizten Wintergarten, der auch bei den schlimmsten Wetter- und Wirtschaftsbedingungen genügend Nahrungsmittel abwarf. Eine endgültige Lösung fand man allerdings nie, und so vergingen die Jahre in Hildenberge mit schallendem Gehämmer, lebhaften Zusammenkünften und leidenschaftlichen Debatten – in fortwährendem Frieden.

      Etwas mehr als ein Jahrtausend seit dem Beginn der Neuzeit war vergangen, als eines Tages der Wind besonders heftig über die Gletscherebene von Hildenberge fegte und dessen Einwohner und deren Frierhütten das erste Mal seit geraumer Zeit auf die Probe gestellt wurden. In einer einzigen Nacht fiel Schnee in unschätzbarer Menge, wobei die Schornsteine und Eistreppen an der Oberfläche komplett unter der weißen Pracht verschwanden. Unterhalb des Eises, das an den meisten Stellen nicht weniger als dreiundzwanzig Meter dick war, ließ sich nie gut erwägen, wie viel Neuschnee oben gefallen war. Doch an jenem Morgen war die Dunkelheit vollkommen, und die Dorfbewohner ahnten nichts Gutes, als sie aus ihren von Eis belagerten Fenstern emporspähten, um die Menge frischen Schnees einzuschätzen. Wie immer, nach einer niederschlagreichen Nacht, begannen die Bürger am folgenden Morgen, die unerwünschte Pulverwand von den Dachzugängen aus abzutragen, um sich mittels der Eistreppen wieder Zutritt an die Oberfläche zu verschaffen. An jenem Vormittag jedoch schien es aussichtslos. Soviel man auch nach oben grub, keine Familie schaffte es bis zum Mittag durch die verhängnisvolle Schneedecke. Zur Mittagszeit versammelten sich die gesprächigeren Dorfbewohner im Gemeindehaus in der bunt beleuchteten Dorfmitte und spekulierten zu einer heißen Tasse Holunderwein, ob die Gemeinde über die lange Eisrutsche, die durch den Gletscher hindurch ins Tal hinunterführte, allenfalls evakuiert werden sollte. Doch der vom Dorfältesten spendierte Holunderwein belebte Geist und Körper der Versammelten zweckgemäß, und mit berauschten Gemütern wurden sie sich schließlich einig, dass eben zu härteren Mitteln gegriffen werden müsse. Jetzt ins Tal zu flüchten und die Schneeschaufeln stehen zu lassen, wäre das Eingeständnis einer Niederlage gewesen, eine Schande, die das Andenken an ihre hartgesottenen Vorfahren besudeln würde. Diese hatten es damals ja auch geschafft.

      Durch diese vom Dorfältesten nochmals untermauerten Stellungnahmen wuchs der Tatendrang im Dorf so stark an, dass ein regelrechter Wettkampf in die Gänge kam, welches Haus es nun als Erstes an die Oberfläche schaffen würde. Es wurde gehämmert, geschmolzen, gesägt und selbst mit Sprengen versuchte es der Bäcker nebenan. Beim Knall seiner selbstgebastelten Feuerwerkskörper schlug Loyd Lanthorn die Augen auf.

      Loyd, ein schlanker junger Mann von 19 Jahren mit kurzem, schwarzem Haar und mit einem markant gezeichneten Gesicht, hatte bisher nichts mitbekommen von der verheerenden Nacht zuvor. Er drehte sich auf seinem bequemen Rundbett um, gähnte kurz genüsslich auf und schlief dann wieder ein.

      Für ihn war es noch nicht Morgen oder gar Mittag, sondern noch immer mitten in der Nacht. Loyd war Student