Dass das Leben mit zwei Kindern anstrengend werden würde, darüber dachte ich nicht nach. Ich hatte mich schließlich allein mit Fynn durchgeschlagen. Mit einem verantwortungsvollen Freund und einem Job wäre der Familienzuwachs problemlos zu schaffen. Ich war sechsundzwanzig, ich hätte mit einem zweiten Kind auch zehn Jahre warten können. Aber mit einem pubertierenden Jungen im Haus noch mal mit Windeln und Brei anzufangen, stellte ich mir nicht optimal vor. Außerdem würde sich Fynns Begeisterung, wenn er kurz vor dem Abitur ein Geschwisterchen bekäme, wahrscheinlich in Grenzen halten. Ich wollte schon immer jung Kinder haben. Meine innere Stimme sagte ja zu einer zweiten Schwangerschaft. Malte dagegen zweifelte. Er zweifelte - wie viele Adoptivkinder - grundsätzlich an allem, was mit engen menschlichen Bindungen zu tun hatte. Eine Vaterschaft verband er mit der Pflicht, sesshaft zu werden, was ihn wiederum erschreckte. Er war als Schauspieler daran gewöhnt, den Koffer zu packen und irgendwo hinzufahren, wenn es ihm zu langweilig wurde. Er hatte überall in der Bundesrepublik Freunde, von Kiel bis Freiburg, und war bei ihnen stets willkommen. Was die meisten Menschen mit ihrer Studienzeit verbanden und mit deren Ende als geschlossenes Kapitel betrachteten - auf WG-Sofas schlafen, nachts durch Kneipen tingeln und am nächsten Tag am Flussufer mit Augenringen frühstücken, um später in der Sonne ein Nickerchen einzulegen -, machte ihm mit sechsunddreißig Jahren noch zu viel Spaß, als dass er darauf verzichten wollte. Sein Ehrgeiz und die Liebe zu seinem Beruf trieben ihn oft dazu, Engagements zu akzeptieren, egal, an welchem Ort. Die Jobs seien hart umkämpft, da könne man sich nicht den Luxus leisten, nein zu sagen, meinte er immer.
„Willst du wirklich mit ihm eine Familie gründen? Dann bist du de facto doch wieder alleinerziehend“, sagten meine Freunde besorgt. Die meisten teilten über Malte die gleiche Meinung: ein liebenswerter, charmanter, intelligenter Streuner, der aus seinem Junggesellendasein noch den letzten Tropfen heraussaugte.
Für mich war er dennoch der Hafen meiner Sehnsüchte und ein Traumvater für meine Kinder. Wenn er auf der Bühne stand, brannte in ihm ein Feuer, das bei vielen erwachsenen Menschen durch den Alltagstrott erloschen war. Ich stellte mir vor, wie viel er unseren Kindern geben könnte: seine Liebe zur Kunst, seine kindliche Seele, seinen Humor. Das Pflichtgefühl, dessen war ich mir sicher, hätte sich spätestens eingestellt, wenn er sein Baby in den Händen hält. Er war kein Mann, der jeden Abend mit seiner Familie auf der Couch fernsieht, aber damit konnte ich leben. Meine Oma pflegte seit eh und je zu sagen, dass man nie die Henne im Topf und am nächsten Tag ein frisches Ei haben konnte. Aber ich wollte irgendwie beides.
„Das Jüdische Museum müssen wir uns unbedingt anschauen“, sagte Malte und tippte auf einen Punkt in der Mitte unseres Stadtplans.
Ich schaute nach oben. Es war kühl geworden. Die Wolken umzingelten mittlerweile die Prager Burg, die in der Ferne zu sehen war, wie eine feindliche Armee.
„Vielleicht sollten wir erst mal schnell da hochklettern“, sagte ich und zeigte dabei auf die Turmspitzen, die von unten wie zwei Storchenschnäbel aussahen, die an der Himmeldecke kratzten.
Malte nickte. Wir beglichen die Rechnung, stiegen in eine altmodische Straßenbahn, überquerten die Karlsbrücke und trabten auf der Neruda-Straße, die sich an einer Flanke des Hügels hochschlängelte, zur Burg. Die anmutigen Barockfassaden standen im Kontrast zur Aufdringlichkeit der schrillen Läden, die den Touristen Tassen, T-Shirts und Taschen mit Prager Motiven anboten.
