geschehen war, brachte dann seinen geheimnisvollen Verwandten zur Sprache und ließ dann
endlich, worauf ich längst gewartet hatte, die drei bekannten Blitze los – El Dorado, Millionär
und Universalerbe. Als er glaubte, sie nun gehörig vorbereitet zu haben, machte er ihr das
Anerbieten, ihr ein Empfehlungsschreiben an diesen Verwandten mitzugeben.
Ich war fast starr vor Erstaunen! Mir, seinem Busenfreunde, hatte er ein solches
Empfehlungsschreiben noch niemals offeriert, was er doch ganz gefahrlos hätte thun können,
weil er mein Ideal, ein Globetrotter zu werden, nicht kannte und also annehmen mußte, daß
ich während meines ganzen Lebens nicht in die Lage kommen würde, dieses Schreiben
abzugeben. Und hier, wo er hundert gegen eins wetten konnte, daß man es abgeben werde, bot
er es einer ganz fremden Person an, deren Busenfreund er nie gewesen war und auch niemals
werden konnte!
Und die Frau? Sie ging auf seinen Vorschlag ein, vielleicht nur, um ihn nicht zu beleidigen,
denn auf das Empfehlungsschreiben eines jungen Schülers war wohl nur wenig Wert zu
legen. Er bat den Wirt um Schreibzeug und Papier und erklärte, als er dies bekommen hatte,
der Frau, daß er nun freilich ihren Namen wissen müsse. Sie nannte ihm denselben, und so
erfuhr ich, daß sie Elise Wagner hieß. Indem er schrieb, setzte er sich so, daß mein Blick das
Papier nicht erreichen konnte. Also eine Fremde durfte die Adresse seines einstigen
Erblassers wissen, ich aber nicht! Ich fühlte mich dadurch nicht beleidigt, denn ich war
gewohnt, allen seinen Eigenheiten Rechnung zu tragen, und wendete mich ganz von ihm ab,
damit er ganz sicher sei, daß ich ihm nicht ins Geheimnis schaue. Er vollendete, während ich
mich mit dem Wirte unterhielt, den Brief, welchen er dann der Frau mit der bescheidenen
Andeutung überreichte, daß ihr dieses Schreiben von ungeheurem Nutzen sein werde.
Grad als er dies that, wurde die Thür geöffnet, und die Wirtin trat herein. Der liebe Franzl
mochte darüber wohl ein wenig erschrecken, beherrschte sich aber unsertwegen so, daß ihm
nichts anzumerken war. Mein Busenfreund duckte sich zusammen, als ob er der Schuldige
sei. Die fremde Frau sah dem Kommenden mit sichtlicher Bangigkeit entgegen. Franzl
brannte sich, um sich für den Kampf zu stärken, eine neue Cigarre an.
Die Wirtin blieb erst ganz verwundert an der Thür stehen; dann kam sie langsam näher, bis sie
vor ihrem Manne stehen blieb.
»Was brennst du denn da, Franzl?« fragte sie ihn in einem eigentümlich freundlichen Ton,
dessen Bedeutung ich damals noch nicht kannte.
»Den Baum,« antwortete er mit ganz derselben Liebenswürdigkeit.
»Warum?«
»Weil's Weihnacht ist.«
»Für wen?«
»Für mich.«
»Seit wann?«
»Seit kurzer Zeit.«
»So, so, schau, schau! Seit kurzer Zeit! Da sind die Lichte ein Viertel abgebrannt und vorher
waren sie schon halb abgebrannt. Woher mag das wohl kommen?«
»Weil es wahrscheinlich eine Sorte ist, die vom Verbrennen länger wird.«
»So eine gute Sorte kenne ich nicht; die möchte ich mir auch gleich kaufen! Es wird aber
wohl so sein, daß du erst die halben verbrannt und dann noch neue angezündet hast, damit ich
nichts merken soll. Du hast gedacht, daß ich wie gewöhnlich nicht wieder hereinkommen
werde. Ist es so, oder ist es nicht so, Franzl?«
»Es ist schon so.«
»Höre, ich will dir sagen: Es ist gut, daß du es wenigstens zusiehst! Also für dich brennst du
den Baum?«
»Ja.«
»Nur für dich?«
»Für mich und diese Herren Studenten.«
»Dagegen hätte ich nichts, wirklich nichts, denn du bist auch einer gewesen, worüber wir
beide noch heute unsere Freude haben. Also du brennst ihn für sonst weiter gar niemand?«
»Nein.«
»Schön! Jetzt sagst du mir die Wahrheit nicht. Du magst für dich und die Herren Studenten
anbrennen, was und wann du willst, Wein trinken und Cigarren rauchen, so viel du willst,
aber – aber –« und jetzt stieg ihre Stimme plötzlich um eine Septime höher, und sie stemmte
die Hände in die Hüften – – »für wen, frag ich, hat er denn vorhin gebrannt, als die Wurst und
der Kuchen und die Kleider und das Geld darunterlagen und dieser Herr Student ein so
schönes Gedicht geredet hat, von dem ich jedes Wort verstanden hab'?«
Jetzt sprang Franzl auf.
»Weib,« rief er, »du hast gehorcht!«
»Ja, gehorcht hab ich,« nickte sie triumphierend.
»Wo?«
»Dort am Fensterladen.«
»Grad dort am Fenster, wo der Baum auf dem Tische steht?«
»Ja, grad dort am Fenster, wo der Laden ein großes Astloch hat!«
»Du, das machst du mir nicht wieder!«
»Nicht? Warum sollte ichs nicht wieder machen? Das Haus ist mein; der Laden ist mein, und
das Astloch ist also auch mein; ich kann hindurchgucken, wann es mir beliebt. Von dem
ganzen Hause ist nicht einmal dieses Astloch dein, und du verschenkst mein Geld und meine
Sachen und willst mir auch noch zu befehlen haben?«
»Höre, beleidige mich nicht in Gegenwart von Studenten, sonst zeige ich dir, was Sapienti
pauca heißt!«
Er wußte höchst wahrscheinlich ebenso wenig wie sie, was diese beiden Wörter bedeuteten,
dennoch verfehlten sie den Zweck, ihr zu imponieren, nicht. Er wollte ihr durch sein Latein
nur zeigen, daß er ihr geistig überlegen sei; mochte sie nun dies anerkennen oder dem Worte
pauca einen etwas gewaltthätigen Sinn beilegen, kurz und gut, sie antwortete:
»Einverstanden! Pauke deine Sapienti jetzt, aber morgen früh sehen wir uns wieder!«
Sie drehte sich um und ging hinaus.
»Bei allen Heiligen,« seufzte er, indem er sich wieder niedersetzte, »sie hat gelauscht; sie hat
alles gesehen und gehört! Dieses Astloch, das verteufelte! Na, morgen nagle ich es zu; ich
nehme das dickste Brett und schlage es drauf!«
Die Wirtin aber hatte die Thür nicht zugemacht, sondern nur angelehnt; sie war draußen
stehen geblieben und hatte seine Worte gehört. Jetzt kam sie wieder herein, ging auf ihn zu,
legte ihm die Hand vertraulich auf die Achsel und sagte lachend:
»Franzl,