Sein Boot war vielleicht fünf Meter lang. Neben der abblätternden blauen Farbe gab es weitere Hinweise darauf, dass es nicht wesentlich jünger war als sein Besitzer. Es schaukelte bedrohlich, als Teixeira hinein kletterte. Osvaldo saß am Heck und bediente das Steuer. In einem kleinen Supermarkt am Hafen hatten die beiden Polizisten einige Flaschen Wasser, etwas Obst, ein paar Packungen Kekse und ein Pfund Früchtebrot erstanden. Vanderlei verstaute ihr Gepäck unter einem brüchigen Netz, das einen durchdringenden Geruch nach altem Fisch ausströmte. Zumindest sprang der Motor sofort an und knatterte Vertrauen erweckend, als Osvaldo sie vom Steg abstieß und das Boot in die Flussmitte steuerte.
Sie überholten etliche, zum Teil mehrere Decks hohe Ausflugsschiffe, die sich mit schwitzenden Touristen beladen gemächlich den Fluss hinab bewegten. Nach einiger Zeit wichen die häufig grün oder blau angestrichenen Pfahlbauten und Hausboote zurück, die Vegetation wurde dichter. Ab und an sah man zwischen den Bäumen Rinder in Ufernähe weiden. Hier mussten fazendas liegen.
Teixeira genoss den frischen Fahrtwind, während dem jungen Ermittler nach einiger Zeit das Schaukeln auf den braunen Wellen auf den Magen schlug.
Ab und an ertönte eine Sirene, wenn eine mit Baumstämmen schwer beladene Barkasse ihren Weg kreuzte. Nach vielleicht anderthalb Stunden Dahintuckern wandte Teixeira sich um und fragte erneut ihren Begleiter: »Oi, capitão, was meinst du? Sollten wir nicht den Rio Moju längst erreicht haben? Bist du sicher, dass du die Abzweigung nicht übersehen hast«
Der Caboclo legte den Kopf in den Nacken und schaute angestrengt nach oben, was Vanderlei zu der Bemerkung verleitete: »Nach den Sternen kannst du dich nicht richten. Es ist Nachmittag, mein Freund. «
Osvaldo schaute weiter hoch zu den Baumkronen. Schließlich hellten sich seine Gesichtszüge auf und er winkte heftig mit dem dürren Arm. Nach wenigen Minuten erreichten sie tatsächlich eine Flussgabelung, an der in westlicher Richtung ein wesentlich schmalerer Nebenfluss abging. Osvaldo öffnete seinen zahnlosen Mund und rief nur ein Wort: »Moju. «
Vanderlei schwieg, Teixeira lachte dröhnend.
Sie hatten eine ziemliche Strecke auf dem kleineren Fluss zurückgelegt, als Vanderlei sich auf einmal umdrehte und dem Kommissar zurief: »Wann haben Sie das letzte Mal ohne Zelt im Regenwald übernachtet? «
»Warum fragst du? «
»Wir sind jetzt schon über drei Stunden unterwegs und es wird sicher bald dunkel. Ich habe keine Ahnung, wie lang dieses Flüsschen ist, aber selbst wenn uns do Nascimento in der nächsten halben Stunde begegnen sollte, kommen wir mit ihm nicht vor Mitternacht in die Stadt zurück. Vielleicht ist er ja auch irgendwo tief im Regenwald unterwegs und hat gar nicht die Absicht, so bald nach Belém zurück zu kehren. «
Teixeira dreht sich zu ihrem Begleiter um.
»Capitão, dieser Sohn der Großstadt hier macht sich Sorgen, dass uns in der Nacht eine Mãe-d’água in ihr nasses Heim locken könnte oder die Alligatoren uns anknabbern. «
Der Caboclo schwieg.
Gegen achtzehn Uhr dämmerte es, zwanzig Minuten später war es stockdunkel. Nachdem ihnen seit geraumer Zeit kein einziges Fahrzeug mehr begegnet war und an beiden Ufern keine Anzeichen für menschliche Behausungen zu erkennen waren, bat Teixeira den Indio, eine sichere Stelle am Ufer zu suchen, wo sie ein Nachtlager aufschlagen konnten.
Hinter der übernächsten Flussbiegung steuerte Osvaldo das Boot ans gegenüberliegende Ufer. Hier gab es eine kleine Lichtung und eine flache Stelle, die den beiden Polizisten das Aussteigen ermöglichte, ohne dass sie sich die Kleider komplett nass machten. Gemeinsam zogen sie das Boot an Land. Osvaldo band es zusätzlich an einen Baum und erklärte ihnen, dass es sich bei starkem Regen sonst leicht losreißen könne. Manchmal steige der Wasserpegel innerhalb weniger Minuten so stark an, dass man den Fluss kaum noch befahren könne.
