Weihnacht von Karl May. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742752215
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siehst doch ein, daß die Wursthaut wieder gefüllt werden mußte?«

       »Natürlich mußte sie das! Aber womit? Ich bin neugierig, was du dazu nehmen wolltest.«

       »Ja, diese Frage war freilich schlimmer als die orientalische. Dir durfte ich mich nicht

       anvertrauen; etwas Eßbares, was ich erreichen konnte, gab es nicht als nur die Kuchen dort.

       Hätte ich ein Stück abgeschnitten und in die Wurst gestopft, so wäre die Lücke bemerkt

       worden. Nicht?«

       »Ja. Die Kuchen sind leider alle ganz; es ist keiner von ihnen angeschnitten.«

       »Das ist ja die Sache, die mir Schmerzen macht!« sagte er grimmig; dann fügte er in

       vertraulichem Tone hinzu: »Weißt du, Sappho, wer sich über die Kuchen machen will, der

       muß gleich einen ganzen essen; das wird nicht so leicht entdeckt, als wenn man ein Stück

       herausschneidet!«

       »Du, Carpio, du hast doch nicht etwa in dieser Beziehung Gedanken, die mir schrecklich

       wären?!«

       »Fällt mir gar nicht ein! Ich bin ein Ehrenmann; das weißt du doch!«

       »Ja, ein Ehrenmann, welcher Triangel in die Würste schneidet! Also womit wolltest du sie

       füllen?«

       »Mit – – mit – – ich habe nämlich bemerkt, daß mein Kopfkissen ein Loch hat. Am Inlet

       scheint eine Naht aufgegangen zu sein, denn die Federn kommen unten aus dem Überzug

       heraus. Ahnst du es nun, Sappho?«

       »Carpio, Mensch, Wurst- und Federdieb! Welch ein Gedanke! Du hast die Wurst mit

       Bettfedern ausstopfen wollen?«

       »Ja, mit Bettfedern,« antwortete er, ich weiß nicht mehr, ob kleinlaut oder triumphierend.

       »Welch verderbte, lasterhafte Welt! Ich sage dir, daß dieser dein Gedanke von einer Bosheit

       ist, die mich geradezu schaudern läßt! Ich sehe im Geiste den guten Franzl mit seiner Frau am

       Tische sitzen und die Magenwurst anschneiden. Da quellen Federn heraus! Welche Gesichter!

       Welch ein Aufwand an Geist und Scharfsinn, um dem Wunder, daß ein Schwein keine

       Borsten, sondern Federn hat, auf die Spur zu kommen!«

       »Sie hätten die Lösung des Rätsels, nämlich das hineingeschnittene Triangel bald gefunden,

       aber wohl schwerlich die Schuld auf uns geworfen.«

       »Auf uns! Das ist es ja, was mich so sehr empört, nämlich, daß ich, der Unschuldige, bei der

       Entdeckung auch in die Gefahr käme, als Dieb betrachtet zu werden!«

       »Beruhige dich, hochverehrter Busenfreund! Dein sittlicher und strafrechtlicher Widerwille

       ist nur deshalb so groß, weil du keinen Hunger hast! Also ich hätte die Federn in die Wurst

       gestopft, die Haut an den Triangelschnitten etwas übereinander gelegt und dann die Schnur

       wieder darumgewickelt. Hing sie dann oben an ihrem heimatlichen Haken, so wäre beim

       hellsten Tageslichte nicht zu sehen gewesen, daß ich bei nachtschlafender Zeit allhier die

