Es war wieder mal ein erster Januar. Große Dinge beginnt man am besten sofort oder setzt sich einen festen Zeitpunkt, denn sonst besteht die Gefahr, dass man sie nie tun wird! Und da ich sofort immer andere Sachen zu erledigen hatte, hatte ich mir, wie schon des Öfteren, diesen Tag als Datum gesetzt.
Wie im letzten Buch („Der Käser“) berichtet, hatten wir - mein Sohn, der den Hof mal übernehmen wollte und ich - uns auf einen Holzbau mit weitgehend lokalen Materialien festgelegt, gut eingegliedert in die Landschaft, vor allem in den Berghang. Einerseits aus Kostengründen, wegen der Zufahrtsschwierigkeiten und weil man das früher sicher auch so gemacht hätte. Wie das Ganze mal aussehen sollte, war weitgehend klar. Praktisch, arbeitserleichternd, kurze Wege und den Erfahrungen von dreißig Jahren gerecht werdend.
Wieder mal saß ich vor einem weißen Blatt Papier, worauf es galt, den Plan zu zeichnen, und vor allem die richtigen Maße zu finden. Denn seit der Zeit, da unser alter Stall gebaut worden war, waren die Kühe grösser geworden und auch Maschinen kamen zur Anwendung, die man sich früher nie hätte vorstellen können. Alleine in Handarbeit ist heute leider kein Hof mehr zu bewirtschaften. Es fehlen die helfenden Hände.
Auf anderen Höfen, vor allem in Deutschland, hatte ich mit dem Meterstab die Längen und Breiten von Kuh-Liegeplätzen gemessen. Denn hier durfte kein Fehler gemacht werden, ging es doch um das Wohlergehen unserer Pensionäre, von denen auch unser Überleben abhing. Denn wir hatten uns für einen Anbindestall entschieden, nicht für einen der immer mehr in Mode kommenden Laufställe. Diese erschienen uns zu kalt, zu schmutzig, vor allem für die darin gehaltenen Tiere. Abgesehen davon, dass in einem Laufstall die Kühe enthornt werden mussten, wegen der Verletzungsgefahr bei Rangkämpfen. Außerdem wurde das umliegende Land bei die dieser Methode zu sehr beansprucht, vor allem bei längeren Schlechtwetterperioden. Dabei verwandelte es sich in einen knietiefen Morast, worin die Tiere bis zum Bauch versanken. Nicht nur, dass dabei die Euter verschmutzt wurden, sondern an Hängen wie bei uns, würde sich der ganze Schlamm langsam talwärts bewegen und den felsigen Untergrund freilegen.
Das abschreckende Beispiel eines Freilauf-Stalles befand sich drei Dörfer abwärts. Anfangs war diese Stallung ein Musterbetrieb gewesen, zu dem autobusweise Bauern angekarrt wurden, um ihnen die neueste Entwicklung in der Kuhhaltung vorzuführen. Angeblich war dieses System weniger arbeitsaufwendig und könnte, weil sich die Kühe vom Fressplatz durch gitterbestückte Laufgänge zum Melkstand bewegten, von einer einzigen Person bedient werden. Der Hof lag neben der Hauptstraße. Dadurch konnten wir bei jedem Vorbeifahren die genaue Weiterentwicklung des Mustergutes beobachten. Nach den ersten Regengüssen verwandelte sich das umliegende Land in einen Morast, worin die Kühe steckenblieben. Nur mühsam konnten sie sich daraus befreien, wenn es ans Melken oder Füttern ging. Natürlich wurde dabei der ganze Schmodder in die Gebäude getragen. Da beim Reinigen das Wasser nach draußen floss und die Tiere bald den Abflussgraben zugestampft hatten, trocknete da Land kaum mehr aus. Zuerst wuchsen in näherer Umgebung nur noch Unkräuter, vor allem Ampfer, bald auch in weiterer Umgebung, nach ein paar Jahren auf der ganzen Landfläche. Im Winter froren wegen der stets offenen Durchgänge die Wasser- und Milchleitungen zu. Es wurde chaotisch.
Die Gebäude bestanden aus einer riesigen Überdachung, unter der auch das Heu gelagert wurde. Dieses wurde entweder draußen im Freien in runden Raufen verfüttert oder bei schlechtem Wetter unter dem Vordach, wo sich natürlich bald der Dung häufte. Ein länglicher, niedriger mit Eternit überdachter Schuppen beinhaltete die Schlafplätze der Kühe, enge Boxen, leider sehr kurz bemessen. Diese waren voneinander durch Rohrrahmen abgetrennt, worin die Kühe, etwas erhöht, damit der Kot in den sich dahinter befindlichen Gang fiel, sich zur Ruhe legen konnten. Doch zogen es die meisten vor, sich draußen hinzulegen. War das, weil diese Plätze zu wenige und zu kurz waren oder wegen der trotz Enthornung der Tiere weiter andauernden Rangkämpfe? Wenn Kühe auf engem Raum frei eingesperrt sind, müssen sie enthornt werden. Meist durch die Säge, bei Jungtieren durch Ausbrennen.
