Frau Treskow reagierte unerwartet: "So weit ich das verstehe, hat Herr Dr. Schmidt psychische Probleme. Der war schon mal in Behandlung." Auf Schobers Antwort: "Ach du liebe Zeit, einen Dachschaden hat der Teflon-Schmidt auch noch!" reagierte Frau Treskow unerwartet heftig: "Über Leute mit psychischen Problemen sollte man keine Witze machen!"
Schober versuchte den faux-pas zu reparieren: "Ja, sicherlich, über Leute mit mentalen Schwierigkeiten macht man sich nicht lustig, da sind Sie völlig im Recht. Ich dachte ja nicht im Ernst daran, dass der Schmidt einen Schlag weg hat, der wirkt doch sonst so vernünftig." Aus dem Blick von Frau Treskow konnte er erkennen, diese Entschuldigung war misslungen.
Professor Krauth hielt sich auch weiterhin beim Beisteuern eigener Ideen bedeckt. Dafür forderte er mit deutlichen Worten gute Ergebnisse zum Vorzeigen beim Vorstand. Das führte zu wenig Kooperation innerhalb der Gruppe, jeder hatte Angst davor, Wissen an den Kollegen weiterzugeben, denn dessen Erfolg würde ihm bei nächster Gelegenheit als positives Beispiel unter die Nase gerieben.
Schober merkte zu seiner Überraschung, Teflon-Schmidt schien zwar wenig interessiert mit seinen Kollegen neben der Arbeit gemeinsames zu unternehmen, Kritik von Krauth nahm er sich aber sichtbar zu Herzen. Er schien richtig zusammenzusinken, wenn er bei Krauths Rundumschlägen ebenfalls getroffen wurde. Viel Selbstwertgefühl schien der wirklich nicht zu haben, oder war der einfach nur extrem schüchtern? Mit seinen Laboranten kam er offenbar gut aus. Das fand Schober ärgerlich, genauso wie die besseren Ideen. Er selbst musste schon häufiger Druck ausüben, um schnell noch vor einer Sitzung mit Krauth seine Ideen für Synthesen im Experiment überprüfen zu lassen.
Schmidt wurde für Schober zum lästigen Mensch. Als Konkurrenten um Macht und Einfluss war er nicht ernst zu nehmen, Schmidt strebte keine Karriere an. Andererseits war er bei der momentanen Aufgabe sichtbar der Bessere. Das war für Schober ein stetes Ärgernis. Besonders lästig war die Sympathie, die Schmidt offenbar von den Mitarbeitern wegen seines leichten Dachschadens entgegengebracht wurde. Schober war versucht 'Scheißtoleranz' zu sagen, aber das würde nur gegen ihn verwendet. Seine Methode, den Teflon-Schmidt zu bremsen wurden kleine Bemerkungen zu Schmidt selbst. Was Krauth hinter seinem Rücken gesagt habe, was die Kollegen zu seiner Leistung meinten, das konnte er ihm sagen, damit der Teflon-Schmidt nicht noch übermütig wurde. Der hatte nicht den Wunsch zu konkurrieren oder im Schoberschen Sinne übermütig zu werden, aber das konnte sich Schober nicht vorstellen.
Schmidt löste das Problem für Schober, er verübte Selbstmord. Der Abschiedsbrief beschrieb Alex Schmidt als Mensch mit Depressionen und ohne Hoffnung, sie zu besiegen. Es dominierte das Gefühl, keinen wirklichen Wert zu besitzen und im Leben nichts zu erreichen. Schober war kurz betroffen. Er stellte sich die Frage, ob er nicht eine Mitschuld an Schmidts letzter Entscheidung hatte und ging zur Beichte. Nachdem er dem Priester seine Version der Ereignisse beschrieben hatte, fühlte er sich sehr erleichtert. Allzu schwere Schuld hatte er nicht auf sich geladen, denn er erkannte, Selbstmord ist eine schwere Sünde, dagegen sind kleine Sticheleien leicht zu verzeihen.
Heumann veranstaltete mit der großen Gruppe aller Forscher etwas, das Schober als Betroffenheitstheater bezeichnete. Alle Forscher wurden zum Besuch eines Seminars zum Umgang mit "schwierigen Personen" und zur möglichen Erkennung von Sucht- und Suizid-gefährdeten Mitarbeitern verdonnert. Das half Schmidt nichts mehr, es war eine Geste zum Kaschieren des Versagens. "Da könnten wir auch nach Feierabend 'ne Lichterkette bilden," sagte er zu Frau Treskow.
Aus deren indigniertem Blick wurde deutlich, diese Haltung kam nicht an. Schober sagte sich, 'wenn die Leute von mir Floskeln hören wollen, dann mach ich das, solange es hilft. Wenn ich erst mal der Boss bin, lass ich das andere machen.' Zu Frau Treskow sagte er mit Trauer in der Stimme: "Es ein schweres Los, das manche unserer Mitmenschen zu tragen haben. Aber der Himmel wird es ihnen lohnen." Frau Treskow sah ihn ungläubig an, sie suchte Ironie in Schobers Gesichtsausdruck. Doch der hütete sich, das zu zeigen. Die wollte doch 'ne show, die Treskow.
