Er wandte sich um und ging unter Deck. In düsterer Stimmung blieben Clayton und Alice zurück. Clayton glaubte nicht an die Absicht des Schwarzen Michaels, die britische Regierung zu verständigen. Außerdem fürchtete er, dass die Matrosen, die sie an Land bringen sollten, sich nicht mehr an die Befehle ihres neuen Kapitäns halten würden, sobald sie außer Sichtweite waren.
Aber selbst, wenn es keine Zwischenfälle gab, welches Schicksal erwartete sie? Seinetwegen machte er sich keine Sorgen. Er war ein durchtrainierter, athletischer Mann, den keine Strapaze schreckte. Wie aber stand es mit Alice und dem neuen Leben, das in ihr wuchs? Würde sie die Anforderungen eines harten, unbarmherzigen Dschungellebens durchstehen, den Gefahren und Drohungen einer primitiven, an Entbehrungen reichen Existenz trotzen?
Früh am nächsten Morgen wurden die zahlreichen Kisten und Kästen, die ihre Habe bargen, an Deck getragen. Da sie sich auf einen mehrjährigen Aufenthalt in ihrer neuen Heimat vorbereitet hatten, enthielt das Gepäck nicht nur Lebensnotwendigkeiten, sondern sogar einige Luxusartikel. Der Schwarze Michael achtete sorgsam darauf, dass nichts, was den Claytons gehörte, an Bord zurückblieb. Er bestand sogar darauf, dass der Matrose, der Claytons Pistolen an sich genommen hatte, sie zurückgab.
Das Gepäck wanderte in das Beiboot, dazu kamen aus den Vorräten des Schiffes gesalzenes Fleisch und Zwieback, Kartoffeln - und Bohnen, Zündhölzer, Kochtöpfe, ein Kasten mit Werkzeug und die alten Segel, die der Schwarze Michael ihnen versprochen hatte.
Michael begleitete sie an Land, als teilte er ihre Befürchtungen.
Er war der letzte, der das Beiboot wieder bestieg, nachdem die Matrosen ihre Fässer mit Frischwasser gefüllt hatten. Stumm blickten Clayton und seine Frau dem kleinen Boot nach, das auf die Fuwalda zustrebte. Als der Segler eine halbe Stunde später die schmale Einfahrt passierte und ihren Blicken entschwand, warf Alice die Arme um Claytons Hals und presste ihr tränenüberströmtes Gesicht an seine Brust.
Weder der Mann noch die Frau ahnten, dass zwei Augen - nahe beisammen liegende, verschlagene Augen unter zottigen Brauen - sie vom Rand einer niedrigen Anhöhe beobachteten.
»Wie schrecklich, John«, sagte Alice, als ihre Tränen versiegt waren. »Nun ist es geschehen, wir sind allein im Dschungel. Was sollen wir tun?«
»Arbeiten, uns beschäftigen«, erwiderte Clayton mit fester Stimme und drückte seine Frau an sich. »Unsere Rettung kann nur in der Arbeit liegen. Wir dürfen uns nicht dem Grübeln überlassen, das wäre unser Verderben. Man wird uns finden, dessen bin ich sicher. Sobald sich herausstellt, dass die Fuwalda ihren Bestimmungsort nicht erreicht hat, wird man uns suchen, selbst wenn der Schwarze Michael sein Wort nicht hält.«
Alice begann erneut zu schluchzen. »Wenn es nur um dich und mich ginge, John, würden wir die Wartezeit überstehen, das weiß ich, aber...«
»Auch daran habe ich gedacht«, sagte er, ihr über das Haar streichend. »Es gibt kein Problem, das nicht zu lösen wäre. Vor hunderttausend Jahren lebten unsere Vorfahren unter den gleichen primitiven Verhältnissen wie wir. Sie wurden damit fertig, sonst existierten wir heute nicht. Gegen sie, die nur Waffen aus Stein und Knochen besaßen, sind wir reich, und zudem verfügen wir über alle Erfahrungen, die uns die Wissenschaft bescherte. Und da sollten wir nicht mit den Problemen fertig werden, die jene primitiven Geschöpfe zu lösen vermochten?«
Alice lächelte unter Tränen. »Du hast recht, John. Verlass dich auf mich. Ich werde mich bemühen, dir eine tapfere Gefährtin zu sein.«
