einem Bankdirektor die geringste Ähnlichkeit.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil du für einen Bankdirektor viel zu jugend- und für einen Raubmörder viel zu tugendhaft
aussiehst. Du wirst also einstweilen noch nicht eingesperrt werden.«
Diese Ausführungen waren von solcher Beweiskraft für ihn, daß er sich beruhigte.
Unser guter Franzl wurde durch die bekannte Association der Ideen von den Fidibus auf die
Cigarren geleitet; er offerierte uns von neuem welche. Ich griff zu, warnte aber Carpio, dies
auch zu thun, denn die Wirkung der mit dem Reisepaß genossenen war noch nicht vorüber. Er
warf die Oberlippe verächtlich auf und würdigte mich keiner Antwort. Gegen den Wirt aber
wurde er um so zutraulicher, was so weit ging, daß er ihm versprach, ihn zu den Osterferien,
wo wir wiederkommen würden, mit gepaschten Cigarren zu versehen. Als Franzl dies hörte,
machte er ein außerordentlich appetitliches Gesicht und fragte:
»Gepaschte? Hm! So etwas raucht man freilich lieber als diese hier; aber verstehen Sie sich
denn auch auf dieses Geschäft?«
»Na, und ob!« antwortete Carpio, indem er eine Miene zog, als ob er schon Wagenladungen
von Cigarren über die Grenze geschmuggelt hätte. »Wir sind ja diesmal auch nicht so ganz
ohne gekommen!«
»Wie? Was? Wirklich? Wo haben Sie denn abgeladen?«
»Gleich hinter Eger. Am ersten Abend, nachdem wir über die Pfähle waren.«
»Bei wem denn?«
»Geschäftsgeheimnis!«
»Viel?«
»Will ich meinen!«
»Auf welche Art haben Sie denn das fertig gebracht?«
»Auf eine höchst – – höchst – –«
Da der Schmugglerhauptmann Carpio vor Verlegenheit ins Stocken kam, fuhr ich an seiner
Stelle fort:
»Auf eine höchst lederne Art und Weise. Es hängt das mit dem vorübergehenden Domizile
seines Passes eng zusammen.«
»War es bedeutend?«
»Vier.«
»Vier Tausend oder vier Centner?«
»Wir paschen nicht nach dem Tausend und auch nicht nach dem Centner, sondern nach der
Qualität, und die war ausgezeichnet, so ungefähr wie ungarisches Weizenmehl Nummer Null.
Wenn es uns auf unserer Osterreise in derselben Weise wieder glückt, werden Sie große
Augen machen. Mehr kann ich jetzt nicht sagen!«
Der jetzige Gesprächsgegenstand hätte auch ohnedies nicht weitergeführt werden können,
weil wir unterbrochen wurden. Die fremde Frau kam wieder zu uns. Sie brachte ihren Knaben
mit und sagte, da ihr Vater nun eingeschlafen sei, würde es sie glücklich machen, hier im
warmen Zimmer noch ein Weilchen bei uns sitzen zu dürfen. Es wurde ihr natürlich gern
erlaubt. Franzl gab ihr noch ein Glas Wein und beschloß, um den Knaben zu erfreuen, die
gegen seine Frau geplante Kriegslist schon jetzt gleich in Ausführung zu bringen. Er holte
neue Lichter, welche aufgesteckt und angezündet wurden. Dann saß die Frau, ihr Kind
zärtlich an sich gedrückt, im Glanze des Weihnachtsbaumes mit wehmütigem Lächeln da,
ohne an unserem Gespräch teilzunehmen.
Carpio war infolge des ungewohnten Weines außerordentlich mitteilsam geworden; er
erzählte seinen ganzen Lebenslauf oder vielmehr alles nach seiner Ansicht Merkwürdige, was
sich auf demselben zugetragen hatte. Diese Merkwürdigkeiten bestanden meist darin, daß ihm
durch die unbegreifliche Zerstreutheit anderer Leute die mannigfaltigsten Drangsale bereitet
worden waren; besonders spielten seine Schwestern dabei eine große, für ihn verhängnisvolle
Rolle, und wenn seine Erlebnisse wirklich so geschehen waren, wie er sie berichtete, so hatte
er seine ganze Zeit und alle seine Geisteskräfte nur dazu anzuwenden gehabt, die
Gedankenlosigkeit dieser jungen Damen für sich unschädlich zu machen. Als er dann auch
auf unsere innige Freundschaft zu sprechen kam, hatte er die freundliche Gewogenheit, meine
jungen Vorzüge mit einigen gütigen Streiflichtern zu berühren. Er erwähnte dabei, daß ich
auch ein nur mit Sappho zu vergleichender Dichter sei, und daß das vorhin deklamierte
Weihnachtsgedicht aus meiner berühmten Stahlfeder stamme. Als die Frau dieses hörte, fragte
sie mich:
»Ist das wahr, wirklich wahr? Sind Sie wirklich der Verfasser dieses Gedichtes, Sie junger
Mann?«
Ich bejahte diese Frage mit dem bekannten, sanften Erröten, welches ein Zeichen jener
verdienstvollen Bescheidenheit ist, die jeden zeitgenössischen deutschen Dichter ziert.
»Wie mich das freut! Denn eigentlich bin ich dieses Gedichtes wegen noch einmal
heruntergekommen. Es hat auf mich und ganz besonders auf meinen Vater einen tiefen
Eindruck gemacht; ja, es schien, als ob es gerade nur für uns und für keinen andern Menschen
gedichtet worden sei. Ich möchte es darum gern, ja gar so gern besitzen, und wollte Sie, der
Sie es deklamiert haben, fragen, ob Sie mir es wohl diktieren möchten, falls ein Papier
vorhanden wäre.«
Diese letzteren Worte waren an Carpio gerichtet, welcher Busenfreund sofort aufsprang und
sein Notizbuch hervorzog. Ich habe bereits erwähnt, daß es eine Zeit gab, in welcher jeder
Mitschüler mein Gedicht bei sich trug; Carpio war diesem Brauche treu geblieben. Dieser
Busenfreund nahm es aus dem Buche und reichte es der Frau mit jener wundervoll
abgerundeten, gentlemanliken Armbewegung hin, welche nur jungen Gymnasiasten eigen ist,
wobei er sagte:
»Ich besitze es zweimal, nämlich im Kopfe und hier auf dem Papiere. Nehmen Sie, bitte, die
Abschrift, und lassen Sie mir den Kopf, so ist uns beiden geholfen.«
Der gute Mensch schien diesen Worten nach zu fühlen, daß ihr mit seinem Kopfe
wahrscheinlich sehr wenig geholfen sei. Sie zögerte nicht, sein Geschenk anzunehmen, und
die Art und Weise, wie sie dies that und sich bei ihm und mir bedankte, bestätigte aufs neue
unsere Ansicht, daß sie früher nicht das gewesen sei, was sie jetzt war. Dies brachte auf
meinen Freund eine so gute Wirkung hervor, daß er ihr in geheimnisvoller Weise andeutete,
es sei ihm auch außerhalb dieses Gedichtes möglich, ihr einen vielleicht noch größeren Dienst
zu erweisen.
Als sie ihn hierauf stumm fragend anblickte, brannte er sich eine neue Cigarre an und begann
dann, von Christoph Kolumbus und Amerigo Vespucci zu erzählen.