›Auf die Dankbarkeit der Menschen kann man sich ja niemals verlassen,‹ sagte er. ›Aber wenn ich einer von den Vätern wäre, deren Kinder in diesem neuen Schulhaus ihren Unterricht erhalten sollen, so würde ich dem Baumeister gewiß keine saure Miene zeigen. Man ist ja außerordentlich erstaunt, wenn man sieht, wie gut er den Schulsaal eingerichtet, welch schöne Farben er gewählt, welch prächtige Bänke er angeschafft, welch helles Fensterglas er eingesetzt hat! Und wenn man sich alle die Vorrichtungen für Handfertigkeitsunterricht im Saal und in der Schulküche betrachtet, und die Turngeräte und die Wärmeleitung und noch so manches andere, worauf er verfallen ist, näher ansieht, so muß man sich sagen: ein wahrer Kinderfreund hat dies Haus gebaut. Ich glaube, es möchte mancher gerne wieder ein Kind sein, um in einer Schule lernen zu dürfen, die Sven Elversson gebaut hat.‹«
Als Mutter Thala das hörte, konnte sie nicht anders, sie mußte befriedigt sein, und sie freute sich, daß all ihre Sorge unnötig gewesen war.
Die Hügel
Sven Elversson war in Göteborg gewesen, um die Lieferanten für den Schulbau zu bezahlen, und kehrte eben mit dem Zug auf die Applum am nächsten gelegene Bahnstation zurück. Aber siehe, das Fuhrwerk, das ihn hatte abholen sollen, war nicht gekommen.
Bis Applum war ein Weg von zwei Meilen, und er stand recht verlegen auf dem kleinen Bahnhof und wunderte sich, wie er wohl weiterkommen sollte, als ein kleines, mit zwei Pferden bespanntes Gefährt an den steinernen Stufen des Bahnhofsgebäudes vorfuhr. Es kam vom Gasthaus in Applum, und auf Svens Nachfrage wurde ihm mitgeteilt, es sei vom Pfarrer bestellt, der in den letzten Tagen seine Hochzeit mit einer Propststochter weit droben in Norrland gefeiert habe.
Sven Elversson erwartete sein Gefährt von demselben Gasthof, und nun wurde ihm klar, daß seine Bestellung nicht angekommen und also für ihn kein Pferd abgeschickt war. Der Gastwirt schlug ihm vor, er solle den Pfarrer bitten, ob er nicht auf dem Kutschbock mitfahren dürfe; aber das kam Sven allzu aufdringlich vor, und darum lehnte er diesen Vorschlag ab.
Während sie noch darüber verhandelten, trat der Pfarrer mit seiner jungen Frau aus dem Bahnhofsgebäude heraus.
Es war ein schönes Paar. Der Pfarrer ein Mann von einigen dreißig Jahren, war von mittlerer Größe, von kräftigem Bau, mit einem prächtigen Kopf. Er hatte einen schwarzen, krausen Vollbart, eine breite, hohe Stirn, gutgeschnittene Züge, eine frische Gesichtsfarbe und weiße Zähne. Ein junges Mädchen konnte sich keinen Mann wünschen, der mehr imstande gewesen wäre, sie zu schützen und zu behüten, für sie zu arbeiten und ihr eine gute Stellung in der Welt zu verschaffen. Die Frau wiederum war geradezu überraschend schön. Sven Elversson mußte an den Typus schöner Frauen bei einigen berühmten englischen Malern denken, jenen Typus mit dem hohen, schlanken Körper, den abfallenden Schultern, dem etwas zur Seite geneigten Kopf, den reichen Haarmassen, die das Gesicht schön beschatten, den geraden Augenbrauen, den zarten Wangen und dem weltfremden, dem Himmel zugewandten Blick in den strahlenden Augen.
Es ging Sven Elversson sonderbar: Nachdem er diese beiden Menschen eine Weile betrachtet hatte, schien ihm der Mann allmählich alles Anziehende, das er zuerst an ihm gesehen hatte, zu verlieren. Die feine Gestalt und die unglaublich zarten Farben der jungen Frau machten, daß der Mann daneben grob und gewöhnlich, ja beinahe häßlich erschien. Sven Elversson hoffte, daß nicht irgendein alter Groll gegen den Pfarrer von jenem Auftritt in der Kirche her es sei, der ihm diesen Mann nicht als den richtigen Gatten für dieses zarte und zerbrechliche Geschöpf erscheinen lassen wollte.
Als die beiden nähertraten, zog sich Sven Elversson von dem Wagen zurück, aber er hörte doch, wie der Kutscher an seiner Statt um einen Platz für ihn auf dem Bock bat. Darauf kam der Pfarrer sofort zu ihm her und bot ihm an, mit ihnen zu fahren.
Eigentlich war der Pfarrer immer freundlich gegen Sven Elversson gewesen, und als dieser nun auf dem Bock saß und der Wagen abgefahren war, verjagte er bald den ersten Eindruck.
