Menschlich. Jonah Zorn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jonah Zorn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847623243
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in die Luft schauten. Keiner wagte es sich etwas zu sagen, keiner schaute Ruby mehr an. Nach einiger Zeit auch nicht mehr ihre Mutter, die sich beleidigt wieder setzte und die Teller zusammenräumte.

      „Danke Leute. Echt, ich bin wieder die, die den Abend zunichte gemacht hat. Zeigt es mir noch deutlicher.“ Ruby brauste mit gemischten Gefühlen davon. Sollten sie doch denken was sie wollten, sollten sie sie doch ausschließen, für sie war dieses Thema vorerst gegessen. Den nächsten Freitag würde sie anders verbringen. Irgendwie musste sie ihre Mutter doch zur Vernunft bringen können und wenn es mit indirekter Gewalt war. Sie wusste, wenn sie sie einfach gnadenlos ignorieren würde, würde ihre Mutter irgendwann angekrochen kommen; sie konnte es nicht lange ertragen, wenn eines ihrer Kinder sauer auf sie war.

      Diese Eskalation rundete den Tag ab. Schlechtes Geschäft, Probleme mit dem Mädchen, der ewige Stress mit der Mutter.

      Kurz bevor sie an ihrem Wagen ankam hörte sie plötzlich, dass jemand ihren Namen rief. „Ruby, warte doch mal eben.“ Es war Lexie, die hinter ihr her gerannt kam, mit einem ernstzunehmenden, besorgten Blick. „Was ist?“

      „Du weißt, dass sie es nicht böse meint.“

      „Es ist mein Leben, Lex. Nicht ihres.“

      „Ja da hast du Recht, aber sie ist wie sie ist, das kannst du auch nicht ändern.“

      „Warum kann sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ Ihre Stimme brach mit einem Mal so schnell ein, dass sie sie nicht mehr unter Kontrolle bekam. „Warum tut sie nur mir das an?“

      Ihre Schwester überging auch noch den letzten Freiraum zwischen ihnen und nahm sie liebevoll in den Arm. „Du bist nun mal die Jüngste von uns allen. Und du bist dadurch etwas Besonderes, weil du das letzte Kind von ihr und Vater bist. Du erinnerst sie an ihn, weil du ihm am meisten von all ihren Kinder ähnelst, sowohl vom Aussehen als auch von Charakter her, sie will dich nur beschützen.“

      „Ich kann auf mich allein aufpassen.“ Lexie ließ es zu, dass Ruby sich aus der Umarmung befreite, strich ihrer Schwester jedoch noch eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ergänzte warm lächelnd. „Natürlich kannst du das, aber du solltest dich mit dem Gedanken arrangieren, dass wir dir als Familie gerne helfen wollen. Und dazu gehören auch Mutters etwas seltsame Tätigkeiten.“

      „Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.“

      „Wunderbar.“ Der Blick ihrer Schwester wurde blitzschnell eine Spur ernster. „Im Angesicht der Umstände, willst du mir möglicherweise etwas sagen?“ So viel, dachte sie sich wehmütig, doch die Probleme mit Lauren musste sie allein regeln. Das war ihre ganz persönliche Aufgabe, das hatte sie sich geschworen. Wenigstens diesen Drang ihrer Mutter wollte sie mit eigenen Kräften meistern.

      „Nein es gibt nichts.“ Sie schaffte es ein wackeres Lächeln auf die Lippen zu kriegen, was Lexie zwar nicht zu überzeugen schien, sie aber zum Nachlassen brachte.

      „Okay gut, du weißt du kannst mich jederzeit anrufen.“ Ihre Schwester machte mit ihrer rechten Hand das Zeichen für ein Telefon und erhob dabei fordernd eine Augenbraue.

      „Ich weiß…oh verdammt.“ Erst jetzt fiel es Ruby wieder ein. Telefon. Als Lukas sie zur Mittagszeit angerufen hatte, war sie samt Telefon, allerdings ohne Schlüssel aus dem Haus gegangen. Sie kam nicht in ihr eigenes Haus rein.

      „Was?“

      „Ich habe mich selbst ausgesperrt heute Mittag, ich muss einen Schlüsseldienst rufen.“

      „Wir haben nach Neun, es gibt höchstens noch Notdienste und die kosten Schweinegeld.“

      „Scheiße.“ Die Jüngere von beiden ging sich konfus durch die Haare und wirkte beinahe wie ein verwirrtes Reh. „Mist.“ Diese Vorstellung brachte Lexie zum Lachen, und das was sie nun sagte, konnte sie sich einfach nicht verkneifen. „Und du willst mir erzählen, dass du dein Leben auf die Reihe bekommst?“ Diese Anspielung verfehlte wohl nicht die Wahrheit und da sie neckisch gemeint war, konterte Ruby jetzt wieder etwas lockerer. „Wenn du mich so liebst, wie du immer behauptest, nimmst du mich mit zu dir nach Hause, damit ich dann morgen früh einen normalen Schlüsseldienst anrufen kann.“

      „Ich sollte dich im Auto schlafen lassen, Schwesterchen. Aber ich bin ja kein Unmensch. Ich gehe mich nur eben verabschieden, dann komme ich.“ Lexie ging immer noch schmunzelnd zum Haus herüber, fing jedoch abermals an zu lachen, als Ruby ihr einen Kuss zufliegen ließ.

