Tausche Mann gegen Therapieplatz. Anja Pauli. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Pauli
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847636014
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eine Kehrseite der Medaille, denn das Dorfleben ist turbulent – und das nicht nur, weil man hier eigentlich nie etwas verbergen kann! Es ist irgendwie immer etwas los. Welcher Städter würde das wohl glauben, doch ich kann versichern, es ist so! Und aus allem heraushalten, das wird hier nicht gerne gesehen. Die Familien sind in Vereinen, in der Kirchengemeinde und vor allem im Schützenwesen aktiv. Ich für meinen Teil hatte diese dringliche Verpflichtung schon mit der Mitgliedschaft im hiesigen Reiterverein abgegolten, doch meinen lieben Sebastian drängte es in höhere Sphären, und so fand ich mich als Angetraute ebenfalls im Schützenverein wieder.

      Und die Termine, die diese Mitgliedschaft mit sich brachte, waren mannigfaltig. Vereinsabende, Stammtische, Tanz in den Mai und natürlich das Wichtigste: das Schützenfest. Bei diesem „großen“ Ereignis hetzte von Samstag bis Dienstag ein Termin den nächsten. Schützenumzüge, bei denen die verschiedenen Corpsarten gemeinsam über den Paradeplatz und durch die Straßen marschierten, Abendveranstaltungen mit Tanz und Ordensverleihungen im Schützenzelt und Kirchenbesuche im Zeichen von „Glaube, Sitte und Heimat“.

      Sebastian hatte sich dem Reitercorps angeschlossen. Wichtigste Utensilien dieser Truppe waren in erster Linie Pferde und in zweiter, nicht minder wichtigen Rolle, Arbeitsfrauen. Diese hatten sich stets im Hintergrund zu halten. Hier und da und das nicht selten, stand es ihnen zu, ein mit Bier verspritztes Hemd auf die Schnelle zu waschen und zu bügeln, Stiefel auf Hochglanz zu polieren und ständig unsichtbar zur Stelle und abrufbereit zu sein. Kurz: tagsüber waren wir die Arbeitsbienen, die des Nächtens zur Ballkönigin mutieren sollten.

      Eigentlich wollte ich mich, wie die vergangenen Jahre, weitestgehend vor dem Rummel drücken und mich die gesamten vier Tage nur wenig in unserem Dörfchen sehen lassen. Doch nun stand ich schon wieder hier, sattelte meinem Mann mein Pferd, würde es ihm gleich zum Paradeplatz bringen und dann geduldig mit allen anderen Frauen warten, bis der Schützenzug zu Ende ist.

      Und das alles, obwohl Sebastian und ich uns getrennt hatten. Mittlerweile ganz offiziell. Doch er bat mich eben um diesen Gefallen.

      Und wie er mich darum gebeten hatte! Nicht ohne den Verweis, dass es sicherlich alle anderen männlichen Vereinsmitglieder ziemlich zickig und egoistisch von mir fänden und ich wohl im Traum nicht daran denken solle, dass einer von ihnen mir noch mal einen Gefallen tun würde...

      So tat ich es dann! Sinnierte dennoch lange über die besagten Gefallen, die man mir bereits getan oder hätte angedeihen lassen können. Mir wollte aber nicht einer einfallen.

      So in meine Gedanken verloren stand ich nun vor meinem armen Tier, welches gleich wieder die Odyssee seines Lebens durchmachen würde, als plötzlich die Tür aufging und ein völlig fremder, gutaussehender Mann den Stallgang betrat.

      Meine Freundin und ich hatten uns – während ich noch verheiratet war – über das „Reiter-Männer-Phänomen“ einmal ausgiebig unterhalten. Lästernder Weise waren wir damals zu folgender Erklärung gekommen: Auf jeden reitenden Mann fallen circa umgerechnet 50 reitende Frauen, sodass man sagen könnte,

      dass in deutschen Reitställen ein absolutes Männermanko vorherrscht und es deshalb auch nicht verwunderlich ist, dass auch der unausstehlichste, unsympathischste und dümmste Reiter zu einer durchaus sehr netten und ansehnlichen Reiterdame kommen kann (um deren IQ man sich dann doch gelegentlich streiten könnte!). Um es unfeiner auszudrücken, kommt also ein fremdes männliches Wesen in einen Stall, wird sich gleich die gesamte weibliche Single-Belegschaft auf dieses Stück „Frischfleisch“ stürzen, sich gegenseitig zerfleischen, zu intriganter Höchstform auflaufen, um eben diesen Neuen ihr eigen nennen zu können.

      Besonders begehrte Exemplare, da waren wir uns an vielen Beispielen einig, waren erfolgreiche Turnierreiter, die dann nur noch von Reitlehrern in ihrer Gunst ausgestochen werden konnten.