Claytons erste Sorge galt der Schaffung einer sicheren Unterkunft, die ihnen nachts Schutz vor den blutgierigen Bestien des Dschungels bot. Zuerst öffnete er die Kiste mit den Waffen und der Munition, so dass sie sich während der Arbeit gegen überraschende Überfälle zur Wehr setzen konnten. Dann suchte er nach einem geeigneten Platz für die erste Nacht. Etwa hundert Meter vom Bach entfernt entdeckte er auf einer kleinen Lichtung eine ebene Stelle, die ihm als Platz für das künftige Haus geeignet schien. Vorerst aber gedachte er eine Art Hütte in den Bäumen zu errichten, um vor den nachts auf Beute ausziehenden Raubtieren sicher zu sein. Er wählte vier Bäume, die ein Quadrat von etwa drei Metern Seitenlange bildeten. Mit Axt und Tauwerk aus dem Werkzeugkasten errichtete er eine Plattform in den Zweigen, die er mit dicken Schichten des mannshoch wachsenden Elefantengrases polsterte und mit einer dreifach gefalteten Segelleinwand abdeckte. Gegen den Regen baute er zwei Meter höher eine ähnliche Plattform als Dach. Dann trug er ihre Decken und einen Teil des leichteren Gepäcks in die neue Behausung. Inzwischen war es später Nachmittag geworden, der Rest des Tages verging mit der Anfertigung einer Leiter, auf der Alice in die primitive Hütte klettern konnte. Bunte, exotische Vögel und aufgeregt schnatternde Affen hatten die Ankunft der Fremdlinge und den Fortgang der Arbeiten beobachtet. Obwohl sie scharf Ausschau hielten, gewahrten weder Clayton noch Alice größere Raubtiere, aber es fiel ihnen auf, dass die putzigen, kleinen Affen wiederholt ängstliche Blicke zum Rand der Höhe warfen und zweimal kreischend die Flucht ergriffen.
Kurz vor Einbruch der Dämmerung füllte Clayton aus dem nahen Flüsschen eine große Schüssel mit Wasser und stieg mit Alice über die Leiter in die verhältnismäßig sichere, luftige Behausung hinauf. Es war sehr warm, deshalb hatte Clayton die seitlich herabhängende Zeltleinwand über dem Dach zusammengeschlagen. Sie kauerten sich wie Türken auf die Decken, und Lady Alice ließ den Blick langsam über die dunkler werdenden Schatten ringsum schweifen. Plötzlich hielt sie den Atem an und griff nach Claytons Arm.
»John«, flüsterte sie, »dort hinten! Was ist das? Ein Mensch?«
Clayton wandte den Kopf in die Richtung, in die sie wies. Am Rand der Höhe erkannte er undeutlich die Silhouette einer hohen Gestalt, die sekundenlang wie lauschend stand und dann mit dem sie umgebenden Schatten verschmolz.
»Was war das, John?«, wiederholte Alice.
Clayton schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Alice. Die Entfernung war zu groß, um das klar zu erkennen. Vielleicht war es nur ein Schatten, den der aufgehende Mond warf.«
»Nein, John. Wenn es kein Mensch war, dann war es das riesige, unheimliche Zerrbild eines Menschen. Ich fürchte mich, John, ich habe Angst.«
Er schloss sie in die Arme und sprach ihr Mut zu. Allmählich entspannte sich ihr verkrampfter Körper. Bald darauf zog Clayton die Seitenplanen herab und verknotete sie fest mit der Plattform. Nur zum Strand hin ließ er eine schmale Öffnung, durch die sie notfalls schnell ins Freie gelangen konnten. Die Dämmerung war in pechschwarze Nacht übergegangen. Sie streckten sich auf ihrem Lager aus, um einige Stunden Schlaf und Vergessen zu finden.
Clayton lag mit dem Gesicht zum Einschlupf, ein Gewehr und zwei Pistolen griffbereit neben sich. Kaum hatten sie die Augen geschlossen, als der furchterregende Schrei eines Panthers aus dem Dschungel hinter ihnen aufstieg. Näher und näher kam das Fauchen, bis sie die Bestie direkt unter sich hörten. Länger als eine Stunde schnupperte die große Raubkatze durch das Gras und schlug ihre Krallen in die Rinde der Bäume, welche die Plattform trugen. Schließlich entfernte sie sich zum Strand hin, wo Clayton sie im hellen Mondschein deutlich erkennen konnte - ein großes, schönes Raubtier, den größten Panther, den er je zu Gesicht bekommen hatte.
Sie verbrachten eine unruhige Nacht, denn die vielfältigen Geräusche des Dschungels endeten nie und zerrten an ihren Nerven. Immer wieder erklangen grelle Schreie, bewegten sich mächtige Tierkörper unter ihnen.
Drittes Kapitel: Leben und Tod
Gleich am nächsten Morgen begann Clayton, nachdem