       Fütterung meines Löwen vorgenommen habe. Leider ist nichts daraus geworden, und es bleibt

       ihm nichts anderes übrig, als weiterzuhungern!«

       »Es ist schon drei Uhr nachts; du wirst es bis zum Kaffee aushalten müssen und wohl auch

       können. Hättest du es Franzl noch vor dem Schlafengehen gesagt, so lägst du jetzt als

       gesättigter und zufriedener Bürger in den Armen des Schlafes der Gerechten. So aber wirst du

       unter den Geißelhieben der Furien nicht einschlafen können bis zum Grauen des Morgens,

       welche Bezeichnung heute doppelt richtig ist, weil es ihm vor dir graut!«

       »Ich wollte, diese Hiebe bekämst du! Ich verzichte auf deine Furien, denn ich habe an

       meinem Hunger genug. Komm, wollen uns wieder niederlegen!«

       »Ja, stecke deine berühmten Reiseschnuren ein; laß den Stuhl auf seinen eigenen Füßen

       stehen, und leg das Bett dahin, wohin es gehört. Und das sage ich dir noch: Wenn du mich

       wieder wecken solltest, um dich vom Haken herunterzuholen, so lasse ich dich hängen und

       gehe an meinem Wanderstabe ohne deine hungrige Begleitung weiter!«

       Ich blies das Licht wieder aus und kehrte zu Morpheus zurück, dem mich der Busenfreund so

       rücksichtslos entrissen hatte. Als ich erwachte, war es zehn Uhr vormittags. Carpio lag mit

       offenen Augen im Bette; er stöhnte leise vor sich hin und war vor Hunger bleich wie

       Konzeptpapier.

       »Aber, Carpio, was liegst du noch?« fragte ich erstaunt. »Du scheinst schon längst wach zu

       sein? Warum bist du bei deinem Hunger nicht aufgestanden und hinuntergegangen, um zu

       essen?«

       Er holte tief, tief Atem und seufzte:

       »Ich – – ich – – habe keinen Appetit!«

       Diese ganz und gar unerwartete Antwort veranlaßte mich, sofort aufzuspringen, um sämtliche

       Räuchersachen einer gründlichen Ocular-Inspektion zu unterwerfen. Ich fand nichts, was

       meinen Verdacht bestätigte.

       »Du denkst wohl, ich bin noch einmal aufgestanden und habe mich mit den Sachen da oben

       beschäftigt?« fragte er mich in müdem Tone. »Ist mir nicht eingefallen! Ich sage dir, Sappho,

       der Geruch dieser Würste und Schinken ist mir jetzt zuwider!«

       »Wirklich?« fragte ich erstaunt.

       »Ja. Auf Ehrenwort, ich könnte keinen einzigen Bissen davon essen!«

       »Das begreife ich nicht.«

       »Weil du meine Konstitution nicht kennst. Weißt du denn nicht, daß es Menschen giebt,

       welche, wenn sie den Hunger einmal übergangen haben, dann für lange Zeit nicht imstande

       sind, auch nur die geringste Kleinigkeit zu genießen? Sie sind ganz satt, wie vollgestopft.«

       »Mit Bettfedern?«

       »Mach keinen dummen Witz! Zu diesen Vollgestopften gehöre ich auch. Daß ich heute nacht

       den Hunger übergehen mußte, wird mir gar nicht gut bekommen; glaube mir, ich bin innerlich

       wie zugeleimt! Wer weiß, welche lange Zeit vergehen wird, bis ich etwas essen kann. Mein

       Leib ist ganz hart; ich kann kaum Atem holen!«

       »Das sind aber doch Symptome des strikten Gegenteiles vom Hunger!«

       »Das verstehst du nicht. Es sind die Symptome eines sehr stark übergangenen Hungers!«

       »Aber ich habe doch schon ziemlich oft gehungert, doch davon nie einen solchen Leib und

       Atembeschwerden gehabt wie du!«

       »Das kommt davon, daß deine Konstitution eine ganz andere Struktur hat als die meinige.

       Mein Hunger ist ein Löwe, der deinige ein Rhinoceros, also zwei Tiere, welche zu ganz

       verschiedenen Klassen gehören. Ich habe jetzt – –«

       Er wurde unterbrochen, denn Franzl klopfte an die Thür und forderte uns auf, nun endlich

       doch hinunterzukommen, sonst werde der Kaffee so dick wie Pflaumenmus.