Was zu beweisen wäre. Jürgen Heller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Heller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847679462
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Du kannst doch sowieso nicht helfen. Willst du jetzt mit dem Auto los? Du bist nicht ausgeschlafen, bist ohnehin krank und dann allein die lange Fahrt? Damit du dann auch noch verunglückst? Du spinnst ja! Pass auf, ich mache dir einen Vorschlag. Wir gehen jetzt schlafen, damit wir morgen ausgeruht sind. Ich hole dich um 8:00 Uhr zuhause ab und dann fahren wir gemeinsam mit dem Auto runter. Ich habe sowieso vor, ein paar Tage Ski zu fahren, habe gerade vorhin gebucht. Ist das OK?"

      Carla mault noch ein wenig, würde lieber gleich fahren oder wenigstens schon um 6:00 Uhr, lässt sich aber schließlich doch auf seinen Vorschlag ein.

      "Aber 8:00 Uhr bei mir, verstanden?"

      Berlin, Sonnabend, 13.03.2010

      7

      Bruno braucht den Subaru nicht mal ausschalten, Carla steht mit einer Reisetasche mit den Ausmaßen eines Dixi-Klos vor der Tür und nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, wartet sie schon eine Weile. Er blickt auf seine Armbanduhr, 7:55 Uhr! Er steigt aus, öffnet den Kofferraum, der durch seine zwei Koffer fast gefüllt ist und stellt schnell fest, dass Carlas Tasche dort keinen Platz mehr findet. Also nimmt er den größeren Koffer heraus und stellt ihn auf den Rücksitz. Dann verstaut er Carlas Monstertasche und endlich können sie losfahren. Sie haben noch kein Wort gesprochen. Carla sieht so aus wie jemand aussieht, der krank ist, keine zwei Stunden am Stück geschlafen hat und von schrecklichen Gedanken geplagt wird. Sie ist eigentlich nicht wiederzuerkennen.

       Wird ja Klasse werden, die Fahrt...

      Sie fahren nach kurzer Zeit auf den Berliner Ring Richtung Potsdam und danach auf die A9. Es geht zügig voran. Die Autobahn ist in einem sehr guten Zustand, alles neu, dank Aufbau Ost. Kein Vergleich mit den ersten Fahrten mit den Eltern Anfang der 1960er Jahre. Sie hatten einen VW Käfer, Baujahr 1956, mit Weißwandreifen und einem Stoffverdeck. Der Wagen fuhr voll besetzt 110 km/h, erlaubt waren auf der Transitstrecke 100 km/h. Mit den Wartezeiten an den Grenzübergängen war man von West-Berlin nach Tirol ca. 12 Stunden unterwegs, manchmal länger.

      "Sag mal, kannst du nicht ein wenig schneller fahren? So kommen wir ja erst im Dunkeln an."

      "Also, ich fahre gerade 180. Ist das nicht schnell genug?"

      Sie passieren die Abfahrt nach Halle und Leipzig, Schkeuditzer Kreuz. Der Verkehr hat etwas zugenommen aber nicht viel. Nach gut einer halben Stunde ohne Worte, befinden sie sich in Thüringen und schließlich in Bayern, in Franken, um genau zu sein. Kurz vor Nürnberg muss Bruno tanken. Er geht noch auf die Toilette und kommt dann mit zwei belegten Brötchen, einer Flasche Mineralwasser und einer Dose Energy-Drink zurück.

      "Wo bleibst du denn? Du weißt doch, dass wir es eilig haben!"

      Sie hat die ganze Zeit im Auto gesessen und gewartet. Immerhin redet sie mit ihm. Er reicht ihr die beiden Brötchen.

      "Käse und Salami, kannst dir eins aussuchen, mir ist es egal."

      "Kein Hunger."

      Sie legt die beiden Brötchen in ein offenes Fach der Mittekonsole. Bruno öffnet den Energy-Drink und trinkt das süße Zeug in einem Zug aus. Die leere Dose stellt er in das Ablagefach seiner Tür. Das Mineralwasser stellt er in die Mitte, so dass beide drankommen. Dann geht es weiter. Sie fliegen über die Autobahn. Alles, was geht. Hin und wieder muss er vom Gaspedal gehen, dann erinnert ihn sein Bordcomputer, dass er noch Winterreifen montiert hat. Kurz vor 13:30 Uhr passieren sie die Grenze nach Österreich bei Kiefersfelden. Bruno hält noch einmal kurz an, um auf der Raststätte eine Vignette zu kaufen. Diesmal steigt Carla mit aus, biologischer Notstand. 14:30 Uhr überfahren sie die Europabrücke, Minuten später verlassen sie die Autobahn, entrichten die Mautgebühr von 2,50 € und sind endlich da.

      "Ich habe es mir überlegt, du kannst alleine bei deiner Anna wohnen. Ich gehe in das Monte Cristallo. Da bin ich dichter dran am Geschehen und erfahre hoffentlich aus erster Hand, wenn es etwas Neues gibt. Ich habe im Moment auch keinen Nerv für uns."