Die beiden Polizisten trampelten mit steifen Knochen das Gras nieder und halfen dann ihrem einheimischen Begleiter, ein Lagerfeuer zu entfachen. Dann zogen sie gemeinsam einen Baumstamm etwas näher heran, setzten sich in einer Reihe darauf und hörten wortlos auf das Prasseln und Zischen des Holzes. Teixeira war flau im Magen, was vom Schaukeln des Bootes oder von der für ihn ungewohnten Luftfeuchtigkeit kommen mochte. Zudem hatte er Hunger.
Osvaldo förderte aus dem Boot besagte Kühlbox zu Tage und entnahm ihr eine Packung Würstchen. Dann griff er nochmals über den Bootsrand und holte eine Machete hervor, die an einigen Stellen bereits verdächtig rostfleckig schien. Mit diesem Mordinstrument hackte er einige Äste zu Recht, spießte die Würste auf und steckte die behelfsmäßigen Spieße über das Feuer. Die Kühlbox enthielt auch noch einige Dosen Skol. Die Männer genossen ihre Abendmahlzeit und rülpsten wie die Schuljungen um die Wette.
Osvaldo verblüffte die beiden Polizisten mit seiner Tierstimmenimitation. Fast konnte man meinen, hinter dem Baum da kauerte ein leibhaftiger Jaguar, dann flogen imaginäre Papageien um das Feuer. Vanderlei gab einige seiner schmutzigsten Witze zum Besten und Osvaldo kippte vor Lachen fast vom Baumstamm. Fast schien es, als hätte er von einer Dose Bier schon genug, denn nach einer Weile entrollte er eine fadenscheinige Hängematte und befestigte die Enden zwischen zwei Bäumen. Nach wenigen Minuten schnarchte er wie ein Tapir.
Teixeira hatte sich zuhause ebenfalls mit einer Hängematte ausgestattet. Während er sich zwei geeignete Bäume suchte, beobachtetet er belustigt den jungen Ermittler, der wahrhaftig einen Schlafsack aus seiner Reisetasche hervor gezaubert hatte und nun stirnrunzelnd überlegte, wo er das Ding hinlegen sollte.
»Sag mal, du hast bisher noch nie im Wald übernachtet, oder? «
»Ich war mal mit der Schulklasse im Pantanal zelten, aber seitdem habe ich den hier nicht mehr gebraucht. «
»Gut, im Zelt mag das noch angehen, aber wie willst du verhindern, dass das ganze Viehzeug zu dir reinkrabbelt? «
Vanderlei sah nun äußerst verzweifelt drein. Dann hatte er die rettende Idee. »Ich lege mich ins Boot. «
Teixeira hörte Vanderlei noch eine ganze Weile im Boot rumoren und vor sich hin seufzen. Offenbar war das doch keine besonders bequeme Schlafstatt. Nach einer Weile schloss er die Augen und fiel in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen weckte sie das vielstimmige Kreischen und Zetern einer Vogelschar, die über ihnen in den Baumwipfeln den neuen Tag begrüßte. Vanderlei dehnte und streckte seine steifen Glieder. »Den Schlafsack kann ich wegwerfen, der riecht jetzt wie eine Fischfabrik. «
Ihr Frühstück bestand aus ein paar Scheiben Früchtebrot und einigen Kaki. Teixeira sehnt sich vergeblich nach einem Kaffee.
Sie verschwanden nacheinander in den Büschen um noch dringende Geschäfte zu erledigen, dann brachen sie ihr Lager ab und setzten ihre Fahrt flussaufwärts fort.
Der Urwald schien immer dichter zu werden. Die Vegetation reichte streckenweise fast bis in die Flussmitte, sodass die Polizisten instinktiv die Köpfe einzogen. Dann wurde der Moju unvermittelt wieder breiter. Aufmerksam spähten die Männer an beiden Ufern, ob do Nascimento sein Boot vielleicht irgendwo vertäut hatte, aber außer Alligatoren und dem einen oder anderen capybara war nichts Lebendiges zu sehen, abgesehen natürlich von den zahllosen Vögeln, deren Farbenpracht und Stimmenvielfalt die beiden Städter ein ums andere Mal zum Staunen brachte. Vanderlei schoss mit seiner Handykamera dutzende Fotos und Teixeira bedauerte, dass er nicht sein Fernglas mitgebracht hatte.
Gegen Mittag fragte Teixeira: »O Capitão. Hast du in deiner Plastikbox da vorne noch was von den köstlichen salsicha? Wir könnten ja bald mal anhalten und ein kleines churrasco machen. «
Osvaldo deutete Schulter zuckend auf die Box. Vanderlei öffnete den Deckel. Zwischen den Resten des lange geschmolzenen Eises schwammen