Der Frauenarzt hatte eine Haut, so runzlig wie Krepppapier, und himmelblaue Augen, die mich durch die Gläser seiner randlosen Brille musterten. Er strahlte Erfahrung und Gelassenheit aus. Ich dagegen zappelte auf dem Holzstuhl und erzählte ohne Punkt und Komma. Danach war mein T-Shirt unter den Achseln nass geschwitzt und mein Gesicht so rot wie eine reife Paprika.
Er räusperte sich, neigte seinen Kopf nach rechts und lächelte. „Also, habe ich richtig verstanden: Sie möchten ein Kind?“
Die Worte blieben mir im Halse stecken. Ich starrte ihn an und überlegte. Klar wollte ich ein Kind. Aber offiziell nicht. „Nein, ich meine ja, aber nicht unbedingt jetzt. Ich mache mir vielmehr Sorgen, eine hormonelle Störung zu haben. Ich dachte, ich wäre schwanger, weil meine Regel ausgeblieben ist, aber alle Urintests waren negativ“, stotterte ich.
Er guckte mich perplex an, tippte etwas in die Tastatur und wandte sich mir wieder zu.
„Das wäre aber selten. Sie sind doch …“
„Fast siebenundzwanzig“, schnitt ich ihm das Wort ab.
Er stellte mir einige Fragen und bat mich dann, mich für die Untersuchung auszuziehen. Sie war kurz und schmerzlos, und keine zwei Minuten später saß ich wieder vor ihm, mit dem Gefühl, komplett verrückt geworden zu sein. „Ich habe nichts Beunruhigendes gesehen. Keine Zysten, keine Anzeichen für eine Infektion. Sie werden Ihre Regel wahrscheinlich in ein paar Tagen bekommen. Ich kann bei Ihnen kein Problem erkennen. Es gibt zwar Frauen, die in Ihrem Alter Hormonstörungen haben, aber das ist selten. Messen Sie Ihre Basaltemperatur?“
Als ich seine Frage verneinte, holte er aus einer Schublade ein paar DIN-A4-Blätter mit einem vorgedruckten Gitter darauf. Auf der x-Achse befanden sich die Zahlen eins bis einunddreißig, auf der y-Achse gingen sie von sechsunddreißig bis achtunddreißig in 0,1-Schritten. Er legte sie mir vor die Nase. „Jeden Morgen nach dem Aufstehen die Körpertemperatur messen, immer um die gleiche Uhrzeit, drei Monate lang. Und zusätzlich kommen Sie einmal zwischen dem dritten und dem siebten Zyklustag und einmal zwischen dem sechzehnten und dem zweiundzwanzigsten zu uns in die Praxis. Wir nehmen Blut ab und schauen nach Ihren Hormonwerten.“
Ich nickte, nahm die Bögen und verabschiedete mich. Am gleichen Abend meldete ich mich im Internet in einem Forum für Natürliche Familienplanung an. Dort konnte man online die Messwerte eintragen und bekam am Ende des Monats eine hübsche Grafik ausgespuckt. Darüber hinaus konnte man sich mit anderen Frauen austauschen, sich Ernährungsratschläge einholen, um die Fruchtbarkeit zu steigern, und fand Links zu Yogakursen, Fruchtbarkeitsmassagen und Produkten rund um die glückliche Frau mit ausgeglichenem Hormonhaushalt. Ich lernte, dass sich die Körpertemperatur einer Frau nach dem Eisprung durchschnittlich um 0,3 Grad Celsius erhöht und kurz vor der Regel wieder auf das ursprüngliche Niveau sinkt. Bleibt die Temperatur länger als drei Tage über dem Mittelwert der ersten Zyklushälfte, so ist dies der Beweis einer erfolgten Ovulation.
Die Methode ist aber nur aussagekräftig, wenn man nach dem Aufstehen immer um die gleiche Uhrzeit misst. Ich stellte auch am Wochenende den Wecker auf Viertel vor sieben, schlief aber mehr als einmal weiter. Nach einem Monat hatte ich auf dem Bildschirm meines Rechners eine zackige Linie, die mich an die kindliche Darstellung einer Gebirgskette erinnerte. Kein Vergleich zu den Musterkurven, die als Beispiel auf der Webseite aufgeführt waren, die in der Mitte lediglich einen Knick nach oben aufwiesen, eben den Temperatursprung nach dem Eisprung. Dafür, dass ich beruflich ständig mit Diagrammen und Zahlen arbeitete, konnte ich mit den Daten nur wenig anfangen.
Ich erzählte weder Malte noch meinen Freundinnen etwas von meinem Frauenarztbesuch und den Messungen. Zum einen hatte ich Angst, dass sie mich für verrückt erklären würden, zum anderen schämte ich mich, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, irgendetwas wäre nicht in Ordnung. Nach außen gab ich mich so fröhlich und entspannt wie immer, damit niemand Verdacht schöpfen konnte. Nur die Vorstellung, noch ein Kind zu bekommen, erschien mir auf einmal ganz fern. Ich hatte mir monatelang den Kopf zerbrochen, wie ich meinen Freund davon überzeugen soll, mit mir eine Familie zu gründen. Und plötzlich überwältigte mich das Gefühl, dass es so oder so nicht einfach werden würde. Den Silvesterabend verbrachte ich mit Malte in einer Kneipe, die seinem Cousin gehört. Wir beobachteten, wie die Menschen auf der Straße Raketen zündeten und sich umarmten, während die Sirenen der Feuerwehr im Hintergrund heulten und alles in Rauch unterging. Als die Böllerorgie vorbei war, tranken wir vor der Tür Sekt und küssten uns.
„Ich weiß, dass ich Kinder haben werde“, sagte Malte plötzlich. Ich schaute ihn perplex an. Ich hatte seit Wochen das Thema Nachwuchs vermieden, und am Neujahrstag wäre es mir erst recht nicht eingefallen, über Familienplanung zu reden. „Wenn du meinst“, antwortete ich, ging wieder rein und schloss mich einer Gruppe betrunkener Australier an, die zu „Walking on Sunshine“ tanzten. Als wir um vier Uhr morgens mit der Straßenbahn nach Hause fuhren, konnte ich es nicht unterlassen, Malte nach der Bedeutung seiner Worte zu fragen. Mit müden Augen schaute er mich an und gähnte.
„Ach, nichts. Ich meinte nur, irgendwann. So einen süßen Jungen wie Fynn zu haben. Es wäre schön. Bevor ich …“
„Ich weiß, bevor du vierzig wirst. Aber was, wenn es nicht klappt? Ich meine, wenn wir nicht in der Lage wären, ein Kind zu zeugen?“
„Ach, quatsch. Wir sind jung und gesund. Warum sollten wir nicht in der Lage sein?“
„Aber du meinst … Vielleicht können wir es probieren?“
„Ja, meinetwegen. Vielleicht. Mal schauen.“
Ich schaute aus dem Fenster und schwieg. Ich wollte nur noch Fynn umarmen und mich mit ihm unter der Decke verkriechen. Es gab keinen Grund zu glauben, dass wir unfruchtbar wären. Und dennoch konnte ich nicht aufhören zu denken, dass irgendetwas nicht stimmte.
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