Nur ein älterer Kollege, Dr. Schwalbe, stellte die ketzerische Behauptung auf, die ganze Aktion sei ein Ausdruck von Bequemlichkeit. Er erklärte: "Das ist doch für den Vorstand und alle Chefs auf den Ebenen darunter die einfachste und bequemste Lösung. Wenn überall 20% Personal eingespart werden müssen, spart man sich erstens jede mühsame Analyse des wirklich Erforderlichen und zweitens die unbequeme Diskussion mit den Betroffenen, drittens tritt man niemand von Wichtigkeit auf den Fuß, den man vielleicht noch einmal braucht. Da ist es die einfache Lösung zu sagen, überall müssen 20% weg! Der Vorstand muss jetzt selbst nichts mehr klären oder konkretisieren. Man schiebt einfach den consultant vor, der ist für das Ergebnis verantwortlich! Dessen Analyse darf man auch nicht in Frage stellen. Denn, weil das so eine berühmte Firma ist, kann das Resultat nur über jeden Zweifel erhaben sein. Ich nenn' das clever! Es zeigt wieder mal, wie wenig mühsam die Vorstandsarbeit ist. Kostet ein wenig Geld für den consultant, spart aber jede Menge eigene Arbeit und gibt Zeit, die Vorstandsessen zu genießen!" Nach diesem Ausbruch sah er triumphierend in die Runde, die peinlich berührt schwieg.
Heumann war indigniert und froh, als Schober eine konkrete Frage stellte: "Bei mir ist nach Ihren Ausführungen der Eindruck entstanden, es gehe einzig um die Verminderung des Personals. Geht es hier nur um Köpfe, nicht um Kosten? Sie haben nichts über eine spezifische Kostensenkung erwähnt …?" er ließ den Satz unbeendet, um Heumann die Möglichkeit zur Erläuterung zu geben.
Den Gefallen tat ihm Heumann, der schnell über Schwalbes heikle Ausführungen hinweggehen wollte. "Sie haben völlig Recht", antwortete er Schober. "Der Vorstand möchte die Zahl der Mitarbeiter generell vermindert sehen, deren Gehalt steht als Entscheidungskriterium nicht zur Debatte."
"Das bedeutet demnach, wir müssen nicht eine bestimmte Gehaltssumme einsparen, es ist wichtiger die Anzahl der Personen um 20% zu vermindern?"
"Ha", meldete sich Schwalbe nochmal, "das wäre auch zu einfach, dann wäre es doch damit getan, drei Direktoren zu feuern und 'ne Million wäre gespart!"
"Ich bitte um mehr Sachlichkeit", bat Heumann und fuhr zu Schober gewandt fort: "Man kann es so ausdrücken. Da wir selbstverständlich sozialverträglich Personal abbauen, werden wir ältere Mitarbeiter bitten, in den Vorruhestand zu gehen und eventuell noch diejenigen Mitarbeiter auffordern, eine Abfindung zu akzeptieren, die erst sehr kurz im Hause sind. Ich erwarte von Ihnen eine zunächst unverbindliche Liste mit den Ihrer Meinung nach entbehrlichsten Mitarbeitern", schloss Heumann. Dann fiel ihm doch noch etwas ein: "Für die Fragen der Abfindung und des Vorruhestandes hat unsere Personalabteilung schon klare Regeln erstellt. Einer solchen Regelung wird auch der Betriebsrat zustimmen."
Schwalbe nutze die Gelegenheit, seinen Einwurf zu wiederholen: "Man könnte wirklich bevorzugt Direktoren einsparen, einer ist so teuer, wie drei Mann im Labor!"
Heumann ignorierte ihn, er zuckte die Schultern und sagte: "Die Vorgabe der Kommission ist eindeutig, die Mitarbeiterzahl soll um 20% sinken!" Er beendet rasch die Informationssitzung, die Diskussion der Kosten für Direktion und Leitung war ihm zu heikel, das könnte ihn selbst treffen.
Schober eilte sofort in sein Büro und forderte seine Sekretärin auf, umgehend eine Liste mit Alter und Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter zu erstellen. Schon kurze Zeit später legte sie ihm diese Liste vor und fragte neugierig: "Wird der Personalabbau viele Kollegen treffen?"
Schober beruhigte sie: "Wir machen hier wichtige zukunftsorientierte Forschung, da kann erst mal keiner etwas dran drehen." Zuviel Wahrheit auf einmal schadet nur, dachte er. Jetzt musste er zuerst mit seinem offiziellen Chef, dem Prof. Krauth, reden, um dessen Position zu erfragen. Während Heumanns Präsentation hatte der Krauth sich, wie immer, zurückgehalten.
Krauth fand das Thema 'Personalabbau' überhaupt nicht begeisternd: "Lieber Schober, das bedeutet nur Ärger, nichts als Ärger. Stellen Sie sich vor, wir müssten unseren Stab verkleinern! Der wurde mühevoll aufgebaut über Jahre. Wir sind wichtig geworden, weil wir soviel und so intensiv forschen." Er war sichtlich ungehalten. "Ausgerechnet jetzt, wo ich mich auf die Vorbereitung meiner Vorlesung konzentrieren wollte, mir passt das überhaupt nicht. Schon dieser überraschende Termin bei Heumann, eigentlich ein Unding! Mein Zeitplan ist komplett durcheinander!"
