»Ging er vorüber?« »Geradeswegs vorüber, ohne nach rechts oder links zu schauen.«
»Das ist noch sonderbarer«, meinte Alan. »Ich glaube, Davie, es ist an der Zeit, daß wir uns aus dem Staube machen. Aber wohin? Der Teufel hol es! Jetzt ist tatsächlich die alte Zeit zurückgekehrt.«
»Mit einem großen Unterschied«, erwiderte ich. »Diesmal haben wir Geld in der Tasche.« »Da ist noch ein zweiter, wichtiger Unterschied, Mr. Balfour«, sagte er. »Heute sind uns die Spürhunde auf den Fersen. Sie haben die Fährte aufgenommen; die Meute ist uns hart auf der Spur, David, 's ist ein elendes Geschäft, hol es der Henker.« Er dachte angestrengt nach, und ein Ausdruck trat auf sein Gesicht, den ich gut kannte. »Sagt einmal, Frau Wirtin,« fragte er, als die Hausfrau zurückkehrte, »hat dieses Gasthaus noch einen rückwärtigen Ausgang?« Sie bejahte und erklärte ihm, wohin er führe.
»Dann, Sir,« meinte er, zu mir gewandt, »ist das, meines Erachtens, für uns der kürzeste Weg. Lebt recht wohl, gute Frau, und das Zimtwasserrezept werde ich mir merken.« Wir verließen das Haus durch der Wirtin Kohlgarten und bogen in einen Wiesenpfad ein. Alan spähte scharf nach allen Seiten und ließ sich, da wir uns in einer kleinen Erdsenke außer Sichtweite befanden, am Wege nieder. »Und jetzt zu unserm Kriegsrat, Davie«, sagte er. »Zuvor aber einen Wink. War ich nun wie du gewesen, was hätte sich die Alte an uns gemerkt? Nichts weiter, als daß wir durch die Hintertür das Haus verließen. Und an was erinnert sie sich jetzt? An einen netten, gemütlichen, freundlichen, gesprächigen Mann, der – armer Kerl – an Leibschmerzen litt und ungemein von ihres Gevatters Schicksal mitgenommen war! Ach, Davie, Mann, versuch doch ein wenig klüger zu werden.« »Ich will's versuchen, Alan«, versprach ich.
»Und jetzt zu dem Fuchskopf«, fuhr er fort; »ging er schnell oder langsam?«
»So halb und halb«, entgegnete ich.
»Also keine große Eile?«
»Keineswegs.« »Hm,« sagte Alan, »das sieht merkwürdig aus. Heute morgen in Whins war keine Spur von ihnen zu entdecken; er überholt uns, er scheint nicht nach uns auszuschauen, und doch bleibt er uns auf der Spur! Potz Donner, Davie, ich glaube, ich hab's! Ich glaube, sie sind gar nicht hinter dir her, mich wollen sie fangen. Und ich glaube, sie wissen genau, was sie tun.« »Sie wissen?« fragte ich, »Ich glaube, Andie Scougal hat mich verkauft – er oder sein Maat, der zum Teil Bescheid weiß – oder Charlies Schreiberbursche, was ja ein Jammer wäre«; bemerkte Alan, »und wenn du mich nach meiner ganz persönlichen Ansicht fragst, bin ich der Meinung: auf Gillane Sands wird's einige geborstene Schädel geben.« »Alan,« rief ich, »wenn du nur annähernd recht hast, werden ihrer mehr als genug dort sein! Es wird uns aber wenig nützen, ihnen die Schädel einzuschlagen.« »Es wäre aber eine Art Genugtuung«, meinte Alan. »Doch wart ein Weilchen, wart ein Weilchen; laß mich mal überlegen – ich glaube, ich hab noch eine Chance, durchzukommen, dank dieses prächtigen Westwinds. Auf folgende Weise, Davie: ich habe mich mit diesem Kerl Scougal erst gegen Dunkelwerden verabredet. ›Aber,‹ sagte er, ›schnapp ich von Westen her 'ne Handvoll Wind auf, bin ich viel früher dort,‹ – das hat er gesagt – ›und dann warte ich auf Euch hinter der Insel Fidra.