Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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nicht aufheben: der reiche Bäcker soll ihn haben, er kann es am besten verschmerzen, aber unrecht ist es bei alledem doch, daß ich's thue!«

      »Auch das Gewissen der Frau muß ich noch obendrein belasten!« seufzte es in dem Schillinge. »Bin ich denn auf meine älteren Tage wirklich so verändert?«

      Die Frau begab sich zu dem reichen Bäcker, aber der kannte gar zu gut die gangbaren Schillinge, als daß er mich hätte behalten sollen, er warf mich der Frau grade in's Gesicht, Brot bekam sie für mich nicht, und ich fühlte mich so recht von Herzen betrübt, daß ich solchergestalt zu Anderer Ungemach ausgemünzt sei, ich, der ich in meinen jungen Tagen freudig und sicher mir meines Werthes und echten Gepräges bewußt gewesen war! So recht traurig wurde ich, wie es ein armer Schilling werden kann, wenn Niemand ihn haben will. Die Frau nahm mich aber wieder mit nach Hause, sie betrachtete mich mit einem herzlichen, freundlichen Blicke und sagte: »Nein, ich will Niemand mit dir anführen! Ich will ein Loch durch dich schlagen, damit Jedermann sehen kann, daß du ein falsches Ding bist – und doch – das fällt mir jetzt so ein, – du bist vielleicht gar ein Glücksschilling, – kommt mir doch der Gedanke so ganz von selbst, daß ich daran glauben muß! Ich werde ein Loch durch den Schilling schlagen und eine Schnur durch das Loch ziehen, und dem Kleinen der Nachbarsfrau den Schilling um den Hals als Glücksschilling hängen.« Und sie schlug ein Loch durch mich; angenehm ist es freilich nicht, wenn ein Loch durch Einen geschlagen wird, allein wenn es in guter Absicht geschieht, laßt sich Vieles ertragen! Eine Schnur wurde auch durchgezogen, ich wurde eine Art Medaillon zum Tragen, man hing mich um den Hals des kleinen Kindes, und das Kind lächelte mich an, küßte mich, und ich ruhte eine ganze Nacht an der warmen, unschuldigen Brüst des Kindes.

      Als es Morgen wurde, nahm die Mutter mich zwischen ihre Finger, sah mich an und hatte so ihre eigenen Gedanken dabei, das fühlte ich bald heraus. Sie suchte eine Scheere hervor und schnitt die Schnur durch.

      »Glücksschilling!« sagte sie. »Ja, das werden wir jetzt erfahren!« Und sie legte mich in Essig, daß ich ganz grün wurde; darauf kittete sie das Loch zu, rieb mich ein wenig und ging nun in der Dämmerstunde zum Lotteriecollecteur, sich ein Loos zu kaufen, das Glück bringen sollte.

      Wie war mir übel zu Muthe! Es zwickte in mir, als müßte ich zerknicken, ich wußte, daß ich falsch genannt und hingeworfen werden würde, und zwar grade vor die Menge von Schillingen und Münzen, die mit Inschrift und Gesicht da lagen, auf welche sie stolz sein konnten, aber ich entging der Schande, beim Collecteur waren viele Menschen, er hatte gar viel zu thun, und ich fuhr klingend in den Kasten unter die andern Münzen; ob später das Loos gewann, weiß ich nicht, das aber weiß ich, daß ich schon am andern Morgen als ein falscher Schilling erkannt, bei Seite gelegt und ausgesandt wurde, um zu betrügen und immer zu betrügen. Es ist nicht auszuhalten, wenn man einen reellen Charakter hat, und den kann ich mir selber nicht absprechen.

      Jahr und Tag ging ich in solcher Weise von Hand zu Hand, von Haus zu Haus, immer ausgeschimpft, immer ungern gesehen; Niemand traute mir, und ich traute mir selbst, traute der Welt nicht, das war eine schwere Zeit! Da langte eines Tags ein Reisender, ein Fremder an, bei dem wurde ich angebracht, und er war treuherzig genug, mich für gangbare Münze anzunehmen; aber nun wollte er mich abermals ausgeben, und ich vernahm wieder die Ausrufe: »taugt nichts! falsch!«

      »Ich habe ihn für gut erhalten,« sagte der Mann, und betrachtete mich dabei recht genau; plötzlich lächelte sein ganzes Gesicht, das geschah sonst mit keinem Gesichte, wenn man mich besah. »Nein, was ist doch das!« sagte er. »Das ist ja eine unserer eigenen Landesmünzen, ein guter, ehrlicher Schilling aus der Heimath, durch den man ein Loch geschlagen, den man falsch nennt. Das ist in der That curios! Dich werde ich doch aufheben und mit nach Hause nehmen!«

      Die Freude durchrieselte mich, man hieß mich einen guten, ehrlichen Schilling, und nach der Heimath sollte ich, zurückreisen, wo Alle und Jeder mich kennen und wissen würden, daß ich aus gutem Silber sei und echtes Gepräge habe. Ich hätte vor Freude Funken schlagen können, aber es liegt nun einmal nicht in meiner Natur zu sprühen, das kann wohl der Stahl, nicht das Silber.