»Ich habe mich geirrt, wie so oft,« dachte er. »Jetzt muß ich zugeben, daß ich seit Jahren keine zwei Menschen gesehen habe, die so vollständig glücklich gewesen wären, wie diese beiden. Und sie haben ja auch allen Anlaß dazu. Hier sitzt nun der Mann und bewegt in seinem Herzen, wie ganz anders das Leben in dem kleinen Pfarrhaus in Applum werden wird, jetzt, wo eine junge Frau kommt, die es mit Leben und Fröhlichkeit erfüllt, und sie an seiner Seite träumt davon, wie sie ihm sein Heim so anziehend machen will, daß er es niemals gerne verlassen und sich immer nach Hause sehnen soll, wenn er auswärts ist.«
Sven Elversson hatte sich ganz in diesen Gedankengang vertieft und war höchst überrascht, als er nach einer Weile die junge Frau mit müdem und zugleich ungeduldigem Ton rufen hörte:
»Nimmt denn das niemals ein Ende!«
»Was kann die junge Frau nur meinen, was soll denn zu Ende gehen? Was mag sie nur an so einem Tag so unzufrieden machen?« fragte sich Sven Elversson und schaute sich nach allen Seiten um.
Plötzlich verstand er, nichts anderes konnte sie meinen als die Hügel ringsum.
Ja, eigentlich war es eine sonderbare Landschaft, durch die der Wagen fuhr.
Ein Bergland konnte man die Gegend nicht nennen, denn es waren weder Bergrücken noch Berggipfel vorhanden, und doch war es auch keine Ebene, denn das ganze Land war mit größeren und kleineren Hügeln wie übersät. Zuweilen standen sie ganz dicht beieinander, und der Wagen konnte sich nur mit Mühe dazwischen durchwinden, zuweilen waren sie nur vereinzelt, und Äcker und Höfe hatten reichlich dazwischen Platz. Rechts und links, vorne und hinten standen sie, und Sven Elversson mußte der jungen Frau recht geben, sie wollten kein Ende nehmen. Der Weg schlängelte sich unten zwischen den Hügeln hin und ging niemals so weit bergauf, daß man einen Überblick hätte bekommen können. Wie weit man auch fuhr, immer wieder kamen Hügel, die einen hinter den anderen. Einige davon waren mit magerem Gras bedeckt, andere standen kahl, und auf einigen wuchsen Heidekraut und Gestrüpp, das war die ganze Abwechslung.
Zuweilen wurde es zwischen ein paar Hügeln etwas heller, daß man meinen konnte, jetzt komme man in offenes Land. Aber kaum hatte man das gedacht, so erhob sich auch schon ein neuer Hügel und schob sich in die Öffnung.
»In Norrland sieht es natürlich nicht so aus wie hier,« dachte Sven Elversson. »Ach, wenn doch diese Hügel hier, die wirklich einen düsteren und häßlichen Eindruck machen, nicht das erste gewesen wären, was die schöne junge Frau von Bohuslän gesehen hat!«
In diesem Augenblick hörte er, wie sie zu ihrem Manne sagte, sie komme sich zwischen diesen Hügeln so verirrt vor wie im finstersten Walde.
An einer Stelle weidete eine Schafherde, an einer anderen grasten ein paar Kühe und an einer dritten pflückte ein Kind Beeren. Und nun erklärte die junge Frau, es sei gut, daß diese da seien, denn wenn sie keine Tiere und Kinder gesehen hätte, würde sie nicht geglaubt haben, sie sei in einem christlichen Lande.
»Aber Sigrun!« rief da der Mann. »Denkst du denn nicht daran, daß dies mein Bohuslän ist, wo ich jeden Stein und jeden Heidehügel liebe! Was hättest du gesagt, wenn ich mich über die Fichtenwälder und Kiefernheiden droben in Norrland hätte beklagen wollen?«
Diese Worte hatten natürlich eine sehr starke Wirkung. Die neuverheiratete Frau schwieg zuerst eine lange Weile, dann flüsterte sie etwas mit Tränen in den Augen, und Sven Elversson verstand, daß sie ihren Mann um Verzeihung bat, weil sie so absprechend über Bohuslän gesprochen hatte.
»Sonst bin ich doch nicht so,« sagte sie. »Ich weiß nicht, was heute über mich gekommen ist.«
Jedes Wort, das sie sagte, wurde ganz entzückend aufrichtig und ernsthaft gesprochen mit leiser, leicht lispelnder Stimme. – »Lieber Gott, ich wenigstens möchte sie nicht anders haben!« dachte Sven Elversson. »Es ist doch schön von ihr, daß sie sich vor allem Häßlichen fürchtet.«
Nun blieb es eine Weile still; aber bald fing die junge Frau von neuem mit sonderbar bebender Stimme zu sprechen an.
»Ach,