An die Rollatoren Mädels. Heidi Hollmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heidi Hollmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847625490
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      Ich habe mir meinen Teil gedacht und aufseufzend erklärt, wie schade ich es fände, dass gerade sie so spät ihre beiden Sonnenscheinchen bekommen hätte. Folglich hieße das für mich, dass ich ein Groß- und Erwachsenwerden dieser beiden letzten Enkelchen wahrscheinlich nicht mehr würde miterleben können.

      Da meinte diejenige, die ihre Kinder zu nichts würde zwingen wollen, voller Überzeugung:

      „Ja aber, bis zu deren Abi kannste das doch noch bequem schaffen.!“ Selten so gelacht!

      Bis zum Abi! Eine lange Zeit, die sie noch vor sich und ich mit meinen Kindern längst hinter mir habe.

      Wie herrlich, eigenständig sozusagen und weitgehend nur für sich und seinen Partner zuständig zu sein. Wie beschwerlich waren früher die vielen Reisen. Dem einen war schlecht, dem anderen langweilig. Ewig saß man als Mutter wie auf heißen Kohlen.

      Von Urlaub war kaum die Rede. Heute ist das alles anders, günstiger, bis auf die Dinge, die mit den Beschwernissen des Alters zu tun haben. Wir brauchen ja leider alle mehr oder weniger unsere Pillen.

      In jungen Jahren war die Antibabypille die einzige „Medizin“, die man, d. h. frau schluckte.

      Schließlich wünschte man keine wundersame Vermehrung.

      Meine Oma behauptete immer:„ An ein Kind kommt man eher als an einen Hundertmarkschein! Stimmt! Sogar gratis!

      Wenn ich mir so meinen Kulturbeutel, ein Ausdruck, über den sich Armin zeitlebens krumm gelacht hat, betrachte, muss ich bei den vielen Pillen schon sehr aufpassen, damit ich die richtige zum richtigen Zeitpunkt erwische. Ich könnte mittlerweile so eine Krankenhausschütte gebrauchen. Für montags, dienstags, mittwochs .....morgens, mittags, abends…………

      Es ist erstaunlich, dass wir Menschen trotz oder vermutlich wegen der vielen Pillen so langlebig sind.

      Ich denke, wir können noch so viel Schindluder mit unserer Gesundheit treiben, die Pharmaindustrie richtet es. Eigentlich cool, wie ich meine.

      Meine Eltern fuhren noch bis ins hohe Alter nach Nord- und Südspanien, wo sie sich jeweils ein Domizil eingerichtet hatten. Einmal besuchten wir sie im Norden, wo sie ihre Wohnung für uns freimachten, um sich im Süden in der anderen Wohnung wie Wandervögel niederzulassen.

      Sie luden nicht weniger als vier prallgefüllte Koffer ein. Einer war, wegen Mutters Allergie, bis obenhin mit Medikamenten gefüllt.

      Ich verstand die Welt nicht mehr. Damals jedenfalls noch nicht. Ich möchte nicht behaupten, einen ganzen Koffer voller Medizin mitzuführen, aber das, was für mich unverzichtbar ist, reicht mir schon. Dabei fällt mir eine Geschichte, rund um Pillen, ein.

      Wegen meiner gehäuften Gallenkoliken war nachts ein Notarzt vonnöten. Der Mann wirkte völlig abgeschlafft und erzählte mir, während er mich behandelte, von seinem gerade durchgeführten Krankenbesuch. Mir war piepegal, wo der gute Mann vorher hatte Hilfe leisten müssen, ich wollte nur von diesen Schmerzen und danach auch von seinem Gerede erlöst werden. Endlich schlafen. Ich horchte auf. Was er da schilderte, interessierte mich immer mehr.

      Sein Patient wäre völlig apathisch in seinem Bett gelegen, berichtete er, worauf seine Tochter den Notdienst alarmierte. „Um den alten Herrn herum türmten sich Schuhkartons auf, nachdem ich darum gebeten hatte, alle Medikamente des Apathischen zusammen tragen zu lassen,“ berichtete der Arzt, während er an mir herumhantierte, um das Schmerzmittel in die Vene zu bekommen.

      „Ich hätte ihrem Herrn Vater die Leber herausschneiden können, der würde nichts davon mitgekriegt haben,“ hatte der Mediziner der Tochter des Patienten mitgeteilt und auch die kleine Frau neben ihr, vermutlich ihre Freundin, war baff.

      Meine Ohren wurden immer spitzer! Hetti und ihre Freundin passten wie die Faust aufs Auge zu der Beschreibung. Auch auf die von dem tablettenkonsumierenden alten Herrn, der Vater der großen Frau und Hausbesitzer des Dreifamilienhauses.

