„Nichts“, antwortet Janaina forsch. „Kriminalpolizei! Hier im Viertel wurde eine Frau ermordet. Ich suche nach Zeugen, die etwas auffälliges beobachtet haben.“
„Schrecklich!“ antwortet Jose, der an einem Tisch sitzt, entsetzt. „Wir haben schon davon gehört. Hier im Viertel geht so etwas 'rum wie ein Lauffeuer. Eigentlich hatten die meisten Leute hier wenig mit dieser Frau zu tun, aber ich sprach zufällig erst vor zwei Wochen mit ihr, als sie an meinem Haus auf dem Weg zur Bushaltestelle vorbeiging. Ich hatte kurz davor eine neue Webcam gekauft und fragte sie, ob ich testweise ein Foto von ihr machen könnte. Sie willigte ein, stand Model und ging danach weiter zur Bushaltestelle hier unten an der Avenida.“
„Oh, das klingt ja sehr interessant. Haben Sie die Fotos noch irgendwo gespeichert?“ fragt Janaina erfreut.
„Eigentlich sollten sich die Fotos noch auf meinem Computer befinden. Wir können sofort zu mir nach Hause gehen und nachschauen. Ich kann dann die Dateien auf eine Speicherkarte kopieren und diese der Polizei zur Verfügung stellen“ , antwortet Jose und steht von seinem Stuhl auf.
„Da hast Du ja scheinbar etwas sinnvolles für die Allgemeinheit getan, Jose“, bemerkt ein Kollege an Joses Tisch. „So kennt man Dich gar nicht.“ Janaina und Jose verlassen die Bar und gehen zum Haus von Jose, das sich wenige Meter von der Bar entfernt befindet. Jose startet seinen Computer und findet auch sofort die gesuchten Fotos. Er kopiert sie auf eine Speicherkarte und überreicht sie Janiana.
„Recht herzlichen Dank, Sie haben uns sehr geholfen“, verabschiedet sich Janaia von Jose und verlässt dessen Haus.
Naomi steigt eine enge Treppengasse auf, als sie von einer weiblichen Stimme angesprochen wird: „Hallo, sind Sie von der Polizei?“ DieTür geht auf und zwei junge dunkelhäutige Frauen betreten die Treppengasse. Es sind die Schwestern Julia und Gabriela Ferreira, die 21 bzw. 23 Jahre alt sind.
„Ja, ich bin von der Polizei“, antwortet Naomi. „Hier in der nähe ist eine junge Frau ermordet wurden. Ich suche nach Zeugen, die in den letzten Stunden hier in der Umgebung etwas auffälliges beobachtet haben.“
„Es gibt hier im Stadtteil einen Mann, der Pedro heißt. Er ist etwas älter als wir. Früher hat er hier nebenan gewohnt bis ihn die Hauseigentümerin 'rausgeworfen hat, weil er übermäßig viel Alkohol und Kokain konsumiert hat“, äußert sich Julia. „Jetzt lebt er offensichtlich auf der Straße. Er hält sich den ganzen Tag im Bereich der Bushaltestelle an der Avenida Cupece auf. Dort belästigt er junge Frauen, die vorbeigehen und auf einen Bus warten. Seltsamerweise war er heute nicht da, sonst war er immer da.“
„Das Hört sich schon spannend an“, unterbricht Naomi. „Gibt es von diesem Pedro Fotos oder eine genaue Beschreibung ?“
„Jeder hier kennt ihn“, erklärt Gabriella gestikulierend. „Alle Frauen hassen ihn und viele haben sogar Angst vor ihm. Wir haben das auch schon den örtlichen Streifenpolizisten gemeldet, aber die sagen nur: 'Das ist nur der Pedro, der ist ungefährlich. Ihr kennt den doch alle schon seit Ewigkeiten'.“
„Ich werde diesen Typen auf jeden Fall zur Fahndung ausschreiben. Mal sehen, ob er ein Alibi für den Zeitraum des Mordes hat“, ergänzt Naomi.
Nach zweieinhalb Stunden Ermittlungsarbeit im Viertel schließen sich Janaina und Naomi über ihre Mobiltelefone kurz und verabreden sich, dass sie sich jetzt am Auto treffen, um nach Hause zu fahren. Beide haben Ermittlungsansätze, die sie am nächsten Morgen in der Konferenz in Charlys Büro zum besten geben können.
2
Es ist acht Uhr morgens am nächsten Tag als Laura in ihren schwarzen Corsa steigt und Richtung Diadema fährt. Sie hat den Vermieter vom Mordopfer des Vortages Henrique Gomez vorher telefonisch über ihr Erscheinen informiert. Nach 20 Minuten kommt sie vor Gomez` geschlossenem Apartmenthochhaus an, in dem er in seiner Eigentumswohnung lebt. Sie wird bereits von ihm am Eingangstor erwartet.
