Die zweite Postkarte. Mark S. Lehmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mark S. Lehmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742706287
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Begegnung mit ihrem Sohn, der noch schlief. Kurt schlug vor, dass Manuela den Drogenkonsum tagsüber nicht ansprechen soll, sondern wie zwischen ihm und Henning vereinbart, bis zum Abendessen warten solle. Auch wenn das Thema Manuela unter den Fingern brannte, stimmte sie zu. Da sie plante am Freitag nach Mallorca zu fliegen, um dort für neun Tage ihre Freundin Judith auf deren Finca zu besuchen, wollte sie den Tag nutzen, um noch ein paar Einkäufe und Erledigungen zu tätigen.

      Kurt fuhr ins Büro. Während der Fahrt plante er den Tag. Das Gespräch mit Henning würde kein Zuckerschlecken werden. Zu gut konnte er sich vorstellen, wie Mutter und Sohn am Tag zuvor aneinander gerasselt waren. Für den Abend befürchtete er ein heftiges Gewitter. Am besten er versucht, an seine frühere Tätigkeit als Moderator anzuknüpfen und die Rolle des verständnisvollen Vermittlers zwischen beiden einzunehmen. Kurt mutmaßte, dass jede seiner früheren Sendungen ein leichter Ritt im Vergleich zu der familiären Talkrunde gewesen ist.

      Als Kurt am frühen Abend nach Hause kam, vernahm er leise Techno-Beats aus der ersten Etage. Manuela stand in der Küche und bereitete eine Pizza vor. Es beruhigte Kurt, dass sie Hennings Lieblingsessen servierte. Kurt deckte den Tisch auf der Terrasse und holte Henning zum Essen.

      Während sie aßen, herrschte Schweigen. Beim Tiramisu fragte Kurt Henning, wie denn das Surfen auf Ibiza war.

      „Nicht so gut. Es war einfach zu wenig Wind.“

      „Klingt ja langweiliger, als wenn du mit uns zum Segeln gefahren wärst“, sagte Kurt mit einem schelmischen Grinsen.

      „Irgendwann ist man aus dem Alter raus, in dem man mit Babysitter unterwegs ist. Man braucht seine Freiheiten.“

      „Mit denen man aber auch angemessen umgehen muss“, rutschte es Manuela raus.

      „Jetzt spiel hier nicht die Mutter Teresa, Mama. Und bevor das Versteckspiel hier weiter läuft: Ja, ich, Henning Assens, bekenne mich schuldig, dass ich Alkohol getrunken habe und auch mal Ecstasy probiert habe. Sollen wir jetzt noch Opa aus dem Ruhestand holen, der das notariell beglaubigt?“

      „Jetzt werde nicht unverschämt, Henning! Wir sind nicht bei Gericht, sondern ich als Mutter sorge mich um dich.“

      „Machst du dir auch Sorgen um Karsten, der wahrscheinlich gerade kiffend am Gardasee sitzt und kleine Italienerinnen verführt?“

      Manuelas Augen glühten vor Wut. Um eine weitere Eskalation zu unterbinden, ergriff Kurt das Wort: „Henning, entspann mal. Wir wollen dich und Karsten nicht miteinander vergleichen. Jetzt geht es aber um dich. Wie gefährlich Drogen sind, wissen wir alle drei.“

      Henning verdrehte entnervt die Augen.

      „Wo hast du denn das Zeug her?“ hakte Kurt nach.

      Weiteres Schweigen.

      „Hast du jeden Abend im Urlaub Ecstacy geschmissen?“

      „Nein, wir waren immer ganz artig“, sagte Henning mit gespielter Entspanntheit.

      „Da hatte ich aber einen anderen Eindruck, als ich in der Finca letzte Woche angerufen habe.“

      „Spionierst du mir nach?“

      „Da du meine Nachrichten auf deiner Mailbox ignoriert hast, habe ich in der Finca angerufen und hatte eine nette junge Dame am Telefon, die mir mitteilte, dass du nicht telefonieren kannst, da du zu breit seiest und deine Freundin Ina auch.“

      „Wie bitte?“, entfuhr es Manuela mit zusammengekniffenen Augen, „das hast du mir nicht erzählt, Kurt!“

      Mit einer abwehrenden Handbewegung stoppte Kurt Manuela, um sich seinem Sohn zuzuwenden. „Nimmt Ina eigentlich auch Estacy oder wie sieht sie deinen Konsum?“

      Henning sprang wutentbrannt auf. „Das ist ja wie bei der Stasi. Der eigene Vater spioniert dem Sohn hinterher. Widerlich! Solche Verhörmethoden muss ich mir nicht gefallen lassen.“

      Dann stürmte Henning ins Haus, knallte die Terrassentür. Zwanzig Sekunden später wummerte der Techno-Bass durch Haus.