      Bruno spürt den virtuellen Stich, ist verletzt, aber er kennt sie inzwischen so gut, dass er weiß, im Moment kannst du nicht mit ihr reden. Sie fahren die Straße Richtung Neustift, immer nach Vorschrift. Hier stehen seine Freunde gerne und oft. Bei Temposündern kennen die kein Pardon. Sie erreichen den Ort Neder. Hier wäre Bruno eigentlich am Ziel aber er fährt weiter, um Carla zu ihrem Wunschhotel zu bringen.

      5 Minuten später sind sie am Ziel. Bruno hat noch nicht den Motor ausgestellt, da hat Carla schon das Auto verlassen. Sie geht ohne auf Bruno zu achten, direkt in Richtung Rezeption.

      "Carla, nun warte doch mal, deine Tasche...!"

      Er öffnet die Heckklappe und zerrt das Dixi-Klo auf die Straße. Zum Glück hat das Ungetüm Rollen drunter und er kann es ohne große Anstrengung zum Hoteleingang ziehen. Auf halbem Wege kommen ihm Carla und ein Hotelangestellter entgegen.

      "Darf ich Ihnen das abnehmen?"

      Der junge Mann lächelt höflich, schaut etwas sparsam, als er das Dixi-Klo sieht. Er erspart sich aber jeden Kommentar und schiebt mit dem Ding ab.

      "Carla, wie geht es jetzt weiter, was kann ich denn tun?"

      "Bruno, lass mich erst mal sehen, wie der Stand der Dinge ist. Ich melde mich, versprochen. Und vielen Dank, dass du mich begleitet hast. Ich bin etwas durch den Wind, entschuldige bitte."

      Sie gibt ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verschwindet sofort.

      8

      Bruno setzt sich in seinen Wagen und überlegt kurz, was er jetzt tun soll. Es ist jetzt halb Vier. Die Rückkehrer vom Gletscher werden bald die Straße verstopfen, also entschließt er sich, als erstes sein Zimmer zu beziehen. In weniger als 10 Minuten hat er den Walderhof erreicht. Der liegt zweihundert Meter von der Straße entfernt, etwas erhöht, so dass man von hier einen schönen Blick über den kleinen Ort hat. Er schnappt sich beide Koffer und steigt die paar Stufen zum Eingang hoch. Im Haus ist es sehr warm, offensichtlich ist aber niemand da. Am Schlüsselbrett hängen viele Schlüssel und bei der Nummer 22 klebt noch ein gelber Zettel mit seinem Namen. Er nimmt den Schlüssel vom Haken und schleppt seine Koffer in die zweite Etage. Das Zimmer ist offen und die Vorhänge zugezogen. Martina, das Zimmermädchen, denkt wirklich an alles. Nachmittags steht die Sonne voll auf dieser Seite und es wäre im Zimmer nicht auszuhalten, wenn man die Gardinen offen ließe. So aber ist es angenehm. Er braucht nicht sehr lange, um seine Sachen zu verstauen. Die leeren Koffer stellt er oben auf den Kleiderschrank. Dann schaut er sich die Karte auf dem Tisch an. Ein Foto mit der ganzen Familie.

      "Herzlichst willkommen! Erholsame Tage auf dem Walderhof wünscht Ihnen ihre Familie Brandner."

      Er wirft noch einen Blick auf das Bild und glaubt zu erinnern, dass er selber dieses Foto im letzten Jahr geschossen hat. Schmunzelnd überlegt er sich, ob er nicht Honorar verlangen sollte. Er ist gerade auf dem Weg auf den Balkon, hat schon den Vorhang zur Seite gezogen, als das Handy wieder mal "in the mood" dudelt, Carla.

      Sie ist sehr ernst und ihm kommt es vor, als ob sich Welten zwischen ihnen auftun. Also der Hubschrauber ist seit heute morgen 7:00 Uhr auf der Suche nach den Verschollenen. Man hat 30 Mann der Bergrettung Neustift und Fulpmes im Einsatz, einige sind mit Hunden dabei. Die Polizei hat sämtliche Personen, die in den letzten Tagen mit dem Ehepaar Weißensee Kontakt hatten, befragt. Mann hat auch andere Stellen kontaktiert, Tankstellen, Restaurants, Polizeistationen im ganzen Tal und diverse Krankenhäuser. Der Lokalsender in Innsbruck gibt seit heute Morgen in den Nachrichten entsprechende Aufrufe an die Bevölkerung heraus. Bisher nichts, Nullkommanull. Niemand hat etwas Auffälliges beobachtet und bei ca. 8 bis 10 000 Gästen pro Tag am Gletscher ist das ein hoffnungsloses Unterfangen. Bruno traut sich nicht zu fragen, ob sie heute Abend zusammen essen wollen und von Carla kommt kein Vorschlag. Sie will früh schlafen gehen. Dr. Curtius-Moser, ein alter Freund ihrer Eltern, der zufällig auch gerade im Hotel weilt, hat ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.

      "Gute