Hilfe, ich hatte eine glückliche Kindheit. Katja Kerschgens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katja Kerschgens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847611097
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er ist so hässlich, dass er froh ist, niemandem unter die Augen zu kommen«, setzte ihre Freundin dagegen.

      Nadine prustete leise auf, die Blicke der beiden Freundinnen trafen sich, Sarah gab ein Geräusch unterdrückten Lachens von sich, wieder traf sich ihr Blick und dann platzten sie unisono laut heraus. Ihr schallendes Gelächter ließ die Gespräche im Raum für einen Moment verstummen, Köpfe drehten sich zu ihnen um. Einige der anderen Gäste mussten schmunzeln.

      Auf der Liste der Treffen, bei denen sie gemeinsam lachten, bekam dieses hier drei goldene Sterne.

      4

      »Die Frau hatte ein schmales rotes Kostüm an. Sie trug lange Fingernägel und hohe Absätze. Ihr teures Parfum und die offenen Haare brachten ihn auf den Gedanken, dass sie mehr wollte als nur ein paar Informationen. Er fragte: >Möchten Sie einen Drink?< Ihr roter Mund glänzte. Sie nahm den Bourbon entgegen. Ihre Finger berührten sich ein paar Sekunden länger als nötig.«

      »Danke, Herr Noack, kleine Entspannungspause«, sagte Micha, nahm die Kopfhörer ab, erhob sich und ergänzte in Richtung Nadine: »Ich bin mal eine rauchen.«

      »Möchten Sie sich die Beine vertreten?«, fragte diese in ihr Mikro.

      »Nein, lassen Sie mal. Alles bestens.«

      »Haben Sie noch was zu trinken?«

      »Ja, danke.«

      Nadine blätterte im Manuskript. Sie lagen gut in der Zeit, auch wenn die Vorgaben sportlich waren.

      »Ich frage mich manchmal, warum dieser Blankett so einen Erfolg auf dem Buchmarkt hat«, sagte Mr. Stimme plötzlich.

      Sie musste unweigerlich auflachen.

      »Ich befürchte, da muss ich Ihnen recht geben. So ganz unter uns.«

      »Also wirklich, da reihen sich holzschnittartige Protagonisten an Abziehbildchen an Plattitüden. Und trotzdem verkauft er sich wie blöde.«

      »Ich glaube, er hatte eine schlimme Kindheit.«

      Jetzt lachte er. Sie hörte ihn zum ersten Mal lachen, und es war hinreißend.

      »Was meinen Sie denn damit?«, fragte er.

      »Noch nie drauf geachtet? Leute, die viel Erfolg haben im Leben, waren kirchenmausarm oder wurden misshandelt oder hatten eine alkoholkranke Mutter oder, oder, oder.«

      Mr. Stimme schien nachzudenken, dann sagte er: »Hm. Da ist was dran. In den USA ist das ganz entschieden so.«

      »Und da wir in unserem Land immer alles übernehmen, was über den großen Teich schwappt ...«

      »... sollte man tunlichst sehen, seine eigene Kindheit ein wenig aufzupeppen«, vollendete er ihren Satz.

      Nadine wollte lachen, aber es kam nichts außer einem spöttischen »Pfff« dabei heraus. Dann sagte sie: »Da kann ich leider nicht mitreden.«

      »Oh. Sie Arme.«

      »Ja, machen Sie sich ruhig lustig.«

      »Mache ich nicht. Ich verstehe gut, was Sie meinen.«

      »Ach ja?«

      »Unsere Gesellschaft ist gegenüber dem Glück anderer sehr skeptisch eingestellt.«

      »Ja, das haben die Menschen hier nicht so gern.«

      Er klang wie tief in Gedanken, als er langsam erwiderte: »Oh nein.«

      Nadine dachte an das Nachmittagsprogramm der privaten Fernsehsender. Je herzergreifender oder abschreckender die Schicksale waren, um die es in den Talkshows und Pseudodokus ging, umso höher waren die Einschaltquoten. Sie war froh, zu solchen Uhrzeiten arbeiten zu dürfen. Oder zu lesen. Oder mit Loriot durch den Stadtpark zu gehen. Sie hatte vergessen, wo sie die Fernbedienung ihres Fernsehers hin verkramt hatte. Hatte sie überhaupt eine?

