Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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war sie bald mit ihrer Arbeit fertig; nur ein Panzerhemde fehlte noch; aber Flachs hatte sie auch nicht mehr und nicht eine einzige Nessel. Einmal, nur dieses letzte Mal, mußte sie deshalb nach dem Kirchhofe, um einige Hände voll zu pflücken. Sie dachte mit Angst an diese einsame Wanderung und an die schrecklichen Lamien; aber ihr Wille stand fest, sowie ihr Vertrauen auf den Herrn.

      Elisa ging; aber der König und der Erzbischof folgten ihr, Sie sahen sie bei der Gitterpforte zum Kirchhofe hinein verschwinden, und als sie sich derselben näherten, saßen die Lamien auf dem Grabsteine, wie Elisa sie gesehen hatte; und der König wendete sich ab, denn unter ihnen dachte er sich die, deren Haupt noch diesen Abend an seiner Brust geruht hatte.

      »Das Volk muß sie verurtheilen!« sagte er. Und das Volk verurtheilte sie: den Feuertod zu erleiden.

      Aus den prächtigen Königssälen wurde sie in ein dunkles, feuchtes Loch geführt, wo der Wind durch das Gitter hineinpfiff; statt Sammet und Seide gab man ihr das Bund Nesseln, welches sie gesammelt hatte: darauf konnte sie ihr Haupt legen: die harten brennenden Panzerhemden, die sie gestrickt hatte, sollten ihre Decken sein. Aber nichts Lieberes hätte man ihr geben können; sie nahm wieder ihre Arbeit vor und betete zu Gott. Draußen sangen die Straßenbuben Spottlieder auf sie; keine Seele tröstete sie mit einem freundlichen Worte.

      Da schwirrten gegen Abend dicht am Gitter Schwanenflügel: das war der jüngste der Brüder. Er hatte die Schwester gefunden; und sie schluchzte laut vor Freude, obgleich sie wußte, daß die kommende Nacht wahrscheinlich die letzte sein würde, die sie zu leben habe. Aber nun war ja auch die Arbeit fast beendigt und ihre Brüder waren hier.

      Der Erzbischof kam nun, um in der letzten Stunde bei ihr zu sein: das hatte er dem Könige versprochen. Aber sie schüttelte das Haupt und bat mit Blicken und Mienen, er möge gehen. In dieser Nacht mußte sie ja ihre Arbeit vollenden, sonst war Alles unnütz, Alles: Schmerz, Thränen und die schlaflosen Nächte. Der Erzbischof entfernte sich mit bösen Worten gegen sie, aber die arme Elisa wußte, daß sie unschuldig fei, und fuhr in ihrer Arbeit fort.

      Die kleinen Mäuse liefen auf dem Fußboden; sie schleppten Nesseln zu ihren Füßen hin, um doch etwas zu helfen: und die Drossel setzte sich an das Gitter des Fensters und sang die ganze Nacht so munter, wie sie konnte, damit Elisa nicht den Muth verlieren möchte.

      Es dämmerte noch; erst nach einer Stunde ging die Sonne auf, da standen die eilf Brüder an der Pforte des Schlosses und verlangten vor den König geführt zu werden. Das könne nicht geschehen, wurde geantwortet; es wäre ja noch Nacht: der König schlafe und dürfe nicht geweckt werden. Sie baten, sie drohten, die Wache kam, ja selbst der König trat heraus und fragte: was das bedeute? Da ging die Sonne auf, und nun waren keine Brüder zu sehen; aber über das Schloß flogen eilf wilde Schwäne dahin. Aus dem Stadtthore strömte das ganze Volk: es wollte die Hexe verbrennen sehen. Ein alter Gaul zog den Karren, auf dem sie saß; man hatte ihr einen Kittel von grobem Sackleinen angezogen; ihr herrliches Haar hing aufgelöst um das schöne Haupt; ihre Wangen waren todtenbleich, ihre Lippen bewegten sich leise, während die Finger den grünen Flachs zurichteten. Selbst auf dem Wege zu ihrem Tode unterbrach sie die angefangene Arbeit nicht; die zehn Panzerhemden lagen zu ihren Füßen, an dem eilften arbeitete sie. Der Pöbel verhöhnte sie.

      »Sieh die rothe Hexe, wie sie murmelt! Kein Gesangbuch hat sie in der Hand; nein, mit ihrer häßlichen Gaukelei sitzt sie da; reißt sie ihr in tausend Stücke!«

      Und sie drangen alle auf sie ein und wollten die Panzerhemden zerreißen: da kamen eilf wilde Schwane geflogen, die setzten sich rings um sie auf den Karren und schlugen mit ihren großen Schwingen. Nun wich der Haufe erschrocken zur Seite.

      »Das ist ein Zeichen des Himmels! Sie ist sicher unschuldig!« flüsterten Viele. Aber sie wagten nicht, es laut zu sagen.