Das sollten die Tierschützer, die gegen Anbindehaltung sind, sich mal vor Augen führen! Auch, wenn sie als einen zusätzlichen Grund das Gefahrenrisiko durch Hornstoß für den Bauern aufführen. In vierzig Jahren habe ich ein einziges Mal einen Hornstoß neben einem Auge abbekommen, und diesen hätte ich voraussehen können! Wie oft hingegen ist mir eine Kuh auf den Fuß getreten. Logischerweise müsste man ihnen eher die Füße als die Hörner amputieren! Und wenn manche behaupten, Kühe brauchen Bewegung und sollten nicht angebunden werden, da sonst ihr Körper zu anfällig wird, so kann ich dem nur entgegenhalten, dass innerhalb von über dreißig Jahren Stallhaltung während der Winterperiode nicht ein einziges Mal beim Rauslassen im Frühjahr sich eine Kuh verletzt hatte! Ich finde, die beste Möglichkeit hier in den Bergen ist winterliche Stallhaltung und, bei schönem Wetter, gelegentlicher Weidegang. Außerdem muss sich das Land auch erholen. Und in Hinblick auf Parasitenbefall tut es den Kühen gut, ein paar Monate im Trockenen zu sein. Denn wo fressen sie, wenn man sie rauslässt? Dort wo es am grünsten ist! Und das sind gerade die feuchteren Stellen, wo auch eine Schneckenart auftritt, die als ‚Zwischenwirt‘ für gewisse Parasiten dient, durch deren Schleim die Kühe mit den Larven des Schmarotzers verseucht werden. - Jedenfalls war es ein trauriges Bild, die Tiere des Laufstalles im Winter draußen stehen zu sehen, mit gefrorenem Fell und gekrümmtem Buckel!
Ein weiteres Gebäude dieses Musterhofes enthielt den Melkstand, eine tiefliegende Grube, an welcher sich oben die Kühe anstellten, um gemolken zu werden, gelenkt durch mit Hebeln zu bedienenden Schranken. Es hingen zwar einige Planen als Windschutz herum, doch verwandelte sich der Melkstand im Winter in einen Kühlraum mit unter null Grad, mit den dadurch bedingten Problemen. Einmal gemolken, kamen die Tiere wieder hinaus ins Freie und ihr erneuter Kreislauf begann.
Eines Morgens, als ich nach Castillon zum Markt fuhr, war mir als lägen rund ein Dutzend Tiere auf der Wiese verteilt, fast als ob sie schliefen, nur in einer etwas eigenartigen Haltung. Auf dem Markt erfuhr ich schon bald, was überall gemunkelt wurde: Die Tiere seien vergiftet worden! Nicht durch böse Nachbarn, sondern durch Reinigungsmittel aus dem Käsewerk, die aus Versehen in die Molke gelangt waren. Dabei erfuhr ich, dass aus Rentabilitätsgründen die anfallende Molke aus der Fabrik wieder an die Tiere verfüttert wurde, unter anderem, um ihre Milchleistung zu erhöhen. Bis dahin war mir unbekannt, dass Kühe auch Molke tranken. Gut, Menschen trinken auch Milch. Aber Kühen, Pflanzenfressern, Molke vorzusetzen? Man hatte beim BSE-Skandal gesehen, wozu es führt, wenn man Pflanzenfressern tierische Produkte verfüttert! Nach drei Tagen lagen die Kadaver immer noch da. Kein schönes Bild, vor allem für die moderne Landwirtschaft! Angeblich wurden die Versicherungen sich nicht einig, wer den Schaden zahlen sollte. Und wieviel. Den Preis für die Tiere? Denn sicher wollte der Bauer auch noch einen Ersatz für die auf längere Zeit verlorengegangene Milch!
War dieser Hof ein paar Jahre lang das Wallfahrtsziel Rentabilität suchender Bauern gewesen, so verkam der Hof langsam immer mehr zu einem Schandfleck. Und als dann der Bauer in Rente ging, fiel das Land nach längeren Streitereien vor Gericht zwischen den drei Großbauern des Tales an jemanden, der auch Milch herstellte, aber in einem anderen Dorf und nur das Land benutzte. Nach jahrelangem Kampf gegen die Verunkrautung und nach Ackern und Neuaussäen schaffte es dieser, hier wieder Gras wachsen zu lassen.
*
Im Allgäu, dem südlichen Teil Bayerns, befanden sich schöne Hofgebäude, so angelegt, dass durch die Hänge bedingt verschiedene Etagen mit dem Traktor befahrbar waren und ein rationelles Einbringen des Futters und Ausbringen des Mistes gewährleisteten. Und so ein Gebäude brachte ich in den ersten Tagen des neuen Jahres zu Papier. Einmal die Grundfläche gezeichnet und auf die richtigen Maße gebracht, entwickelte sich das Drumherum und das Darüber schier von selbst und begann in mir eine Vorfreude auf das bald beginnende Bauen zu erwecken. Drei Jahre hatte ich eingeplant, um alles zu verwirklichen. Denn vor allem in den Sommermonaten würde es kaum vorangehen, wegen der vermehrten Hofarbeiten.
Geldmäßig müsste es auch klappen, standen doch rund 100 000 Euro als Subventionen in Aussicht. Dazu kam, dass der für die landwirtschaftlichen Zuschüsse zuständige Beamte von Foix nach Toulouse versetzt war, an die übergeordnete Instanz. Dieser war den Bauern wohlgesonnen und unterstützte auch kleinere Projekte, die ihm sinnvoll erschienen. Er versicherte mir nicht nur die finanziellen