‹ Wenn nun deine Herrschaften den Treffpunkt kennen, wissen sie auch die Zeit. Siehst du, worauf ich hinaus will, Davie? Dank Johnnie Copes und der übrigen schafsköpfigen Rotröcke kenn ich diese Gegend wie meine Tasche; und bist du bereit, wieder mal einen kleinen Eilmarsch mit Alan Breck zu unternehmen, so könnten wir uns ein Stückchen landeinwärts schlagen und bei Dirleton wieder zur Küste stoßen. Finden wir dort mein Schiff, so werden wir versuchen, an Bord zu gehen. Ist es nicht dort, muß ich wohl oder übel in meinen verdammten Heuschober zurück. Auf jeden Fall aber werden unsere Herrschaften vergeblich nach uns pfeifen.« »Vielleicht ist die Sache durchführbar«, sagte ich. »Also los, Alan!«
Dreizehntes Kapitel Gillane Sands
Ich lernte aus Alans Führung weniger als er aus General Cope's Manöver, denn ich weiß kaum, welchen Weg wir nahmen. Meine Entschuldigung ist, daß wir sehr rasch reisten. Teils liefen, teils trabten wir, und die übrige Strecke marschierten wir in einem verteufelten Tempo drauflos. Zweimal prallten wir mitten im Lauf mit Landleuten zusammen, und obwohl der erste ganz unversehens an einer Ecke auftauchte, war Alan schlagfertiger als eine geladene Muskete. »Habt Ihr mein Pferd gesehen?« keuchte er. »Nee, nee, wir haben überhaupt kein Pferd gesehen,« antwortete der Bauer. Und Alan nahm sich die Zeit, ihm ausführlich auseinanderzusetzen, wir hätten höchste Eile; unser Rößlein hätte sich losgemacht, und wir fürchteten, es sei auf dem Wege in den Stall nach Linton. Damit nicht zufrieden, fing er an, unter Aufwand des geringen Atems, der ihm noch geblieben war, sein Pech und meine Dummheit, die an allem schuld wäre, zu verfluchen. »Wer nicht die Wahrheit sagen kann,« bemerkte er im Weitergehen zu mir, »sollte stets eine ehrliche, handfeste Lüge bei der Hand haben. Wenn die Leute nicht wissen, was du vor hast, Davie, sind sie verflixt neugierig; glauben sie aber Bescheid zu wissen, dann fragen sie so wenig danach, wie ich nach einem Linsengericht.«
Da wir zuerst landeinwärts marschiert waren, führte unsere Straße zuletzt fast unmittelbar nach Norden; die alte Kirche von Aberlady war unser Wegzeichen zur Linken, zur Rechten die Anhöhe von Berwick Law; so erreichten wir dicht bei Dirleton die Küste. Westlich von North Berwick bis Gillane Neß liegen in einer Reihe vier kleine Inseln: Craigleich, The Lamb, Fidra und Eyebrough, alle bemerkenswert durch die Verschiedenheit ihrer Größe und Gestalt. Fidra ist die eigenartigste: eine seltsame, graue Insel mit zwei Höckern, die obendrein noch eine Ruine trägt; und ich erinnere mich, die See spähte, als wir uns ihr näherten, fast wie ein menschliches Auge durch die Türen und Fenster dieser Trümmerstätte. Die Leeseite von Fidra bietet bei Westwind einen guten Ankerplatz; und dort sahen wir auch schon von weitem die ›Thristle‹ sich an ihren Tauen wiegen. Die Küste ist gegenüber diesen Inseln vollkommen verödet; nirgends eine menschliche Behausung und nur sehr selten