      Jetzt ergriff der Henker sie bei der Hand; da warf sie hastig die eilf Panzerhemden über die Schwäne. Und sogleich standen eilf schöne Prinzen da. Aber der Jüngste hatte einen Schwanenflügel statt des einen Armes, denn es fehlte ein Aermel in seinem Panzerhemde: den hatte sie nicht fertig gebracht.

      »Nun darf ich sprechen!« sagte sie. »Ich bin unschuldig!«

      Und das Volk, welches sah, was geschehen war, neigte sich vor ihr wie vor einer Heiligen; aber sie sank leblos in der Brüder Arme: so hatten Spannung, Angst und Schmerz auf sie gewirkt.

      »Ja, unschuldig ist sie,« sagte der älteste Bruder, und nun erzählte er Alles, was geschehen war. Und während er sprach, verbreitete sich ein Duft, wie von Millionen Rosen, denn jedes Stück Brennholz im Scheiterhaufen hatte Wurzel geschlagen und trieb Zweige; es stand eine duftende Hecke da, hoch und groß, mit rothen Rosen; oben saß eine Blume weiß und glänzend; sie leuchtete wie ein Stern. Die pflückte der König und steckte sie an Elisa's Busen: da erwachte sie mit Frieden und Glückseligkeit im Herzen.

      Und alle Kirchenglocken läuteten von selbst, und die Vögel kamen in großen Zügen. Es wurde ein Hochzeitszug zurück zum Schlosse, wie ihn noch kein König gesehen hatte!

      Hoch oben in der dünnen, klaren Luft flog ein Engel mit einer Blume aus dem Garten des Himmels. Indem er die Blume küßte, fiel ein ganz kleines Blättchen herab, in den erweichten Boden, mitten im Walde, und schlug sogleich Wurzel und trieb Wurzel und Schößlinge mitten zwischen andern Gewächsen.

      »Das ist ein possirlicher Steckling, der da,« sagten sie. Und Niemand wollte ihn anerkennen, weder Disteln noch Brennesseln.

      »Das wird wohl eine Art Gartenpflanze sein,« sagten sie, und nun wurde die Pflanze als Gartengewächs verhöhnt.

      »Wo willst du hin?« sagten die hohen Disteln, deren Blätter alle mit Stacheln bewaffnet sind.

      »Du lässest die Zügel gar weit schießen, das ist dummes Zeug! Wir stehen nicht hier, um Dich zu tragen!«

      Der Winter kam, der Schnee bedeckte die Pflanze; von ihr aber bekam die Schneedecke einen Glanz, als werde sie auch von unten vom Sonnenlicht durchströmt. Als das Frühjahr kam, zeigte sich ein blühendes Gewächs, herrlich wie kein anderes im Walde.

      Nun machte der botanische Professor sich auf, welcher es Schwarz auf Weiß hatte, daß er Das war, was er eben war. Er besah die Pflanze, er kostete sie, aber sie stand nicht in seiner Pflanzenlehre; es war ihm nicht möglich herauszufinden, in welche Classe sie gehöre.

      »Das ist eine Abart!« sagte er. »Ich kenne sie nicht. Sie ist nicht in das System aufgenommen.«

      »Nicht in das System aufgenommen?« sagten Disteln und Brennnesseln. Die großen Bäume, die ringsum standen, sahen und hörten es, aber sagten nichts – weder Böses noch Gutes, und das ist immer das Klügste, wenn man dumm ist.

      Da kam durch den Wald ein armes, unschuldiges Mädchen; ihr Herz war rein, ihr Verstand groß durch den Glauben; ihr ganzes Erbtheil, war eine alte Bibel; aber aus ihren Blättern sprach Gottes Stimme zu ihr: Wenn die Menschen uns Böses zufügen wollen, da heißt es ja von Joseph: »Sie dachten Böses in ihren Herzen, doch Gott lenkte es zum Guten.« Leiden wir unrecht, werden wir verkannt und verhöhnt, da tönt es von ihm, dem Reinsten, dem Besten, von ihm, den sie verspotteten und an das Kreuz nagelten, wo er betete: »»Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!«« Das Mädchen blieb vor der wunderbaren Pflanze stehen, deren grüne Blätter süß und erquickend dufteten; deren Blumen m dem klaren Sonnenscheine wie ein Farbenfeuerwerk strahlten, und aus jeder klang es heraus, als verberge sie den tiefen Born der Melodien, den Jahrtausende nicht zu erschöpfen vermögen. Mit frommer Andacht erblickte es all diese Herrlichkeit Gottes, es bog einen der Zweige zu sich herab, um recht die Blume beschauen und ihren Duft einathmen zu können. Es wurde hell m ihrem Sinne; es that ihrem Herzen wohl; gerne hätte es eine Blume gepflückt; es konnte es aber nicht über sich gewinnen, sie abzubrechen: sie würde ja bald bei ihr verwelken; das Mädchen nahm nur ein einziges der grünen Blätter, legte dasselbe daheim in ihre Bibel; da lag es frisch, immer grün und unverwelkt.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

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