„Guten Morgen, Frau … !“ wird sie von Gomez begrüßt.
„Frau Marques, Laura Marques, Kommissarin der Mordkommission IV der Polizei von São Paulo. Ich komme bezüglich des Mordfalls in ihrem vermieteten Haus in Jardim Miriam.“
„Ja, ich weiß. Die Nachbarschaft hat mich gestern schon informiert. Kommen Sie erst mal 'rein. Mein Apartment ist im vierten Stock. Dort können wir eine Tasse Kaffee zusammen trinken.“
„Nein danke, ich habe nicht so lange Zeit und will Ihnen nur kurz ein paar Fragen bezüglich des Mordes stellen“, entgegnet Laura.
„Schade, dann muss ich meinen Kaffee wohl allein trinken. Wissen Sie schon, wer der Mörder ist?“ will Gomez wissen.
„Nein, wir wissen bisher nur sehr wenig. Wir kennen bisher nur den Vornamen des Opfers, Mia. Sie als Vermieter müssten doch mehr über ihre Identität wissen?“
„Mehr als den Vornamen Mia kenne ich auch nicht. Ich habe nie nach einem Ausweis oder Pass von ihr verlangt. Ich weiß weder wie alt sie war, noch weiß ich, woher sie kam, bevor sie mein Haus mietete.“
„Kennen Sie die Bankverbindung des Opfers, mit der die monatliche Miete für das Haus in Jardim Miriam überwiesen wird?“
„Nein, auch da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Die Miete wurde immer mit Bargeld beglichen. Ich habe sie an jedem ersten im Monat besucht, und sie hat mir das Geld in Cash ausgehändigt. Es gab nie Verzug. Sie konnte immer zahlen. Ein Traummieter für jeden Vermieter“, erklärt Gomez.
„Wie war das Verhältnis zu den Nachbarn? Gab es dort irgendwelche Probleme, die Ihnen bekannt sind?“
„Ich glaube, sie hatte wenig Kontakt zu den Leuten in Jardim Miriam. Sie hat mir nur erzählt, dass sie Pedro bedroht hat. Pedro hatte ein anderes Haus von mir in Jardim Miriam gemietet. Ich musste ihm den Mietvertrag kündigen, weil er seine Miete nicht zahlte und in meinem Haus mit Drogen gehandelt hat. Pedro hatte Mia verdächtigt, dass sie ihn bei mir verpfiffen hätte, was absolut an den Haaren herbeigezogen ist. Mia hat mit mir nie über Nachbarn oder ähnliches gesprochen. Eigentlich hat sie so gut wie gar nicht mit mir gesprochen. Sie hatte das Geld für die Miete immer genau abgezählt bereit und hat es mir in der Haustür überreicht. Ich war nie mit ihr im Haus“, berichtet Gomez.
„Das klingt interessant“, merkt Laura freudig an. „Sagen Sie mir alles, was Sie über diesen Pedro wissen. Wie hat er Mia bedroht? Ist er schon vorher anderweitig aufgefallen? Wo wohnt er derzeit?“
„Sein Name ist Pedro Garcia. Er wohnt schon seit Ewigkeiten in Jardim Miriam. Seit ein paar Jahren hat er mit Drogen zu tun. Das hat ihn aus der Bahn geworfen. Derzeit hat er keine Wohnung, so viel ich weiß. Er ist obdachlos und lebt wohl irgendwie auf der Straße. Ich glaube, er hat Mia nur verbal bedroht. Ich kenne die Geschichte auch nur von ihr. Sie erzählte es mir nur kurz, als ich das letzte Mal die Miete abholte. Es schien mir nicht, dass sie besonders ängstlich bezüglich dieser Bedrohung war.“
„Was hat eigentlich Mia beruflich gemacht? Wo kam das Geld her, was sie Ihnen jeden Monat bezahlt hat?“ fragt Laura.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen“, antwortet Gomez achselzuckend. „Für mich war nur entscheidend, dass das Geld immer da war. Woher es kam, war Mias Privatsache, die nur sie und niemand sonst etwas anging.“
„Danke, das war es auch erst einmal“, beendet Laura die Befragung. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt rufen Sie mich an. Hier ist meine Telefonnummer.“ Sie überreicht Gomez ihre Visitenkarte und geht zu ihrem Auto. In einer dreiviertel Stunde soll schon die außerordentliche Konferenz in Charlys Büro beginnen. Normalerweise findet diese Konferenz nur von Montag bis Freitag statt, aber aufgrund des aktuellen