»Natürlich mußte sie das! Aber womit? Ich bin neugierig, was du dazu nehmen wolltest.«
»Ja, diese Frage war freilich schlimmer als die orientalische. Dir durfte ich mich nicht
anvertrauen; etwas Eßbares, was ich erreichen konnte, gab es nicht als nur die Kuchen dort.
Hätte ich ein Stück abgeschnitten und in die Wurst gestopft, so wäre die Lücke bemerkt
worden. Nicht?«
»Ja. Die Kuchen sind leider alle ganz; es ist keiner von ihnen angeschnitten.«
»Das ist ja die Sache, die mir Schmerzen macht!« sagte er grimmig; dann fügte er in
vertraulichem Tone hinzu: »Weißt du, Sappho, wer sich über die Kuchen machen will, der
muß gleich einen ganzen essen; das wird nicht so leicht entdeckt, als wenn man ein Stück
herausschneidet!«
»Du, Carpio, du hast doch nicht etwa in dieser Beziehung Gedanken, die mir schrecklich
wären?!«
»Fällt mir gar nicht ein! Ich bin ein Ehrenmann; das weißt du doch!«
»Ja, ein Ehrenmann, welcher Triangel in die Würste schneidet! Also womit wolltest du sie
füllen?«
»Mit – – mit – – ich habe nämlich bemerkt, daß mein Kopfkissen ein Loch hat. Am Inlet
scheint eine Naht aufgegangen zu sein, denn die Federn kommen unten aus dem Überzug
heraus. Ahnst du es nun, Sappho?«
»Carpio, Mensch, Wurst- und Federdieb! Welch ein Gedanke! Du hast die Wurst mit
Bettfedern ausstopfen wollen?«
»Ja, mit Bettfedern,« antwortete er, ich weiß nicht mehr, ob kleinlaut oder triumphierend.
»Welch verderbte, lasterhafte Welt! Ich sage dir, daß dieser dein Gedanke von einer Bosheit
ist, die mich geradezu schaudern läßt! Ich sehe im Geiste den guten Franzl mit seiner Frau am
Tische sitzen und die Magenwurst anschneiden. Da quellen Federn heraus! Welche Gesichter!
Welch ein Aufwand an Geist und Scharfsinn, um dem Wunder, daß ein Schwein keine
Borsten, sondern Federn hat, auf die Spur zu kommen!«
»Sie hätten die Lösung des Rätsels, nämlich das hineingeschnittene Triangel bald gefunden,
aber wohl schwerlich die Schuld auf uns geworfen.«
»Auf uns! Das ist es ja, was mich so sehr empört, nämlich, daß ich, der Unschuldige, bei der
Entdeckung auch in die Gefahr käme, als Dieb betrachtet zu werden!«
»Beruhige dich, hochverehrter Busenfreund! Dein sittlicher und strafrechtlicher Widerwille
ist nur deshalb so groß, weil du keinen Hunger hast! Also ich hätte die Federn in die Wurst
gestopft, die Haut an den Triangelschnitten etwas übereinander gelegt und dann die Schnur
wieder darumgewickelt. Hing sie dann oben an ihrem heimatlichen Haken, so wäre beim
hellsten Tageslichte nicht zu sehen gewesen, daß ich bei nachtschlafender Zeit allhier die
Fütterung meines Löwen vorgenommen habe. Leider ist nichts daraus geworden, und es bleibt
ihm nichts anderes übrig, als weiterzuhungern!«
»Es ist schon drei Uhr nachts; du wirst es bis zum Kaffee aushalten müssen und wohl auch
können. Hättest du es Franzl noch vor dem Schlafengehen gesagt, so lägst du jetzt als
gesättigter und zufriedener Bürger in den Armen des Schlafes der Gerechten. So aber wirst du
unter den Geißelhieben der Furien nicht einschlafen können bis zum Grauen des Morgens,
welche Bezeichnung heute doppelt richtig ist, weil es ihm vor dir graut!«
»Ich wollte, diese Hiebe bekämst du! Ich verzichte auf deine Furien, denn ich habe an
meinem Hunger genug. Komm, wollen uns wieder niederlegen!«
»Ja, stecke deine berühmten Reiseschnuren ein; laß den Stuhl auf seinen eigenen Füßen
stehen, und leg das Bett dahin, wohin es gehört. Und das sage ich dir noch: Wenn du mich
wieder wecken solltest, um dich vom Haken herunterzuholen, so lasse ich dich hängen und
gehe an meinem Wanderstabe ohne deine hungrige Begleitung weiter!«
Ich blies das Licht wieder aus und kehrte zu Morpheus zurück, dem mich der Busenfreund so
rücksichtslos entrissen hatte. Als ich erwachte, war es zehn Uhr vormittags. Carpio lag mit
offenen Augen im Bette; er stöhnte leise vor sich hin und war vor Hunger bleich wie
Konzeptpapier.
»Aber, Carpio, was liegst du noch?« fragte ich erstaunt. »Du scheinst schon längst wach zu
sein? Warum bist du bei deinem Hunger nicht aufgestanden und hinuntergegangen, um zu
essen?«
Er holte tief, tief Atem und seufzte:
»Ich – – ich – – habe keinen Appetit!«
Diese ganz und gar unerwartete Antwort veranlaßte mich, sofort aufzuspringen, um sämtliche
Räuchersachen einer gründlichen Ocular-Inspektion zu unterwerfen. Ich fand nichts, was
meinen Verdacht bestätigte.
»Du denkst wohl, ich bin noch einmal aufgestanden und habe mich mit den Sachen da oben
beschäftigt?« fragte er mich in müdem Tone. »Ist mir nicht eingefallen! Ich sage dir, Sappho,
der Geruch dieser Würste und Schinken ist mir jetzt zuwider!«
»Wirklich?« fragte ich erstaunt.
»Ja. Auf Ehrenwort, ich könnte keinen einzigen Bissen davon essen!«
»Das begreife ich nicht.«
»Weil du meine Konstitution nicht kennst. Weißt du denn nicht, daß es Menschen giebt,
welche, wenn sie den Hunger einmal übergangen haben, dann für lange Zeit nicht imstande
sind, auch nur die geringste Kleinigkeit zu genießen? Sie sind ganz satt, wie vollgestopft.«
»Mit Bettfedern?«
»Mach keinen dummen Witz! Zu diesen Vollgestopften gehöre ich auch. Daß ich heute nacht
den Hunger übergehen mußte, wird mir gar nicht gut bekommen; glaube mir, ich bin innerlich
wie zugeleimt! Wer weiß, welche lange Zeit vergehen wird, bis ich etwas essen kann. Mein
Leib ist ganz hart; ich kann kaum Atem holen!«
»Das sind aber doch Symptome des strikten Gegenteiles vom Hunger!«
»Das verstehst du nicht. Es sind die Symptome eines sehr stark übergangenen Hungers!«
»Aber ich habe doch schon ziemlich oft gehungert, doch davon nie einen solchen Leib und
Atembeschwerden gehabt wie du!«
»Das kommt davon, daß deine Konstitution eine ganz andere Struktur hat als die meinige.
Mein Hunger ist ein Löwe, der deinige ein Rhinoceros, also zwei Tiere, welche zu ganz
verschiedenen Klassen gehören. Ich habe jetzt – –«
Er wurde unterbrochen, denn Franzl klopfte an die Thür und forderte uns auf, nun endlich
doch hinunterzukommen, sonst werde der Kaffee so dick wie Pflaumenmus.