Plötzlich verschwand Malte in einem der Geschäfte, noch bevor ich es merkte. Ich fand ihn, wie er Bilder von Sehenswürdigkeiten betrachtete, und schmunzelte. Er kaufte selten etwas, was er nicht zum Überleben brauchte, und schon gar keine Dekoration für die Wohnung. Seine zwei Zimmer, in die er erst vor kurzem eingezogen war, waren so karg eingerichtet, dass man hätte meinen können, ein buddhistischer Mönch wohne dort. Oder jemand, der sich höchstens ein paar Tage im Jahr dort aufhielt. „Was hältst du davon? Könnte ich über dem Bett aufhängen. Ich will es bei mir ein bisschen gemütlicher gestalten. Diesmal habe ich nicht vor, so schnell wieder auszuziehen“, sagte er lächelnd und zeigte auf ein Poster, auf dem die Karlsbrücke bei Sonnenuntergang abgebildet war. Es war kein Bild, das ich mir gekauft hätte, aber sein letzter Satz störte mich viel mehr. In seinen zwei Zimmern würden Fynn und ich niemals Platz finden. Und er hatte anscheinend nicht vor, sich was anderes zu suchen. Die Altbauwohnung mit Stuck und Dielen würde es nicht geben, zumindest nicht mit ihm.
Ich hob die Schultern. „Ja, ist okay. Schön“, flüsterte ich. Seine Miene versteinerte sich.
„Magst du also nicht. Ist es kitschig?“
„Nein, nein. Kauf es ruhig, wenn's dir gefällt. Ich muss ja nicht bei dir wohnen.“
Ich bemühte mich, meine Enttäuschung zu verbergen, aber er hatte mich verstanden.
„Ach, darum geht es also. Ich habe dir das schon erklärt“, seufzte er.
„Ich habe noch nie mit einer Frau zusammengewohnt. Dafür bin ich nicht geschaffen.“
Sein Ton war höflich, aber bestimmt. Ich merkte, wie mein Magen sich verkrampfte. Am liebsten hätte ich mit den Füßen gestampft, wie mein Sohn, wenn ein Legoturm umfiel. Ich wollte mit ihm zusammenleben. Mit wüsten Haaren neben ihm aufwachen, mit ihm essen und mich abends mit ihm über den Tag unterhalten. Mich meinetwegen auch mit ihm kabbeln, weil er nach dem Duschen die Fliesen nicht getrocknet und weil er die Zahnpastatube offen gelassen hat. Zusammensein, ohne alles zu teilen, fand ich so sinnlos wie fliegen, ohne vom Boden abzuheben, oder im Regen zu tanzen, ohne nass zu werden. In Italien wohnen die meisten Menschen von der Geburt bis zum Tod mit ihrer Familie zusammen. Auf der Suche nach Abenteuern hatte ich mit achtzehn Italien verlassen und in Berlin meine zweite Heimat gefunden. Aber nie hätte mich auch nur der Gedanke gestreift, dauerhaft allein zu bleiben, ohne Mann und Kinder. Meine Augen wurden feucht. Um Malte abzulenken, tat ich so, als ob ich mich für eine Tasse mit der tschechischen Fahne interessieren würde, und kaufte sie tatsächlich.
„Ich schicke sie nach Italien zur Oma, die steht auf so was“, sagte ich lächelnd und wedelte mit meinem soeben erworbenen Souvenir. Das Letzte, was ich wollte, war, einen Streit in einem Kiosk anzufangen, dessen Personal womöglich noch Deutsch verstand.
„Zahl dein Poster und lass uns gehen, ich will nicht den ganzen Nachmittag hier verbringen“, flüsterte ich Malte zu. Im Hof des Königlichen Palasts knipste er ein Bild von mir. Ich presste die Lippen zusammen und zog meine Sonnenbrille auf, obwohl es bewölkt war. Ich trug das lange Kleid mit Leopardenmuster und V-Ausschnitt, das er so liebte.
„Lasziv“ sagte er immer dazu. Er liebte laszive Frauen und hatte viele davon gehabt, die er dann verließ, sobald es ernst wurde. Spätestens wenn sie zusammenziehen und Kinder bekommen wollten. Er beobachtete mich, während ich mit dem Reiseführer in der Hand über das gepflasterte Gelände lief, der Saum meines Kleides im Wind flatternd, die herumwirbelnden Haaren, und schoss noch mehr Fotos mit meiner Digitalkamera.
„Aus dem Fenster wurde der habsburgische König geworfen. Damit begann der Dreißigjährige Krieg“, sagte ich, als er sich mir wieder näherte, und zeigte auf den linken Seitenflügel.
Wir schauten beide nach oben. „Das war bestimmt eine eifersüchtige Frau. Von wegen Politik“, lachte Malte. Ich lachte auch. Wenige Sekunden später fiel der erste Regentropfen auf meine Nase, weitere folgten im Sekundentakt. Ich sah auf meine nackten Füße. In Berlin war es sehr