      Ich wurde in ein feines, weißes Papier eingewickelt, damit ich nicht mit den andern Münzen verwechselt werden und abhanden kommen möchte, und bei festlichen Gelegenheiten, wenn Landsleute sich begegneten, wurde ich vorgezeigt und es wurde sehr gut von mir gesprochen; sie sagten, ich sei interessant: es ist freilich merkwürdig, daß man interessant sein kann, ohne ein einziges Wort zu sagen.

      Endlich langte ich in der Heimath an! Alle meine Noth hatte ein Ende, die Freude kehrte wieder bei mir ein, war ich doch von gutem Silber. hatte das echte Gepräge! Und keine Widerwärtigkeiten hatte ich mehr auszustehen, obgleich man das Loch durch mich geschlagen, als falsch, doch das thut nichts, wenn man es nur nicht ist! Man muß ausharren, Alles gelangt mit der Zeit zu seinem Rechte! Das ist mein Glaube,« sagte der Schilling.

      Auf einer der dänischen Inseln, wo alte Thingsteine, der Urvorväter Gerichtssitze, sich in den Kornfeldern und große Bäume in den Buchenwäldern erheben, liegt ein kleines Städtchen, dessen niedrige Häuser mit rothen Ziegeln gedeckt sind. In einem dieser Häuser wurden über glühenden Kohlen auf dem offenen Herde wunderliche Dinge gebraut, es wurde in Gläsern gekocht, wurde gemischt und destillirt, und Kräuter zerhackt und in Mörsern zerstoßen; ein älterer Mann stand dem Allem vor.

      »Man muß nur das Rechte thun« sprach er, »ja das Rechte, das Richtige, die Wahrheit in jedem geschaffenen Theile muß man kennen und sich an dieselbe halten!«

      In der Stube bei der armen Hausfrau saßen ihre zwei Söhne, noch klein, aber mit großen Gedanken. Auch die Mutter hatte ihnen stets von Recht und Gerechtigkeit gesprochen, sie ermahnt, die Wahrheit fest zu halten, dieselbe sei das Antlitz Gottes in dieser Welt.

      Der älteste der Knaben sah schelmisch und unternehmend aus, seine Lust war von den Naturkräften, von Sonne und Sterne zu lesen, kein Märchen liebte er so. O, wie schön müsse es sein, auf Reise-Entdeckungen zu gehen, oder es herauszufinden, wie die Flügel der Vögel nachzumachen seien und dann stiegen zu können; ja, das herauszufinden, sei das Rechte, Vater hatte Recht und Mutter hatte Recht; die Wahrheit hält die Welt zusammen.

      Der jüngere Bruder war stiller und vertiefte sich ganz in die Bücher. Las er von Jacob, der sich in Schaafsfelle kleidete, um Esau zu ähneln und sich dadurch das Erstgeburtsrecht zu erschleichen, so ballte sich seine kleine Faust im Zorne gegen den Betrüger; las er von Tyrannen, dem Unrechte und der Bosheit der Welt, so standen ihm Thränen in den Augen der Gedanke von dem Rechte, von der Wahrheit, die siegen solle und müsse erfüllte ihn ganz – Eines Abends, er lag schon im Bette, aber die Vorhänge waren noch nicht ganz um dasselbe zusammengezogen, das Licht strahlte zu ihm hinein, er hatte sein Buch mit ins Bett genommen, er wollte durchaus die Geschichte von Solon zu Ende lesen

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Die Gedanken hoben und trugen ihn gar wunderbar weit, es war ihm, als würde das Bettein Schiff, das mit vollen Segeln dahinjagte. Träumte ihm, oder was ging mit ihm vor? Es glitt dahin über rollende Gewässer, die großen Seen der Zeit, er vernahm die Stimme Solons; ihm verständlich und doch in fremder Zunge vernahm er den dänischen Wahlspruch: »Mit Gesetz regiert man das Land!«

      Der Genius des Menschengeschlechts stand in der ärmlichen Stube, beugte sich über das Bett und drückte dem Knaben einen Kuß auf die Stirn: »Werde stark in Ruhm und stark im Kampfe des Lebens' Die Wahrheit im Busen fliege dem Lande der Wahrheit entgegen!«

      Der ältere Bruder war noch nicht zu Bett, er stand am Fenster, schaute auf die Nebel hinaus, die sich von den Wiesen erhoben; es seien nicht die Elfen, die dort tanzten, wie die alte Kindermuhme ihm gesagt, sondern er wisse es besser, es seien Dämpfe, wärmer als die Luft und deshalb stiegen sie. Eine Sternschnuppe leuchtet, und die Gedanken des Knaben waren in demselben Nu von den Dünsten der Erde oben bei dem leuchtenden Meteor. Die Sterne des Himmels blitzten, es war als hingen lange, goldene Fäden von ihnen herab bis zur Erde.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen