„Das würde nichts bringen und das weißt du.“
„Ich will nun mal helfen.“ Lauren seufzte laut und presste die Zähne aufeinander. Langsam hatte sie genug davon ewig auf ihren Problemen mit ihrer Mutter herumzukauen. Es war sowieso nur noch eine Frage der Zeit bis restlos alles den Bach herunterging.
Wie diese stinkende Bachforelle von heute Morgen; sie wollte gar nicht anfangen darüber nachzudenken.
„Ist es denn schon besser geworden?“ Am liebsten hätte sie Ruby mitten ins Gesicht sagen wollen, sie solle doch endlich leise sein, doch Rubys Sorge war echt und das rührte sie, sodass sie sich fügte. Tief im Inneren tat es gut zu reden. „Es wird nur noch schlimmer. Sie geht auch nicht mehr zu den Anonymen Alkoholikern. Was rede ich da, wenn sie sagte sie gehe zu der Selbsthilfegruppe war sie hundertprozentig in irgendeiner Kneipe und hat sich die Hucke voll gesoffen.“
„Hast du sie mal damit konfrontiert?“
„Ich bin Luft für sie geworden. Als ob ich gar nicht existieren würde. Sie guckt mich mit leeren Augen an und dreht sich wieder dem Fernseher zu. Dann schreie ich sie wie wild an, aber sie nuckelt nur weiter an ihrer Flasche wie ein kleines Baby.“ Lauren atmete tief ein und aus, als ob sie die aufrauschende Wut niederstrecken musste. „Wenn ich ihr die Flasche dann aus der Hand reißen will dann, dann wird sie plötzlich hellwach, kämpft um dieses Teufelszeug und schreit mich stattdessen an, ich soll doch zu meinem gottverdammten Vater kriechen.“
„Das kann doch nicht sein.“ Ruby war fassungslos. Sie hatte schon einige Geschichten gehört, konnte sich aber nie vorstellen, wie es im Alltagsleben aussah.
„Dabei ist er doch tot.“ Flüsterte Lauren, während sich ihr zorniges Gesicht abrupt änderte und sich ihre Augenbrauen nach oben bewegten. Auf der Stelle nahm Ruby ihre Hand in Ihre.
„Denk nicht über den Unfall nach, Süße. Wir machen das schon. Wir zusammen. Ich helfe dir bei allem.“ Lauren entwand sich ihr und stand starr auf. Sie war stark aber diese Stärke entwickelte sich aus rasenden Aggressionen, die sie die Tage über hinweg in sich hineinfraß. Irgendwann explodierte diese riesige Ansammlung, in den meisten Fällen allein zuhause im Bett und endete in einem Heulkrampf, doch heute sollte es anders sein. Heute sollte der trauernden Wut keine Grenzen gesetzt sein, heute sollte sie jemand zu spüren bekommen, der vielleicht nicht dafür verantwortlich war, der vielleicht sogar helfen wollte, der hier und jetzt aber in der richtigen Reichweite dafür war.
„Wie willst du mir helfen, Ruby? Sag mir das, wie? Indem du mit meiner Mutter versuchst zu reden, die nicht einmal ihrer eigenen Tochter zuhört? Deren Leben sie sofort für eine Flasche ihres Fusels verkaufen würde? Das ich nicht lache. Renn zu meiner Direktorin, renn zum Jugendamt, mach was du willst, diese ganzen Dreckskriecher interessiert es einen Scheiß, was mit Kindern wie mir passiert. Verluste gibt es immer, oder nicht? Seitdem mein Vater gestorben ist, ist auch mein Leben gestorben. Also fang nicht wieder an irgendwelche Reden zu schwingen. Mach es wie alle, ergötze dich an deinem wunderbaren Leben und vergiss mich einfach. Es ist einfach, versuch es mal.“ Es waren nicht nur die Worte, die sie trafen wie ein Stich mit glühendem Stahl ins Herz, sondern auch der Ernst, der in der Stimme des jungen Mädchens lag. Es brachte sie mit all ihren Sinnen um den Verstand. Sie konnte nichts dagegen unternehmen, sie bewegte, sie sagte, sie dachte rein gar nichts, als Lauren sich abgehackt umdrehte und sich einen Weg durch die baffen Gesichter bahnte.
Kapitel 4
„Kann ich Ihnen möglicherweise einen Kaffee oder Ähnliches anbieten?“ Die alte Dame saß auf dem Sessel mit Beistelltisch, der für Kunden gedacht war. Neben ihr lag ihr Husky Sammy auf der Fusseldecke, die bis jetzt jeder Hund liebte. Sie rollten und kratzten sich wie die Irren auf dieser Decke. So sah nach jedem Besuch dann auch Rubys Fliesenfußboden aus, übersäht von weißen Flusen.