Schober ließ einen Versuchsballon steigen: "Ich finde das Thema auch sehr unangenehm, wir sind ja noch nicht einmal in der Mitte unseres Forschungsprojektes und die großen Erfolge werden sich sicherlich bald einstellen. Gerade jetzt stört dieser geplante Personalabbau nun wirklich. Darf ich Ihnen bei dem Thema helfen?"
Krauth war angetan: "Das wäre sehr gut, wenn Sie die internen Dinge vorklären. Wer als Kandidat für den Ruhestand in Frage käme und wie das abzuwickeln ist."
Schober preschte weiter vor: "Darf ich versuchen diese Aktionen voranzutreiben? Ich hoffe, es wird möglich, weniger Mitarbeiter zu verlieren, wenn wir rasch agieren. Dann wird man bei der Anzahl nicht so kritisch sein."
"Ich finde es schrecklich, dass wir uns überhaupt mit solch profanen Dingen befassen müssen," meinte Krauth, "die vornehmste Aufgabe der Forschung ist es Wissen zu mehren, zu patentieren, zu publizieren und Neues zu versuchen!"
Schober dachte: 'mit dieser Sicht der Dinge wärst Du besser an der Uni geblieben'. Laut sagte er: "Ich werde dann in Ihrem Sinne vorgehen, unser Ziel sollte es sein, so wenige Mitarbeiter zu verlieren, wie irgend möglich. Zunächst sollten wir aber pro active handeln." Krauth nickte, er war in Gedanken schon wieder woanders, seine Vorlesung beschäftigte ihn.
Die Liste der achtzehn Mitarbeiter der Gruppe unter Schobers Leitung zeigte nur zwei Mitarbeiter mit für den Vorruhestand passendem Alter, Frau Bauermann und Herrn Wurster. Ein weiterer Mitarbeiter, Trageser, war erst vor einem Jahr nach der Ausbildung übernommen worden. Schober überlegte. Wenn es darum ging, rasch deutliche Zeichen zu setzen, dann musste er den Trageser und einen weiteren Mitarbeiter loswerden und die Bauermann mit dem Wurster in den Vorruhestand schicken. Dann könnte er zu Prof. Krauth und Dr. Heumann gehen und als erster Vollzug melden! Er rief die Personalabteilung an und fragte nach freien Stellen. Es gab noch etwas im Bereich Analytik von Futtermitteln, dort sollte ausgebaut werden, Personalabbau hin oder her. Wenn Schober rasch zugriff und den Trageser überreden könnte dorthin zu wechseln, dann wäre er den ersten Mitarbeiter schon los! Er wies seine Sekretärin an, ihm Tragesers Chef ins Büro zu schicken. Dr. Hofmeister war bei der Sitzung mit Heumann dabei gewesen und hatte schon eine Ahnung des Kommenden: "Wen werden wir denn abbauen müssen? Zwanzig Prozent von uns, das sind vier Kollegen?" fragte er gleich nach dem Eintreten.
"Wie Sie gehört haben, sind zuerst die Möglichkeiten des Vorruhestandes auszuloten. Ich habe aber in unserer Gruppe dafür nur zwei Kandidaten. Deshalb müssten wohl noch zwei weitere Mitarbeiter gehen. Wenn wir es schaffen, den Trageser rasch noch intern zu versetzen, dann besteht Hoffnung, nicht die theoretischen vier, sondern nur drei Mitarbeiter zu verlieren", erklärte Schober.
Hofmeister hatte Bedenken: "Der Trageser ist eine echte Bereicherung für meine kleine Gruppe, der setzt neue Ideen rasch und effektiv um, den zu verlieren wären wirklich nicht gut. Meine anderen Mitarbeiter sind alle schon zwanzig Jahre dabei, die sind nicht wirklich an neuen Dingen interessiert, die kochen alles nur nach Vorgabe runter. Außerdem hatte der Trageser schon vor einem Jahr nach dem Ende seiner Ausbildung auch ein Angebot zur Analytik zu gehen, das hat er abgelehnt. Er findet sowas langweilig. Ich glaube, das wird sehr schwer, den zu überzeugen."
Schober hatte kein Problem diese Einwände wegzuwischen: "Also das hätte ich nicht von Ihnen gedacht, Hofmeister, Sie haben doch das Seminar zur Mitarbeitermotivation schon besucht, oder? Fällt es Ihnen so schwer, Ihre älteren Mitarbeiter anzuspornen? Vielleicht sollten Sie mal versuchen das Gelernte umzusetzen. Ich weiß, es gibt sie, diese alten, sturen Laboranten, denen alles Neue missfällt. Hier liegt es zuerst am Chef, den Laden in Schwung zu halten!"
Hofmeister erschrak, ihm wurde die Konsequenz