Die Villa in der Oskarstraße. Ulrich Hermann Trolle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Hermann Trolle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738009644
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von 0,40 M

      L e i h f l a s c h e !

      Eigentum des Herstellerbetriebes

      1 Liter 1,60 M ausschl. Flasche

      TGL 8247

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      KONSUM – SPIRITUOSENBETRIEB

      Allstedt (Helme)

      IV-21-1 Pt G o2-81 10000 (1349)

      Macht mutig und lebensdurstig. Das erzählst du so nebenbei... Ich weiß, du bist neugierig, wie der das Weib in die Garage gekriegt hat... Ganz einfach, weißt du, sie war genauso besoffen wie er. Und haben beide nichts mehr gemerkt.

      Jetzt drehst du den Kopf zur Seite, weil dir das nicht rein will in deinen Schädel. Du glaubst, man kriegt die Weiber nur mit Charme ins Bett. Da gibt es Typen, sage ich dir, die ziehen eine Schau ab und dann gehen sie am Ende doch leer aus, weil den Weibern eben etwas an solchen Typen fehlt. Das musst du herauskriegen, es gibt kein probates Mittel dafür.

      Wie kannst du nur den Tee so kurz ziehen lassen... Aufpeitschung der Nerven statt Aufmunterung. Lass ihn mindestens zehn Minuten ziehen in dem rostigen Ei...

      Was sagst du?

      Du willst schreiben, mit Methode und Vorausschau.

      Willst du noch mal fragen... Ach so, also jetzt keine Weiber mehr.

      Drauf los, schreib... Alles eine Sache der Laune, der Wutlaune, der Gemütsstimmung. Wer die Schreibmethodik nicht beherrscht, weiß nicht, wie und an welcher Stelle er zu beginnen hat. Er wird Bastler oder Künstler.

      Der nüchterne Methodiker kennt die Mittel. Er ahnt das Ergebnis, weil er auch Psychologe ist, wenigstens ein mäßiger Psychologe, etwas davon geht auch, es geht um die Perforation...

      Unter welcher Laune beginne ich meine Gedankenverwertung, fragt Hermann und antwortet sich halblaut: Ich weiß es nicht oder weiß es doch, ich habe nur Ungefähres im Sinn...

      Das Ergebnis wird nicht die geöffnete Tür des Hauses sein, durch die ich schreite, um erneut in die Welt zu spazieren.

      Das Ergebnis kann beliebig werden: die irdische Endstation, das Sublimat, das Schafott, das Tagebuch, das Manuskript, das Zeugnis, die neue Erkenntnis, eine Traumdeutung, eine Heirat, der Selbstmord, ein höherer Dienstgrad, der, endlich, der Parteieintritt, der Diebstahl, der Standpunkt, die Erinnerung an, die Wahrheit, ein weiterer Text, eine andere Eitelkeit, die Enttäuschung...

      Dem dabei vergangenen Verlorengegangenen ist nachzutrauern.

      Und auf die Grabplatte ist zu meißeln: Verloren beim Siegen über das Selbst- Ich. Großbuchstaben, dunkler Marmor, Lebensdaten.

      Das gemeißelte Wort, das geschriebene Wort ist näher an der Wahrheit.

      Eine unwiderlegbare Behauptung. Eine andere, bessere Wahrheitsnähe ist nicht zu beweisen. Die andere Wahrheitsnähe ist das Erlebte im Kopf, allein stehend, unwiederholbar, einmalig unter den Milliarden Menschen. Das soll Wahrheit sein? Wieviel davon ist Täuschung, Verwechslung?

      ...Schräge Gedanken...

      Nüchtern, wie aus einem Protokoll wird das aufgeschriebene Wort verlesen. Also sprach Z..., Ich verkündige Euch..., Werte Gemeinde..., Liebe Genossinnen und Genossen...

      Liebe Hörer: hier ist die Europawelle, das Freie Radio, der Soldatensender, Radio Luxembourg, Sender 904 Berlin... Sie hören die Hitparade, das Hörspiel..., das Wunschkonzert des Berliner Rundfunks, die Übertragung aus dem Rundfunksaal in der Nalepastraße in Berlin-Oberschöneweide...

      Ach, das laute Reden.

      Es verstört die nachfolgenden Gedanken. Sie finden den Weg nicht mehr und kein Nachdenken folgt auf das Gebrüll der Membranen.

      Das Erinnerte aber verkümmert, wenn es nicht aufgeschrieben wird.

      Das Erinnern ist Wagnis.

      Bitte keine Erinnerungen!

      Vielleicht ein Zurückdenken, ein Zurückdenken in die geglaubte Vergangenheit, das ist erträglicher.