      Da ich mich nun, ganz ungebunden, auch nicht mehr ganz von dieser weiblichen Reitermanie freisprechen konnte, beäugte ich den Fremden ausgiebig. Natürlich völlig unauffällig! Heraus kam, dass es sich hier um ein sehr nettes, sympathisch wirkendes Exemplar mit bereits leicht ergrauten Schläfen handelte. Bestimmt 1,90 Meter groß und sein Alter schätze ich auf Mitte bis Ende 30.

      Herz, was willst du mehr!? Zugegeben, auch ich war beeindruckt.

      In der nächsten halben Stunde ging alles sehr hektisch zu. Pferde wurden gesattelt, überall fehlte in letzter Minute noch etwas, doch dann standen wir alle, bei strahlend blauem Himmel, draußen auf dem Vorplatz und es konnte losgehen. Die Ankunft des „Fremden“ hatte sich ausgebreitet wie ein Lauffeuer, überall hieß es: „Hast du schon gesehen?“

      „Kennt den jemand?“

      „Wo kommt der her?“

      „Mit wem ist der hier?“

      Es geht schon los, dachte ich mir, der Hexenkessel brodelt.

      Karin Sörensen trat auf mich zu. Karin war eine sehr gutaussehende Frau, Ende 20, brünett und alles am rechten Fleck einer 38er Konfektionsgröße, allerdings behaftet mit einer gehörigen Portion Torschlusspanik, seit ihr damaliger Freund sie wegen einer anderen verließ, und nun immer am Ort, wenn sich etwas „Großes“ anbahnte.

      „Karina hast du schon gesehen, da ist ein Neuer im Stall!“

      „Ich weiß Karin, aber dann hast du gewiss auch gesehen, wie er aussieht. Man kombiniere netter Mann und Reiter, also somit ist er sicherlich nicht mehr zu haben“, schlussfolgerte ich weise.

      Karin wieselte unbeeindruckt davon und rief mir noch über den Rücken zu: „Der ist mit Achim hier, den werde ich jetzt erst mal interviewen, was das für einer ist, und wie man den kennenlernen könnte, vielleicht kommt er ja heute Abend ins Schützenzelt zum feiern.“

      Bingo, und meine Eltern waren in Urlaub, was heißt, ich könnte nicht dorthin gehen, da ich keinen Babysitter hatte und einer fremden Person vertraute ich meinen vierjährigen Sohn ungern an. Somit hatte ich wohl schon so gut wie verloren.

      Wir Frauen wanderten in Richtung Paradeplatz, wo unsere Pferde von den Männern in Empfang genommen wurden und standen dann in einer kleinen Gruppe zusammen. Karin hatte natürlich in dieser kurzen Zeit mehr über diesen Menschen in Erfahrung gebracht, als es allen anderen normalen Menschen unter diesen, doch recht hektischen Bedingungen, möglich gewesen wäre. Er hieß Hajo, war knapp 30, und das Beste: er war solo!!!

      So standen wir alle da, schauten unseren Männern zu, wie sie doch ein so nettes Bild von sich gaben, „bewunderten“ den Aufmarsch der einzelnen Züge, die fröhlich bunt gekleideten Männer, die mit steifen, kraftvollen Schritten ehrfürchtig am König vorbeimarschierten und alle so glücklich aussahen.

      Ach, was war das schön!

      Natürlich waren im Festzug keine Frauen dabei, Frauen waren in unserer Bruderschaft nicht erlaubt, schließlich leben wir ja im 21. Jahrhundert.

      Die weibliche Helfertrottelgruppe beschloss dann zum Platz zu wandern, um etwas zu trinken. Wir gingen die Straße entlang, alle nebeneinander. Karin natürlich direkt neben dem Fremden, wild schnatternd auf diesen einredend.

      Jetzt musste ich etwas tun. In einem Anfall von Euphorie kehrte mein ansonsten, nach lustloser Ehe, eher stark verkümmertes Selbstbewusstsein an die Oberfläche zurück, und ich war erstaunt, wie redegewandt und witzig ich auf einmal sein konnte. So erzählte ich zur Belustigung aller Beteiligten einen Schwank nach dem anderen. Doch ich musste erschreckt feststellen, es lachten wirklich alle, nur einer nahm überhaupt keine Notiz von mir. Und das war, natürlich, der Fremde.

      Da mein Selbstbewusstsein aber anscheinend gerade zur absoluten Höchstform auflief, konnte ich das so nicht akzeptieren. Ich schaute ihn von der Seite an und dachte „Na warte“.

      Inzwischen waren wir am Bierpavillon angekommen, und natürlich, wie konnte es auch anders sein, standen Karin und der Fremde etwas abseits von uns und unterhielten sich angeregt. Immer noch dem Anfall von Kampfeslust ergeben, ging