101 Diamanten. Gudrun Anders. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gudrun Anders
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847684534
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      Es war einmal eine kleine Puppe mit hübschen, braunen Augen, glänzendem Haar und einem geschmeidigen und biegsamen Körper. Hübsche Kleider hatte sie an und feine Schühchen. Auf dem Kopf trug sie eine Schleife, die in der Sonne golden glänzte. Diese Puppe war eigentlich eine Schmuse- und Kuschelpuppe, aber diese Zeiten waren lange vorbei. Jetzt lag sie hier in diesem verwilderten Garten und keiner kümmerte sich um sie. Zu diesem Garten gehört auch ein Haus. Und zu dem Haus Menschen, aber die waren lange ausgezogen. Früher, ja früher, als sie noch kuscheln durfte mit dem kleinen Mädchen, da ging es ihr gut.

      Aber eines Tages blieb das kleine Mädchen einfach weg. So lag sie noch einige Zeit in dem Zimmer des kleinen Mädchens und versuchte ihrer Trauer Ausdruck zu geben. Aber Puppen können ja bekanntlich nicht weinen und so stauten sich alle Tränen in ihrem Inneren. Sie meinte manchmal daran ersticken zu müssen, aber sie tat es nicht.

      Dann kamen die beiden Menschen, die das kleine Mädchen immer Mama und Papa genannt hatte und trugen alle Sachen fort. Auch die Puppe. Zunächst standen alle Sachen im Garten und wurden dann in ein großes Auto geladen. Nur die Puppe blieb zurück. Sie fiel aus einem der vielen großen Kartons heraus und niemand hat sie mehr beachtet. Die Puppe versuchte auf sich aufmerksam zu machen, aber Puppen können bekanntlich nicht sprechen. Und so blieb sie im Garten liegen.

      Alle Menschen waren weg. Sie war allein. Nachts wurde es jetzt kalt, denn der Winter war nah. Und die Zeit verging. Stunde um Stunde, Tag um Tag. Die Glocken der nahen Kirchturmuhr verkündeten es. Aber unsere Puppe hatte darauf keinen Einfluss. Sie lag im Gras und starrte in den Himmel, diese endlose Weite über ihr und sie konnte sich noch nicht einmal bewegen¬ denn sie war ja nur eine Puppe. Dazu geboren, immer zu gehorchen, immer zu schweigen und keine eigene Meinung zu haben. Das sollte wohl ihr Schicksal sein. Aber sie gab nicht auf. Eigentlich wäre sie nämlich viel lieber ein Mensch gewesen. Ein Mensch mit Gefühlen, der leben und atmen konnte, der die Freiheit und die unendliche Weite des Alls genießen konnte. Ein Mensch, der Spaß haben konnte und der viel lesen, hören und lernen konnte. Es gab doch so viel zu entdecken auf der Welt! Aber sie war eben nur eine Puppe.

      Die Zeit verging. Der Winter kam und bedeckte sie mit Schnee. Das schöne Kleidchen wurde schmutzig und die Haare verfilzten. Die Puppe fröstelte. Und wäre sie ein Mensch gewesen, so wäre sie sicherlich schon lange tot gewesen.

      Das Frühjahr kam, und es wurde langsam wieder wärmer. Eines Tages hörte die kleine Puppe Stimmen in der Nähe des Gartens. Ganz fest klammerte sie sich an den Gedanken, dass jemand sie finden möge und wieder lieb zu ihr war. Was war denn eine Schmusepuppe wert, die im Garten im Gras lag? Das war nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe war anderen Menschen ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit zu geben, weil viele Menschen untereinander es nämlich nicht können. Und so sind die Puppen ein Ersatz dafür.

      Die Stimmen kamen näher. Ja, aber... das war doch mein Menschenkind, das da stand! „He, du, siehst du mich denn nicht? Ich bin es, deine Puppe! Ich möchte wieder zu dir! Ich möchte dir Liebe, Wärme und Geborgenheit geben! „ Das Menschenkind kam jetzt genau auf die Puppe zu. Nun sieh’ doch endlich mal auf den Boden! Nicht nur in den Himmel! Hier auf dem Boden im Dreck bin ich. Auch wenn ich derzeit keine Schönheit mehr bin, lieben kann ich noch immer! Liebe ist nicht von Äußerlichkeiten abhängig.

      „Menschenkind, bitte pass doch etwas besser auf. Fast wärst du auf mich drauf getreten. Mein Kleidchen hast du schon fast berührt. Sieh' mich doch einmal an! „

      Aber das Menschenkind entfernte sich schon wieder, blieb eine Weile am Baum stehen, umarmte ihn und wandte sich dann wieder ab. Was war denn das? Das Menschenkind weinte ja! Mit so einem verschleierten Blick konnte es mich ja auch nicht sehen, dachte die Puppe bei sich. Das Menschenkind putzte sich die Nase, wischte noch einmal die Augen und plötzlich fiel sein Blick auf die Puppe. Es traute seinen Augen nicht. Zögernd kam es auf die Puppe zu.