      Der Arzt schüttelte noch völlig von den Geschehnissen beeindruckt, seinen grauen Kopf.

      Wo denn ihre Männer wären, hatte er wissen wollen.

      „Die schlafen oben unterm Dach,“ bekam er zur Antwort.

      Meine Güte, das war harter Tobak für einen Außenstehenden! Ich sagte dem Arzt, der eigentlich seine Schweigepflicht verletzt hatte, dass es sich um meine Schwester, deren Freundin und deren Vater gehandelt haben müsste.

      Er versuchte, mich noch ein wenig auszuhorchen, was ihm auch gelang.

      „Nein, die Damen sind nicht lesbisch und deren Männer auch nicht schwul“, konnte ich den konsternierten Mediziner beruhigen.

      Später sprach ich Hetti davon, wie klein die Welt doch wäre und auch, dass es keine Zufälle gäbe, was sich wieder mal bewiesen hätte und worüber wir schon oft in Harnisch geraten waren.

      Der alte Herr war vordem in der unteren Etage ausgerastet. Er schrie laut um Hilfe. Seine Tochter war nach unten geeilt, wo sie ihren Vater mit weit aufgerissenen und glasigen Augen auf sein Vertiko starren sah.

      „Bitte, nimm den Tiger dort runter,“ kreischte er.

      Seine Tochter war versucht, ihrem Impuls nachzugehen und wahrheitsgemäß zu behaupten: „Ich sehe keinen Tiger!“ Sie besann sich eines Besseren, ging auf das wilde Tier zu, stieß zwei fauchende Laute aus und führte die willfährige Bestie am imaginären Halsband aus dem Raum.

      Ihr Vater war zunächst dankbar, beruhigte sich aber kaum mehr, so dass die Tochter in ihrer Not den Notarzt, eben jenen, der mir die ganze Story brühwarm erzählt hatte, alarmierte.

      Just, als der eintraf, verfiel der alte Herr in eine Art von Agonie.

      Ausschleichend wurden die Medikamente, wie es im Medizinerjargon heißt, abgesetzt. Halleluja! Pillensucht durch Vereinsamung! Das stand für mich fest. Ich kannte den alten Herrn. Obwohl seine Tochter mit Familie im selben Haus wohnte, litt er unter den vielen Stunden des Alleinseins. Mittags brachte sie ihm das Essen runter, manchmal kam er auch nach oben.

      Fast sämtliche Freunde waren ihm weggestorben. Wie wichtig Freunde sind, wurde mir mal wieder bewusst.

      Dass sie nicht am Straßenrand wachsen, ist ja hinlänglich bekannt. Auch das jeder etwas dafür tun muss, ist eine alte Jacke. Auf ihre Verschiedenartigkeit einzugehen, ist ebenso wichtig.

      Aber kann man das immer? Ich habe es oft versucht. Freundschaften sind mir bis ins hohe Alter erhalten geblieben, es sind auch manche zerbrochen.

      „Wo viel gehobelt wird, fallen Späne,“ wie man zurecht sagt.

      Ich gehe immer wieder mal in Gedanken meine Freundinnen durch. Auch meine männlichen Freunde, die meist die Partner meiner Freundinnen sind.

      Sie alle haben einen gemeinsamen Nenner, der Zuverlässigkeit heißt. Man muss sich aufeinander verlassen können. Sonst lastet die Betonung des Wortes „Verlassen“ auf der ersten Silbe. Verlassen werden genügend Menschen. Auch das hat ein jeder von uns schon erlebt.

      Unter dem Zeichen des Wassermann geboren, habe ich das Glück, leicht Freundschaften schließen zu können, „Ohn` Anseh`n der Person“ sozusagen, wie es so schön blöd heißt. Mir ist es völlig egal, ob eine Freundin in einem gehobenen Job tätig ist, oder als Putzfrau arbeitet.

      Ob sie reich ist oder arm oder tugendhaft oder weniger moralisch.

      „Ich bin nicht der Nabel Welt“ und „Jedem Tierchen sein Pläsierchen,“ habe ich mir zum Grundsatz gemacht.

      Auch bemühe ich mich, meine stärkste Schwäche, nämlich nachtragend zu sein, zu minimieren. Dazu brauchte ich die Unterstützung des Herrn Alzheimer, fürchte ich. Mein Gedächtnis, vor allem das der Langzeit, funktioniert erstaunlich gut. Zu gut! Im Bösen und zum Glück auch im Guten. Eine gute Tat, mir gegenüber vollbracht, lässt sie mich ein Leben lang nicht vergessen.

      Aber über eins komme ich nur besonders schwer oder gar nicht hinweg. Das