Und dann beginnst du zu schreien.
Kapitel 2
Raven
Ich starre auf meine Füße, während ich verloren durch die Straßen New Yorks laufe, den Koffer hinter mir herziehe und hoffe, dass das alles nur ein schrecklicher Albtraum ist.
Es ist kalt, ich habe meine Jacke bei Aiden vergessen und ich friere. Ich weiß nicht einmal, wo ich hingehen soll. Alec ist im Unterricht und außer Aiden kenne ich sonst niemanden mehr in New York.
Jetzt stehe ich da, wo ich nie sein wollte. Allein in New York. Weil Aiden alles versaut hat.
Mittlerweile habe ich es längst aufgegeben gegen meine Tränen zu kämpfen, auch wenn ich in der Öffentlichkeit bin. Es ist mir egal, alles ist mir egal.
Ich habe Aiden verlassen, das ist das Einzige an das ich denken kann. Das Wissen, dass ich ihn vielleicht nie wieder sehen werde. Dass ich ab dem heutigen Tag nie wieder seinen einzigartigen Jasminduft rieche, nie wieder seine warme Haut spüren und nie wieder seine schönen Lippen küssen werde. Wie konnte es nur so weit kommen?
Ich dachte immer, dass es Schicksal war, dass ich ihn getroffen habe, aber mittlerweile hat mich das Schicksal verlassen. Und das in der letzten Stunde. Das Schicksal kann nicht wollen, dass ich solch einen Schmerz erleide, es würde mich nie so bestrafen wollen. Das kann es einfach nicht.
Vielleicht ist es richtig so. Vielleicht musste ich aus dem Fehler lernen, mich so in Aiden zu verlieren, damit ich jemand kennenlerne, der mich nie verletzen würde.
Sofort schnürt sich wieder meine Kehle zu. Es kann keinen besseren geben, als Aiden. Es kann nur ihn geben. Ich kann nur ihn lieben. Ich will niemand anderen, außer ihn. Ich will keine anderen Lippen küssen und mit niemand anderen vor dem Fernseher diskutieren.
Ich will zu ihm. Ich will zu ihm, ihm glauben können, dass er mich nicht betrogen hat und ihm sagen, dass ich ihn liebe. Ich will wieder von ihm in die Arme geschlossen werden und mit ihm alberne Dinge tun, mit ihm lachen, mit ihm über Bücher philosophieren und darüber reden, ob Gott existiert oder nicht.
Er war doch mein Zuhause. Er war das Heim, in dem ich überall auf der Welt hätte sein können. Solange ich bei ihm war, war ich immer Zuhause, ich war immer geborgen und sicher. Wieso muss ich jetzt mit Tränen in den Augen durch die kalten Straßen laufen und versuchen nicht ständig an sein Lächeln zu denken, mit dem er mich immer angesehen hat?
Doch manchmal lehrt der Schmerz, was das Vergnügen niemals könnte. Es war einfach zu schön, um real zu sein. Ich wollte, dass er mein August war, Gott verdammt, ich wollte es wirklich! Doch es ist vorbei.
August existiert nicht. Er war nur eine Figur, ein Charakter, ein kindisches Wunschdenken. Ein einfacher Protagonist in einem Buch, mehr nicht. Wahrscheinlich hatte Aiden damals Recht, als er mir auf Noahs Party gesagt hat, dass August nicht existiert. Dafür gibt es ja Bücher, sagte er, damit wir unsere Fantasie ausleben können. Ich war so naiv. Er hat es mir gesagt, und ich war so dumm.
Vielleicht wollte mich das Schicksal das lehren. Vielleicht wollte es mir sagen, dass es falsch war, damals auf Noahs Party zu gehen, um zu sein, wie all die anderen. Vielleicht hätte ich mich nie verändern dürfen, hätte immer Ravely bleiben sollen.
Raven war anders. Raven war nicht ich. Sie war jemand, die naiv genug war, zu denken, dass der Mann, den sie liebt, sie genauso hoffnungslos lieben würde.
Oh, und das Schicksal hat mich gelehrt. Es lässt mich büßen lassen. Zeigt mir jetzt was richtig und was falsch ist.
Ich setze mich in ein kleines Café, da es beginnt zu regnen. Schon ironisch, wie das Wetter immer wieder mitspielt. Es sollte wohl so sein.
