An die Rollatoren Mädels. Heidi Hollmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heidi Hollmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847625490
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beklagt. Warum eigentlich?

      Klagen würde ich persönlich bestenfalls über das Verhalten meiner Mitmenschen dem Alter gegenüber.

      Wie neulich im Park. Armin und ich gingen ungewohnt friedlich, Arm in Arm, bei bestem Wetter und dementsprechend guter Laune, spazieren. Vor uns trippelte eine junge Frau. Alles, was neuerdings unter fünfzig ist, ist für mich noch jung. Schließlich ist alles und jedes eine Frage der Relation. Also diese junge Frau blieb stehen. Der Hund beschnupperte den Armin, der als Tierliebhaber, ebenso Kontakt suchte. Wie ich zu seinen Gunsten annehme, nur zu dem Hund. Aber ich will nicht abweichen. Er streichelte das Tier mit den Worten:

      „Nun beiß mich aber bitte nicht!“

      Der Hund wedelte mit seinem Schwänzchen, zeigte keinerlei böse Absichten. Aber dafür sein Frauchen. Als ich ihre ungehaltene Stimme vernahm und schon glaubte, mich verhört zu haben, stellte sie lakonisch stellvertretend für ihren Hund fest: „Zu alt, zu zäh!“ Peng! Ich lachte Tränen. Der, um den es ging, stimmte notgedrungen mit ein. „Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“

      Humor ist übrigens im Alter eine Art von Überlebensstrategie.

      Manchmal ist es besser zu lachen, um nicht weinen zu müssen.

      Schrott ist möglicherweise zur Not noch veräußerbar, wenn die Preise stabil genug sind. Beim Alter sieht es ein klein wenig anders aus. Das Wort„stabil“ im Zusammenhang mit dem Alter ist ohnehin ziemlich gewagt, wenn nicht fehlinvestiert. Wir, die man allgemein als „die Alten“ bezeichnet, sind Eintagsfliegen. Das beweisen die vielen Beerdigungen, für die man (frau) tunlichst stets die schwarzen Klamotten, frisch gebürstet, parat haben sollte.

      Nicht auszudenken, was die Leute sagen würden, trüge man keine „Trauer“ Über derlei Dinge bin ich persönlich hinweg. Ich trage ohnehin gern Schwarz. Dazu brauche ich keine Beerdigungen. Dunkles macht bekanntlich schlank und auch beim obligatorischen Beckleckern, dank meines immer fülliger werdenden Busens, würde es bei Weiß mehr ins Gewicht fallen. Mein kritischer Armin führt diese Beckleckerei neuerdings auf meine „Rückenlage“ zurück, will heißen, ich sitze ihm nicht gerade genug bei Tisch.

      Meinen Freundinnen, die ich im Laufe meines langen Lebens gewonnen habe, geht es ähnlich. Auch sie werden laufend attackiert.

      Jedenfalls die Übriggebliebenen, die mit und gleich mir, alt geworden sind. Alt wird allzu oft mit senil assoziiert, spätestens dann, sobald man sich mal verspricht, oder etwas, das einen ohnehin nicht besonders interessierte, verdrängt hat oder auch in der Tat, vergaß.

      Ich gebe zu, manches Mal wegzuhören. Aus Trägheit, Eigenschutz, und einer langen Reihe anderer Substantive, die es sich nicht lohnt, konkret zu benennen.

      Meiner Tochter Adda musste ich neulich in die Hand versprechen einen Ohrenarzt zu konsultieren.

      „Ihr Gehör funktioniert unter dem Aspekt ihres vorgerückten Alters, (nette Formulierung) noch ausgesprochen gut!“ wurde mir attestiert.

      Abschließend meinte der Ohrklempner wohlwollend: „Könnte es sein, Sie überhören gern mal was?!“

      „Es könnte,“ gab ich knapp zur Antwort und fühlte mich erleichtert, mein Versprechen endlich eingelöst zu haben.

      Meine beiden Kinder fragen mich seit geraumer Zeit alternierend und unumwunden, ob ich vielleicht wieder mal dem Herrn Alzheimer begegnet wäre. Spätestens dann, wenn ich nicht von jetzt auf gleich auf ihre „Einflüsterungen“ prompt und aufgeweckt, wie in früheren Zeiten, reagiere. Dass mich manches mit zunehmendem Alter immer weniger interessiert, bekommen sie gar nicht mit. Auch nicht, dass alte Menschen ihren eigenen Gedanken besonders gern frönen. Dass sie überhaupt noch eigene Gedanken haben, kommt ihnen schon verdächtig vor.

      Wenn man uns Alte, wenn wir unter Unsresgleichen sind, so fidel sieht, sei es in Cafés, Bildungseinrichtungen oder sonst wo, kann ich mir persönlich den Rochus der Jungen vorstellen. Die Kluft wird auch hier immer größer, wie beim Reichtum und der Armut.

