Blume des Bösen. Gerd-Rainer Prothmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd-Rainer Prothmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844294552
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und -was für den leuchtenden Pfad noch schlimmer war- er hatte selber harte Drogen genommen.

      Die Organisation machte zwar selbst intensiv Geschäfte mit der kolumbianischen Drogenmafia, aber den Mitgliedern war die Einnahme von Drogen strikt untersagt.

      Bei einer der häufig vorkommenden Reinigungsaktionen des sendero luminoso wäre Nelson beinahe zusammen mit anderen Bewohnern seines Heimatdorfes umgebracht worden. Er war dann bei Verwandten in einem anderen Ort untergetaucht und später nach Chile geflohen, wo er sich bis zur Atacamawüste durchgeschlagen hatte. Dort war er auf eine Gruppe bewaffneter chilenischer Studenten vom M.I.R. gestoßen und bei ihnen geblieben.

      Nach der Diskussionsveranstaltung in der Technischen Universität hatte Laura lange auf einen Anruf Nelsons warten müssen. Ein wenig hoffte sie auch, Mario würde wieder auftauchen. Aber er blieb verschwunden.

      Nach zwei Wochen klingelte das Telefon. Laura klopfte das Herz. Sie hoffte und fürchtete, es wäre Mario. Sie ließ ihn warten. Es klingelte weiter. Sie unterdrückte ihre Aufregung. Sie war entschlossen, Mario kühl das endgültige Aus ihrer Beziehung mitzuteilen. Vielleicht auch nicht. Sie nahm den Hörer ab.

      »Ja?«

      »Du wolltest etwas für uns tun.« Es war die sanfte aber unbeirrbare Stimme des Mannes mit den glühenden Augen.

      Laura musste sich erst darauf einstellen, nicht Mario am Telefon zu haben.

      »Ja?«

      »Wir treffen uns in einer Stunde gegenüber der Estación Mapocho, Ecke Parque Venezuela

      »Wie erkennen wir uns?«, wollte sie noch fragen, aber er hatte schon aufgelegt. Sie ärgerte sich über diese knappe, fast militärische Behandlung und überlegte, ob sie sich darauf einlassen sollte. Dann machte sie sich klar, dass er sich aus Sicherheitsgründen wohl nicht anders verhalten konnte.

      Pünktlich stoppte an der Ecke ein verrosteter Fiat 600 neben ihr. Am Steuer war eine zierliche Frau mit kurzen Haaren und einer großen Sonnenbrille. Neben ihr saß Nelson, der ihr bedeutete, hinten einzusteigen und sich neben einen hageren bärtigen jungen Mann zu setzen, der ihr freundlich zunickte.

      Kaum saß sie im Wagen, wurden ihr von dem Bärtigen die Augen verbunden. »Zu deiner eigenen Sicherheit«, sagte Nelson von vorne, »je weniger du siehst, desto weniger kann man aus dir herausbekommen, falls du geschnappt wirst.«

      Nach einer halben Stunde, in der niemand etwas sagte, hielt der Wagen. Erst im Haus wurde ihr die Augenbinde abgenommen.

      Dort herrschte ein gewaltiges Durcheinander von aufgestapelten Büchern, Zeitschriften, Kisten und dazwischen lagen wie Kinderspielzeug Handgranaten, Revolver und Maschinenpistolen herum.

      An diesem Ort trafen sie sich die nächsten Wochen immer wieder. Hier wurde diskutiert, gelesen, geschrieben. Die nächsten Aktionen wurden geplant und es wurde über die richtige Strategie der Bewegung gestritten.

      Laura hat nie erfahren, wo dieser Treffpunkt in Santiago gewesen ist.

      *

      »So, Sie missachten also die Gesetze der DDR?«

      Genüsslich, in breitestem Sächsisch, kostete der Mann mit dem graugrünen Uniformhemd über der Hose die ganze Schwere dieses Vorwurfs aus. Das war der erste zusammenhängende Satz, den Hans nach einer Stunde zu hören bekam. Zunächst hatte man ihn, als er um vier Uhr morgens an die Grenze gekommen war, nur mit »Aussteigen!« aus dem Wagen befohlen und in einen hinteren Raum der Grenzbaracke gesetzt.

      »Ich habe gar nicht an die Gesetze der DDR gedacht«, versuchte sich Hans kläglich zu verteidigen.

      »Das sollten Sie aber«, befand sein Gegenüber oberlehrerhaft, »ich kann bei Ihnen auch nicht rumlaufen und tun und lassen, was ich will.«

      »Ich habe Ihren Kollegen doch schon gesagt, ich war nach einem Jazzkonzert zusammen mit ein paar Leuten in einer Privatwohnung ...«

      »Wie hießen denn die Leute?«, wurde er so rasch unterbrochen, dass Hans sich sofort zu äußerster Vorsicht zwang.