      Hol das Tagebuch aus der Schublade, leg es auf den Tisch, lies nach.

      Dein Gekrakel der Vergangenheiten... in Worte gehüllte Selbstsucht, Selbstversuch. Rechtfertigungen in saugenden Schlingarmen der trüben Wasser, an hellen Tagen verwunden. Ins Gelächter des Bierschaums gespuckte Entschuldigungen aus dem privaten Beichtstuhl, Geheimnis mit aufgepflanztem Penis, durchgerannt und abgeprallt und neuer Anlauf.

      Vor den Augen ein samtener Vorhang... nicht wehtun... die Sinne täuschen wollen. Und du schreibst vor langer Zeit auf A4 bürokratisch (also nicht Tagebuch, das ist kleiner), langweilig, nüchtern, täuschend, was dich bewegt, halbwahr... (...du weißt die Wahrheit nicht):

      ...Ich werde versuchen heraus zu finden, welchen Umständen ich gegenüber stand, die mich vielleicht zu dem machten, der ich heute bin und dem ich täglich ins Gesicht schaue. (Lächerlich, es werden doch nur Annahmen sein, dass ich so bin, wie ich mich sehe)

      Die Erwartung vor mir selber ist voller Neugier. (Meinetwegen. Jovial. Das kann jeder sagen)

      Ich wage das Vorhaben. Das abwertende Lächeln, das ich mir am Anfang selber gestatte, das werde ich vergessen. Es werden Vermutungen sein, die ich anstellen werde und von denen ich glaube sagen zu können, dieses oder jenes, dieser Mensch oder jene Sache hat mich beeinflusst und geformt. (Sein bestimmt Bewusstsein – die Sozialisierung beginnt eben von außen)

      Ich bin geworden, wie die zurückliegende Zeit es erlaubte, wie es Sitte und Gebrauch war und ich die Dinge meiner Umgebung annahm. Es hat für mich keine andere Zeit zur Verfügung gestanden. (Welche Zeit ist gemeint, die Sommerzeit, die Mitteleuropäische?)

      Anderes zu suchen, kam mir nicht in den Sinn. Mein Gedächtnis wird Unmengen an Erinnerungsvorrat anbieten. Was werde ich davon auswählen, wie viel wird verdrängt sein und wie viel wird für immer vergessen bleiben? Was wird meiner kritischen Feder standhalten (Papier hält stand) und allen Gegenfragen widerstehen? (Ah! Ein dialektischer Ansatz)

      Worüber werde ich nicht schreiben? Es wird Gründe geben für die Rücksicht auf andere und auch Anlässe, Verletzungen zu scheuen.

      Ich werde mein Gedächtnis achtsam behandeln. (Dann wird es nur ein halbherziges Wagnis)

      Ich werde mich mit der Tatsache abfinden müssen, dass Nebensächlichkeiten und Unwesentliches am meistens auf Erwähnung drängen. (Das weißt du also schon vorher. Hermann, bist Du ein Hellseher?)

      Die Nebensächlichkeiten und das Unwesentliche sind die ersten unter den aufkommenden Gedankenbildern, wenn ich mich Jahre zurück fallen lasse in jene Zeit, die nur wenige Jahre dauerte, etwa fünf oder sechs, die ich mit wenig Verstand durchhetzte, dass ich heute noch erstaunt darüber bin, keinen, zumindest keinen für mich erkennbaren Schaden angerichtet zu haben. (Wo kein Kläger, da kein Richter)

      Diese Zeit ist mir in einem erstaunlichen Maße gegenwärtig geblieben, weniger ihre Fakten als die Revolten und Umbrüche in meinem Inneren. (Spielst du den unbeteiligten Beobachter?)

      Ich vermeide die Wortkombination emotionale Erfahrungszeit. Das will gleich aufgeschrieben werden. Es erscheint mir einfach, schwer zu entschlüsselnde Verhaltensweisen mit Emotionen zu kaschieren. (Meint: ersetzten durch Ideologie)

      Vielleicht finde ich bessere Deutungen. Vielleicht werde ich darüber hinweg gehen und die Momente besserer Einsichten (ungenaues Qualitätsmerkmal) gar nicht bemerken und andere werden mich hinführen. Die Fakten von einst sind mir Vehikel geworden, mit dem ich zurückkehre und vor manchen immateriell gebliebenen geistigen Orten, meinen Erinnerungsbildern, still stehe. (Helm ab zum Gebet, Lieb’ Vaterland...)

      Ich werde die wie beiläufig auftauchenden Fragen nicht überhören, die mich zum Innehalten auffordern. (Vernünftig, damit hört die Beliebigkeit auf und es wird langsam interessant)

      Dann suche ich nach den Gründen, warum ich pausiere. Wahrscheinlich