Während ich in meinem Kakao umrühre und auf die dunkelrote Tischplatte starre, mein Kopf in meine Hand stütze, kommt mir immer wieder ein Satz in den Kopf.
Es kann schwer sein, jemanden loszulassen, der dein Herz glücklich macht.
Das hat er mal gesagt. Das hat Aiden mal zu mir gesagt, als er dachte, Leon würde sich nicht von Sophia trennen, weil er sie zu viel liebt.
Und er hatte Recht. Es ist schwer, jemanden loszulassen, der dein Herz glücklich macht. Doch noch schwerer ist es, jemanden zu verlassen, während er dein Herz noch in seiner Hand hält. Ich habe es ihm geschenkt und jetzt muss ich gehen, muss lernen ohne ihn zu leben.
Ein Teil von mir, wird sich immer wieder umdrehen und zu seinem Apartment laufen wollen, damit ich meinen Kopf auf seine Brust legen kann, doch der andere Teil von mir ist zu gebrochen. Ich könnte ihm nie wieder vertrauen.
Ich bekomme ein seltsames Gefühl, jetzt wo ich Aiden, mein Zuhause, verlassen habe. Es ist nicht nur er, den ich vermissen werde, es ist so viel mehr. Es ist die Person, die ich war, als ich bei ihm war. Ich bin mir sicher, dass ich nie wieder so sein kann. Und das tut weh. Ich war so glücklich, wie noch nie.
Ich sitze zwei Stunden und vierundvierzig Minuten in dem Café, trauere, weine ab und zu. Ich habe ständig Aidens flehendes Gesicht vor meinen Augen, wie er vor mir kniet, mich anbettelt, um ihn nicht zu verlassen. Schließlich ist es spät genug, um Alec anzurufen.
Wenn ich nicht bei ihm unterkommen kann, weiß ich nicht, wo ich hingehen soll. Ich werde auf gar keinen Fall zu Aiden zurückgehen, lieber schlafe ich in einem Hotel.
Ich tippe auf Alecs Kontakt und bin gleichzeitig froh und verletzt, dass Aiden mich nicht angerufen hat oder versucht hat mir zu schreiben.
Da ist einzig und allein die letzte Nachricht, die er mir heute Morgen geschrieben hat, kurz bevor ich zu ihm ins Büro gekommen bin. Er hat mir gesagt, dass er mich liebt. Da habe ich ihm noch geglaubt.
„Hey", grüßt Alec mich am Telefon. „Wo warst du heute?"
„Alec", sage ich leise in die Leitung. Meine Stimme ist nicht mehr als ein Hauchen. Sie ist heiser und mein Hals brennt.
„Ach du Scheiße, was ist los?"
„Ich sitze in dem Café in der Fourth Avenue ... Kannst du mich holen?"
„Natürlich, Maus. Ich bin sofort da."
Ich kann nicht mal lächeln. Es geht einfach nicht. „Danke."
Aiden
Ich starre schon seit einer halben Ewigkeit auf mein Handy. Soll ich sie wirklich anrufen? Es würde wahrscheinlich keinen Sinn machen. So aufgebracht und verletzt wie vorhin habe ich sie noch nie gesehen. Sie würde mir nicht zuhören, da bin ich mir sicher. Sie würde mich eher sofort wegdrücken. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn sie meine Nummer bereits gelöscht hat.
Verdammte scheiße. Ich schmeiße mein Handy achtlos auf meine Couch, greife mit meinen Händen in mein Haar. Das ist Chaos, das ist pures Chaos. Ich kann mich auf nichts konzentrieren, es sind zu viele beschissene Gedanken in meinem Kopf.
Werde ich sie wieder sehen?
Ist das jetzt tatsächlich das Ende?
Werde ich die ganze Scheiße überstehen?
Ich muss hier raus. Ich muss aus diesem verdammten Apartment raus. Alles hier erinnert mich an sie, jeder kleinste Fleck, überall spukt ihr Lachen herum und foltert mich.
Ich ziehe mir meinen Mantel über, checke schnell im Spiegel, ob man mir ansieht, dass ich Höllenqualen erleide und verlasse das Hochhaus. Ich beginne jetzt schon dieses Hochhaus zu hassen. Wie soll ich darin wohnen? Es ist unmöglich. Vor allem in diesem Bett zu schlafen.
Scheiße.
Während der Autofahrt zu BPE kommen Erinnerungen von letzter Nacht in mir hoch.
Sanft küsse