      „Ja, Runa, das bist ja du!“, sagte das Menschenkind und hob die Puppe sacht hoch. So lange hab’ ich dich gesucht. Bin ich froh, dass ich dich wieder gefunden habe! Ich werde dich mit nach Hause nehmen und deine Kleidchen waschen. Jetzt sollst du es wieder gut haben!“

      Viele, viele Jahre sind seitdem vergangen, aber die Puppe ist noch immer bei ihrem Menschenkind und wird wohl auch jetzt für immer dort bleiben.

      Die Reise des Bettelkönigs

      Es war einmal eine Wahrsagerin, die am Ufer eines breiten Flusses wohnte. Sie lebte dort einsam und zurückgezogen in einer kleinen Hütte. Die meisten ihrer Kunden kamen mit dem Boot zu ihr, denn so war es am bequemsten. Dort am Ufer konnte man schön anlegen und das Boot festmachen, damit es von der Strömung des Flusses nicht weggerissen wurde. Wollte man die Hütte der Wahrsagerin von der anderen Seite aus erreichen, so musste man lange, verschlungene Pfade durch den Wald gehen und es bestand die Gefahr, dass man sich in dem dunklen Wald verirrte.

      Eines Tages war ein älterer Mann bei der Wahrsagerin und wollte etwas über seine Zukunft wissen. Dieser ältere Mann war ein getarnter König, der sich in der Kleidung eines Bettlers die Dienste der Wahrsagerin zu Nutze machen wollte ohne die Gegenleistung, Geld oder Essen, dafür zu geben. Die Wahrsagerin spürte, dass etwas mit diesem älteren Herrn nicht in Ordnung war, und ihre Zauberblume ließ plötzlich und unerwartet den Kopf hängen. Der ältere Herr beklagte sich über dieses und jenes und wollte die Wahrsagerin aushorchen und für seine Ziele ausnutzen.

      „Dein Leben ist wie eine Fahrt mit dem Boot auf dem Fluss. Du hast vielerlei Möglichkeiten. Du kannst gegen den Strom rudern, aber das kostet Kraft. Andererseits brauchst du nicht rudern, wenn du mit dem Strom fließt. Du kannst es aber tun, um noch schneller zu sein. Die beste aller Möglichkeiten aber ist, sich treiben zu lassen und nur das Ruder zur Kurskorrektur zu benutzen", sprach die Wahrsagerin und sah dem Mann fest in die Augen.

      „Das ist ja alles schön und gut, was du mir da erzählst, aber das weiß schon ein kleines Kind. Ich will von dir wissen, was mir die Zukunft bringt", meinte der ältere Herr, jetzt schon sichtlich etwas nervöser und aufgeregter.

      „Benutze dein Boot und schärfe deine Sinne. Mehr kann ich dir nicht sagen, „ entgegnete die Wahrsagerin.

      „Wenn du mir nicht helfen willst, dann lässt du es eben“, tobte der ältere Herr, „aber erwarte nicht von mir, dass ich mich erkenntlich zeige.“ Sprach’s und verließ fluchtartig das Haus der Wahrsagerin.

      Kaum war der Mann wieder draußen, richtete sich die Zauberblume wieder auf. „Er ist kein guter Mensch. Er hat böse Absichten. Ich fühle mich schlecht, wenn er in der Nähe ist, „ sagte die Zauberblume zur Wahrsagerin.

      „Nein, ich glaube, du irrst dich“, entgegnete diese. „Er hat sich nur getarnt. Es gibt keine bösen Menschen. Tief in seinem Innern ist jeder Mensch gut und weise. Du wirst schon sehen!“ Und die Zauberblume wurde das Gefühl nicht los, als wenn ihr noch ein interessantes Erlebnis mit diesem Mann bevorstand.

      Kaum hatte sie das gedacht, klopfte es an der Tür und der ältere Mann betrat den Raum wieder. „Mein Boot ist weg“, erklärte er ganz aufgebracht. „Ist einfach ohne mich davon getrieben! Bitte helft mir! Wie komme ich jetzt wieder hier weg?“ Der Mann atmete ganz schwer.

      „Ich werde dir meinen Heißluftballon leihen“, erklärte die Wahrsagerin. „Wenn du das Gesetz des Lebens auf der Reise entdeckst, so wird er dich schnurstracks nach Hause bringen. Erkennst du es aber nicht, so wird er sich einen Ort aussuchen, an dem er dich absetzt. Willst du dieses Risiko eingehen oder lieber zu Fuß durch den Wald marschieren? Sprich!“

      Der König fackelte nicht lange mit seiner Antwort, denn ihm als König ziemte es nicht, zu Fuß zu gehen. Wenn ihn nun jemand trotz dieser zerlumpten Kleidung erkennen würde! Nein. Unmöglich. Er musste das Risiko mit dem Ballon eingehen und überhaupt: Es gab doch sicher einen Weg, diesen Ballon zu überlisten.

      „Ich nehme den Ballon“, verkündete er voller Stolz. Einige Minuten später waren alle Vorbereitungen getroffen und der getarnte König stieg in den Ballon und schwebte los.

      „So,