      »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

      »Wieso?«

      »Ich weiß es einfach nicht. Ich habe die Leute erst heute Abend kennengelernt.«

      »Und da sind Sie mit Ihnen gleich in die Privatwohnung gegangen?«

      »Manchmal ist man sich so sympathisch, da gibt es so etwas.«

      »Und wo war diese Wohnung?«

      »Das weiß ich nicht.«

      »Sie sind doch mit Ihrem eigenen Wagen dort hingefahren!«

      »Ja, aber hinter den anderen her.«

      »Aber an die Grenze zurück haben Sie schon gefunden?«

      »Da habe ich mich durchgefragt, als ich nicht mehr weiter wusste.«

      »Und warum haben Sie das erst um vier Uhr morgens gemacht?«

      »Das habe ich Ihrem Kollegen doch schon erzählt. Ich hatte zu viel getrunken. Da war ich in dem Konflikt: »Soll ich mit Alkohol fahren, wo es bei Ihnen striktes Alkoholverbot gibt, oder soll ich ein paar Stunden warten und damit riskieren, nach Mitternacht an die Grenze zu kommen.«

      »Ihre neuen Freunde hätten Sie doch hinfahren können.«

      »Die hatten auch alle was getrunken.«

      Ohne eine weitere Bemerkung verließ der Offizier den Raum wieder. Das war die zweite Befragung. Hans nahm das Ganze wie der Beobachter einer ihm fremden Szene wahr. Alles, was zurzeit mit ihm geschah, empfand er als ein zwar unangenehmes aber doch unvermeidbares Anhängsel zur letzten Nacht. Seit zwei Stunden saß er jetzt schon in dem Raum.

      Er hatte ein ihm selbst unerklärliches Urvertrauen, dass ihm eigentlich nichts wirklich Schlimmes passieren könnte. Zu lächerlich war die ganze Situation. Statt um Punkt 24 Uhr, war er um halb vier Uhr morgens an den Übergang Heinrich-Heine-Straße gekommen.

      Nach einer weiteren halben Stunde hörte er draußen ein Fahrzeug vorfahren. Die Tür wurde aufgerissen. Der Offizier und ein anderer Uniformierter blieben in der Türöffnung stehen und bedeuteten ihm, herauszukommen. Der andere fasste ihn am Arm und führte ihn zu einem grünlichen fensterlosen Kleintransporter. Er machte die Tür des Wagens auf und Hans fand sich in einer winzigen düsteren Kammer wieder. Der ganze Kleintransporter musste mit mehreren Kammern dieser Art ausgestattet sein. Der Wagen fuhr los. Hans hörte nur wenige Straßengeräusche von außen. Um diese Zeit gab es so gut wie keinen Verkehr. Die Fahrt schien endlos zu sein. Auch nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er nichts erkennen. Einmal hielt der Wagen noch und es klang so, als würde man eine andere Person in eine der Kammern zuladen. Es war so eng, dass Hans seine Arme am Körper angewinkelt lassen musste. Die Fahrt ging weiter. Langsam verließ ihn seine fast lässige Gleichgültigkeit. Noch nie hatte er bisher vergleichbare Grenzerfahrungen gemacht. Er bekam keine Luft. Obwohl er ahnte, dass es nicht so sein konnte, bekam er eine fast hysterische Angst, zu ersticken. Erste Vorboten einer klaustrophobischen Panikattacke überkamen ihn. Er versuchte, sich klarzumachen, dass sie genau das bei ihm erreichen wollten. Aber sein Verstand unterlag seinen Angstgefühlen. Er war in einem fahrenden Blechsarg. Ein Scheintoter, der den Sargdeckel nicht aufkriegt und qualvoll ersticken muss. Er hatte nicht einmal die Kraft, zu schreien. Aus seinen trocken gewordenen Lippen kam nur noch ein tonloses Wimmern. Die Fahrt nahm kein Ende. Endlich, Hans hatte schon jedes Gefühl für Zeit verloren, stoppte der Wagen. Sie waren beim Untersuchungsgefängnis angekommen.

       *

      »Ich komme im Namen der Abteilung XII. Ich möchte mich gerne mit dir, Genossin, im Rahmen einer allgemeinen Befragung aller politischen Flüchtlinge in unserer Republik unterhalten.«

      Verwundert schaute Laura durch die halbgeöffnete Tür auf den aschblonden, etwas untersetzten jungen Mann im hellgrauen Sommeranzug.

      Seit zwei Jahren lebten sie und Nelson jetzt als