      Ich ermahne deshalb immer meine Freundinnen, wenn wir einen besonders schönen Tag miteinander verlebt haben, sie sollten doch bitte sehr selbst dafür sorgen, dass er auch so schön endet. An verkehrsreichen Straßen die wir etwa zu überqueren haben, nehme ich das Heft gern in die Hand,

      „Mädels seid wachsam, die Autofahrer bekommen womöglich Prämien, wenn sie uns umnieten!“ gebe ich zu bedenken.

      Wir haben weil wir uns regelmäßig treffen und endlich für uns die Zeit für schöne Unternehmungen gekommen ist, „wenn nicht jetzt, wann dann?“, eine fast militärische Strategie entwickelt.

      Die Rollatoren kommen in die Mitte, werden links und rechts von denen, die noch gut zu Fuß sind, eskortiert. Die noch nicht so stark Hörgeschädigten lauschen vorab auf etwaiges Autogebrumm. Nicht auszudenken, wenn, wie es geplant ist, fast geräuschlose Elektroautos mal „in“ sein sollten, um es mal auf Neudeutsch zu sagen.

      Da könnte es womöglich Prämien „hageln.

      Solche, ich weiß, makabren Vorstellungen, gehören zum Alltag von uns Alten, wie der Dotter zum Ei. Aber Galgenhumor ist schließlich auch eine Art von Humor, oder?

      Manchmal habe ich das Gefühl ein Schemen zu sein. Wenn ich etwa bereit bin, ein Kaufhaus zu betreten. „Peng!“ Wenn ich nicht aufpasse, schlägt mir die Tür um die Ohren. Einfach mir nichts, dir nichts, von meist jungen Leuten gedankenlos losgelassen. Losgelassen auf mich, die sich herzlich bedankt mit den Worten:

      „Ach, es ist doch immer wieder beachtenswert und erfreulich, wie sich die jungen Leute ein Bein ausreißen, um den Älteren behilflich zu sein. Vor allem diese Fürsorglichkeit!“

      Der Gesichtsausdruck bei den meisten ist kaum zu beschreiben. Manchmal wird eine nur schlecht zu verstehende „Entschuldigung“ gehaucht, aber nur manchmal und nur von den wenigen Wohlerzogenen.

      Anscheinend habe auch ich meine Kinder trotz der größten Mühe, nicht unbedingt als Wohlerzogene in die Welt entlassen.

      Beim Zusammensein mit ihnen überkommt mich, wie das hier und da fast jedem älteren Menschen schon mal unterläuft, so etwas wie ein Erzähldrang-, meinetwegen auch Zwang. Für mich kein großer Unterschied! Ich berichte vor allem gern über meine Kindheit. Zum besseren Verständnis. Für wen allerdings ist hier die Frage!?

      Ich sehe Adda, wie sie unwillig ihren blonden Haarschopf schüttelt. Stelle fest, wie sie augenscheinlich und vorab schon genervt ist, ohne das ich nur einen einzigen Mucks von mir gegeben hätte. Sie scheint Gedanken lesen zu können.

      Es beginnt damit, dass sie ihre hübschen rehbraunen Augen flehentlich `gen Himmel richtet; einem Botticelli-Engel gleich, dem sie auf makabre Weise ähnelt.

      Danach löst sich ihre Erstarrung. Sie dreht mit ihrer rechten Hand, sie ist Rechtshänderin, an einer imaginären Kurbel einer imaginären Drehorgel. Soll heißen: „Die alte Leier! kenn ich schon!“

      Und ob sie die kennt. Ihre kleine Nichte, die eine meiner Enkelinnen ist, hockt neben ihr, bettelt: „Omi, bitte erzähl!“ Wie könnte man so hartherzig sein, einem so süßen und wissbegierigen Kind etwas abzuschlagen!

      Omi folgt der Bitte. Omi legt los! Sie erzählt zum hundertsten Mal, wie sie als kleines Kind im Krieg, wiederum von ihrer Omi durch die Fenster eines überfüllten Zuges in das Innere befördert worden war. Und ebenso wie ihre etwas größere Schwester Hetti auf dem gleichen Wege irgendeinem Mitreisenden auf den Schoß gesetzt worden war. Dabei hatten beide Kinder voller Entsetzen bemerkt, wie sich der Zug in Bewegung setzte. „Mit ohne“ ihre Omi natürlich!

      „Wir Kinder schrieen uns die Hälse ab, bis wir in einer Kurve unsere Oma wie einen Klammeraffen von außen an einer Waggontür hängen sahen!“ sagte ich zum Schluss. Spätestens bei dem Ausspruch, „Klammeraffe“, ich wusste es, klatschte meine kleine Enkelin Julia vergnügt in ihre Händchen. Der Klammeraffe war für sie immer wieder der amüsante Höhepunkt dieser für mich unseligen Geschichte.

      Noch