      Kapitel 5

      Bei ihrer Schwester Zuhause war es um einiges gemütlicher, als bei ihr. Vermutlich lag das an ihrer unaufgeräumten Behausung, die sie in nächster Zeit auch nicht aufräumen würde, aber auch daran, dass der Freund von Lex nicht daheim war. Sie hatte es ihrer Schwester noch nie gesagt, aber sie konnte den Kerl nicht ausstehen. Er war ein absolutes Arschloch und sie verstand nicht aus welchem Grund Lexie so blind war in seiner Gegenwart. Normalerweise hatte sie nämlich einen messerscharfen Menschenverstand, konnte jegliche Emotionen rasant erkennen und wusste Gesichtsausdrücke sowie sprachliche Ausdrücke zu deuten wie eine dafür ausgebildete Psychiaterin. Bei ihm allerdings traf das Sprichwort „Liebe macht blind“ vollkommen zu.

      Dieses Bild hatte sie nicht immer von ihm, denn die ersten Wochen, die sie ihn kannte empfand sie ihn wie geschaffen für Lex. Er war charmant, gut aussehend, charismatisch und noch viele andere augenscheinlich positive Eigenschaften, die trotzdem allesamt von seiner Untreue übertroffen wurden. Ruby konnte nicht sagen, ob Nick ihre Schwester mit anderen Frauen betrog, sie konnte nur vermuten.

      Angefangen hatte sie damit, nachdem Lexie ihren Freund auf Rubys einundzwanzigsten Geburtstag mitgebracht hatte und er es unglaublich interessant fand sie mit Alkohol abzufüllen. Wie dem auch sei, sich zu wehren war ihr schon nach zwei Drinks versagt und diese Chance nutzte er schamlos aus. Er war schuld, dass sich ihre Schwester und sie verkracht haben, wie sie es nie zuvor getan hatten. Während Ruby selber noch froh war relativ aufrecht stehen zu können, machte er sich an die kleine Schwester seiner Freundin ran. Aufgrund des Alkohols konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen und ließ sich von seinen Schmeicheleien und Komplimenten voll säuseln, was er so lange tat, bis er sie einfach küsste. Gedankenlos hatte sie mitgespielt, wahrscheinlich auch noch Schlimmeres, wenn Lexie sie nicht erwischt hätte. Aber anstatt ihrem Freund die Schuld zu geben, der die Situation damals so ausgesehen lassen hat, dass Ruby, betrunken wie sie war, sich über ihn hergemacht hatte, bekam sie die volle Wut von ihr ab. Es dauerte ganze vier Wochen, bis ihr Verhältnis wieder auf dem Stand von vorher war. Und dieser Wichser hatte sie diese vier Wochen über getröstet und ihr beigestanden, freilich auf seine Art und Weise.

      Wenn sie noch heute darüber nachdachte, bekam sie diesen Drang ihn erwürgen zu wollen, aber bis jetzt ist er noch unangreifbar. Sie durfte seitdem nicht mehr in seine Nähe, sonst würde sie von Lex gnadenlos zerstört werden.

      „Dir geht’s gut, nicht wahr?“ Ruby sah an sich selber herunter. Ihre Füße waren auf dem Couchtisch abgelegt, sie hatte eine Bierflasche in der Hand und die Schale voller Chips lag auf ihren hochgelegten Beinen. „Ja, ja doch mir geht es gut.“ Danach widmete sie sich wieder dem Fernseher, in dem die Spätnachrichten liefen. Sie hatte ihn irgendwann auf stumm gestellt, wusste aber nicht mehr wann und warum. Gerade als sie den Ton wieder anmachen wollte, setzte Lexie sich zu ihr und lehnte sich an ihre Schulter.

      „Wann haben wir das letzte Mal einen Abend zusammen verbracht, nur wir beide?“ Ruby blickte in das Gesicht ihrer Schwester, die die Augen geschlossen hatte und die Beine an den Körper gezogen hatte.

      „Ich weiß nicht, es ist schon länger her.“

      „Ich hab’s vermisst.“ Es trat ein Lächeln auf die zarten Züge von Lex, die so schien, als ob sie gleich einschlafen würde.

      „Ich auch.“ Es trat Stille ein. Keine betretene Stille, sondern eher eine Vertraute. Ruby kam es zwar komisch vor, aber diese Geborgenheit, ja sogar die Wärme an ihrer Seite, hatten ihr gefehlt. Lex war zwar nur vier Jahre älter, aber sie hatte immerzu über ihre kleine Schwester gewacht und für Ruby war sie, wenn man es so sagen durfte,