„Einen Tee bitte.“
„Natürlich.“ In einem Rutsch machte sie die Herdplatte an, um das Wasser zu erhitzen, holte einen Teebeutel, den sie in den Tiefen des Schrankes fand, heraus, schaltete all die Lampen die sie zum Fotografieren brauchte an und legte sich die Hightechkamera um den Hals.
Nach dem Ausbruch von Lauren hatte sie kaum noch irgendetwas richtig gemacht. Alles lief schief und ihr war so schlecht wie schon lange nicht mehr. Hämmernde Kopfschmerzen beherrschten sie bereits die Autofahrt hierher, bis jetzt, wo sie die Leistung erbringen sollte die perfekten Fotos zu schießen. Mit zitternden Händen?
Der Wasserkocher pfiff auf einmal, was sie hart in die Realität zurückholte. Wie lange hatte sie mit geschlossenen Augen an den Tresen gelehnt hier gestanden? Mehrere Minuten mindestens, die ihr niemals so vorkamen. Sie war fertig.
„Hier bitteschön. Ich hoffe es schmeckt Ihnen.“ Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, hatte sie den Tee fertig zubreitet und die restlichen Vorkehrungen für das Schießen der Fotos getroffen. Sie wollte das Ganze schnell von der Bühne bringen, damit sie um Gotteswillen noch zu ihrem Familienessen fahren konnte. Stress mit ihrer Mutter fehlte ihr heute noch.
„Vielen Danke, junge Dame. Wissen Sie Sammy ist schon ganz aufgeregt.“ Ruby zwang sich zu einem Lächeln ab, während sie an der Fensterscheibe stand und darauf wartete, dass die Frau ihre Wünsche preisgab. „Wo möchten Sie die Fotos geschossen haben?“
„Ich würde sehr gerne welche in der Blackbox machen, ist das möglich?“
„Aber klar doch.“ Die Blackbox war ihr lieber als alles andere, dort die Fotos zu machen ging am schnellsten und war am wenig aufwendigsten.
„Kann ich noch schnell Sammys Fell bürsten, um es zum Glänzen zu bringen?“
„Sicherlich, ich breitete so lange die Box vor.“ Die Blackbox befand sich in einem Extraraum, da sie völlige Dunkelheit brauchte. Ruby hatte sich dazu entschieden sie sich anzuschaffen, nachdem sie den ersten hohen Andrang und somit die ersten Massen an Geld gemeistert hatte, um noch präsenter zu werden. Die Anschaffung hatte sich schon jetzt gelohnt, genauso wie ihre Vorgehensweise am Anfang so viel Geld und Arbeit in das Studio zu stecken, wie sie nur konnte. Sie hatte sich ein ordentliches Geschäft aufgebaut und diese Geschäftslücke in der Stadt meisterlich ausgefüllt. Jetzt konnte sie daran denken das Geld für ihre persönlichen Angelegenheiten in den Wind zu pusten. So, wie sie es früher nie durfte. Nur komischer Weise war es ihr dann wieder zu schade - wahrscheinlich hatte ihre Mutter sie doch mehr geprägt als sie es immer wollte. Ach verdammt, dachte sie sich, als sie gerade wieder aus dem Raum kam, vorbei an der Fensterfront, wo sie noch im Augenwinkel sah, wie ein großer, braunhaariger, sportlicher Junge in ihr Schaufenster lugte. Leicht seltsam kam er ihr schon vor, weil er, als sie ihn gesehen hatte, so eilig davon ging, doch ihre Kundin war bereit die Fotos zu machen. Viel glänzender war der Hund nun zwar nicht, aber es würde kein Problem sein den Computer später dafür zu benutzen anstatt einer Fellbürste. Das war wohl der Generationsunterschied.
Es dauerte mindestens eine ganze Stunde bis dieses alte Töle ruhig auf dem Podest stand und ein akzeptables Motiv abgab. Am Ende hatte Ruby vielleicht zehn schöne Fotos von dem Hund und geringstenfalls doppelt so starke Rückenschmerzen. Sie war zu groß für die Box, musste also die ganze Zeit über gekrümmt stehen. Das Schrecklichste, beziehungsweise die größte Anstrengung war die darauf folgende Besprechung mit der Kundin. Da schimmerten die Augen nicht gut genug, auf diesem Bild war der Kontrast nicht groß genug, dort spitzte Sammy nicht die Ohren, hier guckte die Zunge ein Stück heraus und so weiter, es war zum verrückt werden. Zwar musste sie zugeben, dass sie an diesem Tag nicht fähig war die perfekten Fotos zu schießen, die die Kunden gewohnt waren, doch dafür, dass der Husky so verdammt unkooperativ war, waren sie noch gut. Irgendwann hatte sie es geschafft die alte Dame damit zu besänftigen, dass der Preis etwas sank und sie die Fotos noch bearbeiten würde, damit diese Makel verschwänden. Das hatte sie aber bereits auf Morgen verschoben. Hauptsache sie hatte endlich Ruhe