Menschlich. Jonah Zorn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jonah Zorn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847623243
Скачать книгу

      Auf eine Weise erinnerte es sie an ihre Verantwortung Lauren gegenüber, dass sie ebenfalls eine so führsorgliche ‚Schwester’ sein musste; für sie da sein musste, all jenes, was Lex ihr beigebracht hatte. Einmal genauso ein Vorbild wie sie zu sein.

      „Lex?“

      „Hm?“

      „Ich war gerade nicht ganz ehrlich, ich möchte doch ganz gerne mit dir über etwas reden.“

      Ihre Schwester atmete tief ein, kuschelte sich noch mehr an sie und murmelte leicht unverständlich. „Kann das warten, ich bin…ich bin so müde.“ Ruby wollte abermals ansetzen, ließ es allerdings, als sie bemerkte, dass Lexie eingeschlafen war. Ihr Atem ging regelmäßig und sie war mit einem zufriedenen Lächeln eingeschlafen.

      Wie schmerzlich ihr klar wurde, dass sie ihre Schwester niemals verlieren wollte. Ein Leben ohne sie; undenkbar.

      Sie konnte ihren Blick lange Zeit nicht von ihr losreißen, weil sie die Sehnsucht nach alten Zeiten einholte. Letztendlich erzählte sie ihr doch bruchstückhaft, was ihr auf der Seele brannte, doch ein kurzer, nur ganz kurzer Blick zum Fernseher herüber brachte sie in die harte Gegenwart zurück. Das Gerät zeigte ohne Ton ein Bild, das sie besser kannte als ihr in diesem Moment lieb war. Sie hörte zwar nicht, was der Nachrichtensprecher sagte, doch das Abbild der jungen Frau und dem darunter liegenden Wort, reichten vollkommen um ihr selber die Sprache zu verschlagen.

      Ganz vorsichtig legte sie ihre Schwester so, dass diese an die Sofalehne gelehnt liegen blieb, um dann zur Fernbedienung zu greifen und den Ton auf ganz leiser Lautstärke anzuschalten.

      Sie schluckte, als sie nur ganz vage vernahm, was der Moderator zu dem Bild unter dem „verschwunden“ stand zu sagen hatte: „Die vierundzwanzig jährige Mia-Sophie Seidel ist nun seit über zweiundsiebzig Stunden verschwunden. Sie ist weder zu ihrer regulären Arbeit als Bankangestellte aufgetaucht, noch weiß jemand wo sie stecken könnte. Laut der Polizei sei jegliche Kommunikation fehlgeschlagen, sie ist wie vom Erdboden verschwunden. Aufgrund der ungewöhnlichen Umstände stehen die örtlichen Polizisten vor einem Rätsel und erhoffen sich nun von der Gesellschaft Hinweise…“ Er berichtete noch mehr. Aber noch mehr wollte sie nicht hören. Ihr war schlecht geworden. Mia-Sophie Seidel, sie kannte sie, gewissermaßen waren sie sogar Freundinnen. Sie hatten sich bei dem Programm der Schule kennengelernt und wenn sie sich ehrlicher Weise zurückerinnerte, dann hatte sie sie seit knapp einer Woche nicht mehr gesehen. Verschwunden, unauffindbar, das konnte doch nicht wahr sein.

      Erst nach einiger Zeit bemerkte sie, dass der Bericht längst vorbei war und sie zitternd da saß. Das war bestimmt alles nur ein Zufall; nichts davon, rein gar nichts, hatte etwas mit dem Zusammenhang von Mia mit dem Programm zu tun. Sie war schließlich eine schöne Frau, wahrscheinlich war der Täter irgendein Perverser, den sie schnell fassen würden.

      So etwas kam oft vor.

      Es schockte eben nur im ersten Moment. Wobei auch in den nächsten; wie würde das Team des Programms damit umgehen? Wie würde Mia-Sophies Schützling damit umgehen? Oh Gott, die Kleine war doch erst vierzehn. Ruby fasste sich fassungslos, willkürlich an die Kehle und schluckte.

      Sie wollte nicht mehr daran denken, es war zu grausam. Es schnürte ihr geradezu die Luft zum Atmen ab. Das Ganze wollte ihr Kopf noch nicht als wahr wahrnehmen. Vielleicht ein Verbrechen, ganz in ihrer Nähe, an einer Person, die sie persönlich kannte. Auch wenn sie dagegen ankämpfte eine stille Angst erfüllte sie. Nicht daran denken wie diese Geschichte weitergeht, bloß nicht daran denken Ruby, ermahnte sie sich selber und schaltete ganz instinktiv den Fernseher aus.

      Dunkelheit erfüllte den Raum so urplötzlich, dass sie zusammenzuckte. Draußen war es bereits dunkel geworden und bis auf den Fernseher hatte im Raum nichts Licht geworfen. Es war mit einem Mal stockduster. Dieses bekannte Gefühl beobachtet zu werden beschlich sie.

