die meisten der eingeschraubten Haken die Stärke von Lampenhaken hatten. An einem dieser
starken Haken hing die dicke Magenwurst, auf welche Carpio es abgesehen gehabt hatte; er
trug zu gleicher Zeit die vierfach zusammengelegte Schnur, welche Carpio in beiden Händen
hielt, während er das andere Ende sich unter der Achselhöhle durchgezogen hatte. Er hing an
ihr höher, als der umgefallene Stuhl gewesen war, was ich zunächst nicht begreifen konnte. Er
war übrigens kein schlechter Turner, sonst hätte er es nicht so lange, bis ich ihm zu Hilfe kam,
aushalten können.
Ich nahm Kniebeuge und ließ ihn auf meiner Schulter Halt fassen, von wo er dann auf das
Bett heruntersprang. Die mit herabgezogene Schnur in den Händen, warf er einen
bedauernden Blick nach oben und sagte in wehmütigem Tone:
»Sie war die größte und verlockendste von allen; nun stehe ich wieder hier unten, und sie, sie
hängt noch oben!«
»Dieb! Wurstspitzbube! Schinkenräuber! Ich habe dich gewarnt. Du konntest Hals und Beine
brechen!« fuhr ich ihn sehr ernst an, obgleich ich, wie ich zu meiner Schande gestehe,
innerlich lachen mußte.
»Was geht es mich an, ob mein Hals und meine Beine ganz bleiben oder nicht, da ich die
traurige Gewißheit habe, daß ich diese Nacht nicht überleben werde!«
»So groß ist dein Hunger?«
»Schauderhaft! Du hast mir grad das Bett geraubt, worüber der Himmel das Aussehen einer
vollgestopften Räucherkammer hatte, während über dem meinigen alles leer ist. Auf dein Bett
konnte ich nicht treten, weil dich das aufgeweckt hätte; darum suchte ich mir da vorn, ehe du
das Licht auslöschtest, diejenige Wurst aus, welche in Beziehung auf ihre Größe und
Wohlgestalt meinem heimlichen Zwecke zu entsprechen schien. Um jedes, auch das leiseste
Geräusch zu dämpfen, legte ich meine Zudecke unter, auf welche ich den Stuhl stellte. Aber
das reichte, wie ich bald bemerkte, leider nicht aus, denn ich durfte die Wurst nicht
abschneiden, sondern ich mußte sie empor- weil aus dem Haken heben. Eine Unterlage auf
den Stuhl konnte ich im Dunkeln nicht finden, und so – – –«
»Hättest du doch ein paar Käsekuchen von dort untergelegt!« fiel ich ihm in die Rede.
»Schweig, gefühlloser Mongolenhäuptling!« antwortete er. »Durch diesen hochverräterischen
Vorschlag, den ich mir übrigens merken werde, verrätst du, daß du von tungusischen oder
ostjakischen Urahnen abstammst! Also – – ich konnte nicht hoch genug steigen; darum nahm
ich mir vor, mich hoch genug zu ziehen. Du weißt doch, daß ich stets eine Anzahl
Reiseschnuren bei mir führe?«
»Reiseschnuren! Dieser Ausdruck ist gut, sehr gut!«
»Wieso? Spottest du?«
»Nein. Ich denke dabei an ungarische, russische und andere Pferdediebe, welche auf ihre
Reisen Halfter mitzunehmen pflegen, in denen dann, ehe man die Hand umdrehe, fremde
Pferde zu stecken pflegen. Also wie war es mit deinen Reiseschnuren, die eigentlich
heimliche oder verkappte Wurstschnuren zu sein scheinen?«
»Ich legte sie, damit sie mich halten könnten, vierfach zusammen, band mir das Ende unter
der Achsel fest, weil man da am wenigsten empfindlich ist, wie z.B. das Turnen an den
Schwingen beweist. Dann stieg ich wieder auf den Stuhl und warf die vierfache Schnur so in
die Höhe, daß sie sich in den Haken fing.«
»Ein Kunststück ohne Licht!«
»Es gelang freilich nur nach wiederholtem Versuche. Ich hing also an der Achsel, und die
Schnuren liefen oben über den Haken. Indem ich sie um die eine Hand wickelte und mit der
andern weiter- und höhergriff, konnte ich mich emporziehen und dann die Wurst aus dem
Haken heben. Ich zog und zog; es ging, denn ich half unten dadurch nach, daß ich den Fuß auf
die Querleiste der Stuhllehne setzte. Dabei aber stieß ich den Stuhl um; die Nachhilfe fehlte
nun, und ich kam nicht weiter; ich mußte dich um Hilfe rufen.«
»Das war nicht notwendig.«
»O doch!«
»Nein. Du brauchtest doch nur die Schnur fahren zu lassen und herunterzuspringen!«
»Kann man eine fest um die Hand gewickelte Schnur, an welcher man hängt, so leicht fahren
lassen? Übrigens konnte ich nicht sehen, wo der Stuhl lag; ich konnte mir, auf ihn fallend,
Schaden thun. Nein, ich mußte dich rufen. Schau meine Hand! Sieh diese blauen Streifen!
Wärst du nicht gleich erwacht, so hätte die Schnur das Fleisch bis auf den Knochen
durchschnitten!«
Er hatte recht; ich zog es aber vor, ihm ohne Bedauern zu sagen:
»Das hast du verdient! Ein Pferdedieb wird in Amerika am Halse, ein Wurstdieb in Böhmen
aber an der Achsel und den Händen aufgehängt! Und, Mensch, sag, wie hast du dir das denn
eigentlich gedacht? Der Wirt oder seine Frau hätte morgen früh doch gleich mit dem ersten
Blicke gesehen, daß grad ihre schönste Wurst den Weg aller Würste – –«
»Nichts hätten sie gesehen, gar nichts!« fiel er schnell ein.
»Du wolltest ein Stück abschneiden?«
»Nein.«
»Sie ganz aufessen?«
»Nein, obgleich mein Hunger so groß ist, daß ich mich anheischig mache, zwei oder auch drei
solche Magenwürste verschwinden zu lassen.«
»Nicht abschneiden, aber auch nicht ganz verzehren? Ein drittes ist doch gar nicht möglich!«
»Für ein so harmloses und wohlgenährtes Wickelkind, wie du bist, freilich nicht. Aber der
hungrige Löwe, welcher vorhin in meinem Bette brüllte, macht erfinderisch. Ich hatte mir das
ganz schön ausgedacht. Sieh die Wurst an! Sie ist nach allen Seiten mit einer Schnur
umwickelt, jedenfalls deshalb, daß sie beim Kochen im Wurstkessel nicht zerplatzen sollte.
Meinst du nicht auch?«
»Meinetwegen! Ich halte dieses Problem nicht für hoch und würdig genug, in einer so
wichtigen Stunde, wie die jetzige ist, meine Gedanken zu beschäftigen. Lassen wir die Schnur
also drumgewickelt! Übrigens sind wir jetzt in Österreich, da heißt es nicht Schnur, sondern
Spagat.«
»Schön, also Spagat! Ich wollte diesen Spagat vorsichtig heruntermachen und dann einen
Triangel in die Wursthaut schneiden, vorsichtig, unendlich vorsichtig natürlich. Diese
Hautdreiecke hätte ich geöffnet und dann aus dem Innern der Wurst soviel herausgeholt, wie
nötig war, den Löwen zu füttern, der meinen Magen jetzt als Raubtierkäfig benutzt. Wenn er