      „Wieso hast du das verschwiegen, Kurt.“

      „Ich wollte dich nicht unnötig beunruhigen.“

      Nun explodierte Manuela „Das ist ja wohl die Höhe. Wie wir ja gerade erleben, gibt es berechtigte Gründe sich um unseren Jüngsten Sorgen zu machen. Aber nein, mein Mann besitzt die Dreistigkeit von unnötiger Beunruhigung zu sprechen. In Zukunft möchte ich, dass du mir alles, was du über einen unserer Söhne erfährst – und sei es auch noch so dramatisch oder in deinen Augen harmlos – nicht vor mir verheimlichst! Haben wir uns verstanden?!“ zischte Manuela mit stechend scharfer Zunge und verschwand im Haus.

      Resigniert starrte Kurt auf den Alsterlauf, auf dem gerade zwei Kanuten in harmonischer Eintracht vorbeizogen, während er seinen Kopf wie die Äste der Trauerweide hängen ließ.

      Später klopfte Kurt an Hennings Tür. Außer der Musik schallte nichts aus dem Raum. Er drückte die Türklinke und trat in das Zimmer ein. Henning lag auf dem Bett und starrte die Decke an. Kurt drehte die Stereoanlage leiser. Eine Zeit lang schauten sie sich wortlos an. Schließlich schob Kurt den Schreibtischstuhl neben das Bett und sagte im sanften Ton. „Ich kann nachvollziehen, dass dich unsere Kontrolle nervt. Ging mir früher bei meinen Eltern auch so. Aber ich glaube, sie haben genauso Ängste um mich gehabt, wie Mama und ich gerade um dich. Wir müssen dich und deinen Bruder loslassen und können euch nicht in einen goldenen Käfig packen. Allerdings fällt einem, dass angesichts deiner ersten Drogenexperimente nicht leicht.“

      „Mensch Papa, du hast doch auch Drogen ausprobiert?“ fragte Henning mit einem vertraulichen Unterton.

      „Ja, deswegen mache ich mir ja Sorgen.“

      „Du hast es geschafft, nicht abzuglitschen. Dann werde ich das auch hinkriegen, Papa.“

      „Ich hoffe das; aber ich sehe einen Unterschied zwischen dir und mir.“

      Neugierig setzte Henning sich auf.

      „Während ich damals kiffte und Weinflaschen mit Kumpels leerte, sackten meine Schulleistungen nicht ab.

      „Du kannst doch nicht meine Noten als Kriterium für Drogenabhängigkeit nehmen.“

      „Warum nicht?! Mir ist bewusst, dass Verbote auch nichts bringen. Nur du alleine kannst deinen Konsum steuern.“

      „Papa, ich habe das im Griff.“

      „Das hoffe ich. Du weißt, dass deine Mutter am Freitag nach Mallorca fliegen will. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass sie angesichts deiner – ich nenne es mal salomonisch – Experimente die Reise abbläst.“

      „Oh Gott, die benimmt sich wie ein Kindermädchen!“

      „Nicht so voreilig. Sie sorgt sich sehr um dich, basta. Mein Vorschlag ist, dass wir eine Vereinbarung treffen, mit der alle drei gut leben können: Wir beide sehen uns jeden Tag mindestens einmal. Des Weiteren schläfst du jeden Tag zuhause. Ausnahme ist natürlich, wenn du bei Ina übernachtest. Des Weiteren informierst du mich persönlich über deine jeweilige Tagesplanung.“

      „Das ist ja echt wie bei der Stasi“ stellte Henning fest und reichte seinem Vater halbherzig die Hand.

      Kapitel 4

      20. Juli 2011

      Am folgenden Morgen konnte Kurt Manuela von der Vereinbarung überzeugen. Zwar spürte er noch ihren Groll, doch schien auch Manuela nicht weiter Benzin in das leicht lodernde Feuer gießen zu wollen.

      Nachmittags stellte Kurt zufrieden fest, dass wenigstens sein Arbeitstag ohne große Aufregungen verlaufen war. Auf dem Rücksitz wartete seine gepackte Tennistasche schon freudig auf ihn und das Griffband seines Schlägers streckte sich ihm herausfordernd entgegen. Energisch drehte Kurt den Zündschlüssel. Die Vorstellung sich an diesem Nachmittag mal nicht im Familiennetz zu verstricken, sondern mit seinem Freund Achim Schellmeyer die Filzkugeln über das Netz zu jagen,