Um bei Krauth besser auszusehen flüchtete sich Schober in Methoden aus seiner Promotionszeit, er las in der Bibliothek die neusten Publikationen und zitierte daraus bei den Veranstaltungen. Die zum Teil sehr exotischen Reaktionen eigneten sich gut als eigener Vorschlag zur Lösung der Probleme der Kollegen. Das sah kreativ aus. Allerdings waren diese Methoden sehr weit weg von großtechnisch praktikablen, realistischen Verfahren, sie waren keine Lösung. Bei extrem tiefer Temperatur sind viele Reaktionen selektiv und die Ausbeuten hoch. Die Verwendung exotischer Reaktionsmittel war grundsätzlich teuer, daher würde die Übertragung auf technisch interessante Dimensionen zu nicht akzeptablen Kosten führen. Schober war klar, hier konnte er nicht glänzen, auf Dauer konnte er nur verlieren. Er begann um seinen fest geplanten Aufstieg zu fürchten.
Zu Elsbeth sagte er: "Wenn nicht bald etwas passiert, dann beantrage ich eine Versetzung oder ich such mir 'ne neue Firma. Es muss doch Bereiche geben, die mich wirklich brauchen können."
Elsbeths Vorschlag fand Schober bitter. Sie meinte: "Fragt doch den Heumann, ob Du Deine alte Stelle wiederbekommst. Da hat es Dir doch gut gefallen."
"Also wirklich, sowas kann auch nur Dir einfallen. Zurück zur alten Stelle! Nein, das wäre so ein Gesichtsverlust, das geht überhaupt nicht. Nein, da seh' ich lieber mal am schwarzen Brett der Personalabteilung nach Positionen in anderen Abteilungen." Er wurde patzig: "Wenn es sein muss, dann geh ich auch nach Australien."
"Das fände ich aber nicht so gut. Das ist so weit weg. Da treff ich ja meine Mutter nicht mehr jede Woche", Elsbeth war nicht begeistert. "Und unsere Tochter fühlt sich im Kindergarten so wohl. Da kann man sie doch nicht einfach herausreißen."
Schober beruhigte sie: "Erstens hab ich noch nichts gesucht und zweitens gibt es keine offenen Stellen in Australien. Aber der Seeberger aus dem Vertreib hat mit in der Kantine erzählt, er war sogar Chile. Das ist fast so weit weg wie Australien. Echtes Ende der Welt. Seeberger meint, das war wichtig, um die Chancen zum späteren Aufstieg zu steigern."
"Chile, das sagt mir überhaupt nichts", sagte Elsbeth, "würdest Du da hin gehen? Was sprechen die denn da?"
"Seeberger musste spanisch lernen, aber den Kurs zahlte ihm die Firma. Aber Du brauchst keine Angst zu haben, jobs für Chemiker haben die dort nicht. Nur Positionen für Kaufleute. Obwohl, bei künftigen Ferien in Spanien könnte man sich durchfragen oder sogar Zeitung lesen, das wäre ja nicht so schlecht?"
"Jetzt ist es gut mit Deinen schrägen Witzen", Elsbeth hatte keine Bedarf für Schobers Gedankenspiele und da sie wusste, er hört das nicht so gern, sagte sie schnell noch: "Karlchen!"
Schober kam ein internes Kostensenkungsprogramm des Vorstandes zu Hilfe. Ein consultant war mit der Durchleuchtung der Firma beauftragt worden. Ein Programm wurde aufgelegt, mit dem Ziel die Kosten zu senken. Natürlich erhielt es einen englischen Titel: TOP, Total Organizational Progress. Alle Bereiche werden durchleuchtet, hieß es zunächst. Doch dann zeigte sich bereits nach wenigen Untersuchungen das Offensichtliche, die Firma hatte, bezogen auf den Umsatz, einfach zu viele Mitarbeiter! Zur Steigerung des Ertrags und zur Verminderung der Kosten war ein allgemeiner Personalabbau unumgänglich, das Durchleuchten einzelner Abteilungen auf Effizienz konnte man sich sparen!
2. Personalabbau
Heumann rief seine Mitarbeiter zusammen und verkündete die Vorstellungen des Gremiums. Schlicht zusammengefasst hatte die Firma genau 20% zu viel Personal an Bord, und das galt – überraschenderweise – für alle Bereiche. Wer geglaubt hatte, nur bestimmte Geschäftsgebiete oder interne Dienstleister wären unterbeschäftigt und andere möglicherweise doch nicht überbesetzt, sah sich getäuscht. Der Vorstand ließ die Botschaft verkünden, alle hätten sich in diesen schlechten Zeiten solidarisch zu zeigen, der Personalabbau sei unvermeidlich, allerdings in sozialverträglicher Form durchzuführen. Letzteres sei