      „Hier ist niemand, du bist doch verrückt.“ Flüsterte sie sich selber zu, rutschte etwas das Polster herunter, um sich dann wie eben eine kleine Schwester an ihre Schwester zu kuscheln, die keinen Mucks von sich gab. Wie ein kleines Kind, das freilich Angst vor einem Monster im Schrank hatte, kniff sie die Augen zu und versuchte dieses fürchterliche Gefühl loszuwerden.

      Sie war allein, nur ihre Schwester neben ihr. Nur weil sie jetzt diesen Bericht gesehen hatte, musste sie nicht ihre jegliche Selbstbeherrschung verlieren, das wäre für den heutigen Tag freilich zu viel.

      Ganz ruhig, Ruby, wiederholte sie immer wieder und wieder in Gedanken.

      Ganz ruhig, Lex liegt genau neben dir.

      Das wird sich ganz schnell regeln, du wirst sehen, morgen sieht die Welt schon wieder anders aus…

      Kapitel 6

      „Und es heißt sie ist wie vom Erdboden verschwunden und niemand kann sich einen Reim auf ihr Verschwinden machen?“

      „Ja das wurde gesagt.“

      Während Lexie eifrig ihre Schale Müsli löffelte, stocherte Ruby nur darin rum. Irgendwann war sie wohl eingeschlafen, aber sie hatte nur schlecht geschlafen. All jene Ereignisse musste ihr bescheuertes Gehirn in Alpträumen verarbeiten und sie war letzten Endes schweißgebadet im Gästebett gegen Sechs Uhr früh aufgehetzt. Völlig orientierungslos und verwirrt. Bis sie sich daran zurückerinnert hatte, dass sie bei ihrer Schwester übernachtet hatte, war sie schon längst durch das Loft herumgerannt, nach irgendwem rufend. Lexie hatte sie dann im letzten Moment davor zurückgehalten aus dem Fenster zu rufen. Erst da ist ihr klar geworden wo sie war. Nachdem sie dann als vollkommen geisteskrank beschimpft wurde und ihr klar wurde, dass die Nachbarn ihrer Schwester überhaupt nicht begeistert waren von ihren morgendlichen Weckrufen, beruhigte sie sich.

      Wie auch immer, sie hatte ihrem Namen wieder alle Ehre gemacht, indem sie sich vollkommen zum Affen gemacht hatte.

      „Deswegen machst du dich so verrückt?“ Ruby ließ den Löffel in die volle Müslischale fallen und schaute ihre Schwester vorwurfsvoll an. „Ich kannte sie.“

      „Na und?“

      „Tut mir leid, dass ich damit nicht so vertraut bin, wenn jemand in meiner Gegenwart auf unheimliche Weise verschwindet.“ „Worüber machst du dir denn so Sorgen?“ Während Lex ihren Kaffee schlürfte, verzog sie keine Miene. „Ich hätte dich wirklich für einfühlsamer gehalten, Schwester.“

      „Es ist früh am Morgen. Ach Süße,…“ Ihre Schwester stand auf, stellte die nun leere Kaffeetasse in die Spüle und rubbelte dann mit dem Badetuch auf ihrem Kopf ihre Haare trocken, um sie dann wie sie waren, trocknen zu lassen. Ruby war jedes Mals wieder davon fasziniert, dass die Haare ihrer Schwester perfekt lagen, obwohl sie sich kaum Mühe damit machte. Nicht einmal Föhnen war nötig; wie unfair, sie hatte eben doch nur die schlechten Gene vererbt bekommen.

      „…du brauchst dir keine Sorge zu machen. Bestimmt war diese Mia einfach ausgelaugt, sie hatte alles satt und hat sich abgesetzt. Das kommt öfter vor. Nicht jeder Vorfall ist ein grausames Verbrechen, nur weil die Nachrichten einem genau das vorgaukeln. Dir wird nichts passieren, dafür Sorge ich schon.“

      „Und wie willst du dafür sorgen?“ Sie wurde fies angegrinst und musste blitzschnell reagieren, da ihr der Ersatzschlüssel ihres Hauses zugeworfen wurde. Wie dämlich war sie eigentlich, dass sie vergessen hatte, dass sie ihrer Schwester einen Schlüssel gegeben hatte? Aus solchen Gründen.

      „Nun, so lange du dich, während du schläfst, an mich klammerst, dürfte meiner Ansicht nach nicht viel passieren.“

      „Das hab ich?“ Lexie lachte laut. „Oh ja das hast du. Ich weiß nicht mehr genau wann ich aufgewacht bin, aber als ich wach war, habe ich nur deinen krampfhaften Griff um meinen Arm gespürt. Und du hast auch nicht mehr losgelassen.“

      Ruby wurde rot und begann zu essen, als Übergangshandlung, obwohl sie gar keinen Hunger hatte.

      „Hab ich überhaupt nicht bemerkt.“

      „Dacht’ ich mir. Ist aber auch unwichtig, ich nehme dir das