      Dennoch gingen diese Sendungen nicht an ihr vorbei, denn sie boten immer wieder Gesprächsstoff für ihre Freunde. Sie hatte ungläubige Fragen gestellt und die jeweiligen Antworten mit einem entgeisterten Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. Das war eine Welt, die sie nicht verstand und auch nicht verstehen wollte.

      Ihr Blick fiel auf das Datenblatt der Produktion, in dem alle ihre Namen aufgeführt waren. Ihren eigenen hatte sie handschriftlich ergänzt, den von Brigitte durchgestrichen. Sie stutzte.

      »S. Noack. Das klingt geheimnisvoll«, rutschte es ihr heraus.

      »So, finden Sie?«, gab sich Mr. Stimme ungerührt.

      »Wofür steht der Buchstabe S

      »Warum habe ich es wohl abgekürzt?«

      Sein Tonfall ließ nicht darauf schließen, dass er weiter über das Thema reden wollte. Aber sie konnte nicht widerstehen: »Wie lassen Sie sich denn von ihren Freunden nennen?«

      »Ess-Punkt«, kam es trocken aus der Leitung.

      »Das ist nicht Ihr Ernst!«, lachte sie.

      Prompt folgte ein Seufzen.

      »Leider haben meine Eltern bei der Namensgebung nicht daran gedacht, dass ich ein Leben lang damit leben muss.«

      Nadine klatschte einmal in die Hände.

      »Gut, Sie haben es geschafft: Jetzt will ich ihn wirklich hören!«

      »Aber nicht weitererzählen.«

      »Versteht sich.«

      Mr. Stimme seufzte, holte tief Luft.

      »Serafin«, stieß er hervor.

      »Ohhh, wie Serafin und seine Wundermaschine von Philippe Fix?«

      Serafin gab ein volltönendes Brummen von sich.

      »Meine Eltern hatten die fixe Idee, dass ihr Sohn ein großer Erfinder oder sowas wird. So wie der Typ in diesem blöden Bilderbuch.«

      »Gar nicht blöd, es ist eines meiner liebsten Bücher!«, empörte sich Nadine, aber sie spürte, dass Mr. Stimme schwer zu überzeugen war.

      »Seien Sie froh, dass Sie nicht Plum heißen«, setzte sie hinterher und staunte selbst über ihre Frechheit.

      Da lachte Serafin laut und ausgiebig.

      »Oh, mein Gott«, gluckste er, »da habe ich ja tatsächlich Glück gehabt!«

      Plum war in dem Bilderbuch Serafins bester Freund. Er trug einen viel zu großen, blau-weiß gestreiften Pullover mit einem riesigen Rollkragen, mit dem er gerne irgendwo hängenblieb. So einen wollte Nadine immer haben. Ein Wohnpullover vom Allerfeinsten.

      Aber gegen das Lachen von Serafin war das gerade mal eine Randnotiz in ihrem jetzigen Leben wert. Sie genoss dieses Geräusch mit jeder Faser ihres Körp... Du meine Güte, ermahnte sie sich, komm runter.

      »Ich finde Ihren Namen«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »fabelhaft. Er ist nicht wie alle, nicht so ein langweiliger Allerweltsname.«

      »Ja dann.«

      Pause.

      »Darf ich Sie nach Ihrem Vornamen fragen?«

      »Den kann ich nicht leiden.«

      »Warum?«

      »Das ist so ein langweiliger Allerweltsname.«

      Wieder lachte Serafin.

      »Wir jammern uns hier gerade ein paar Luxusprobleme vor, was? Also, wie lautet Ihr Allerweltsname?«

      »Nadine.«

      »Nadine, honey, is that you? Oh, Nadine! Honey, is that you? ...«, sang Serafin, und das schien das Einzige zu sein, was seine Stimme nicht konnte. Nur mühsam erkannte Nadine, was er meinte.

      »Soll das der Song von Chuck Berry sein?«

      Sie