Murki
Es beginnt, wie alle meine Geschichten beginnen. Im Wartezimmer sitzt ein mir unbekanntes älteres Ehepaar. Es sind die Eheleute Warmbroth. Frau Warmbroth ist eine kräftige große Frau, mit herben Gesichtszügen. Sie hat kurze graue Haare und einen eben so grauen langen Mantel an. Im Gegensatz zu ihrem spröden Äußeren ist sie sehr redselig. Der Gatte ist ebenfalls groß und schlank. Er hat ein schmales Gesicht, das mit großen Falten gezeichnet ist. Er trägt die langen grauen Haare bis zum Hals. Sein ausgesprochen freundliches Auftreten, lässt sofort eine gewisse Vertrautheit aufkommen. Mit ihnen ist ein kleiner niedlicher schwarzer Hund gekommen. Er muß irgendwann mal mit seinen Genen mit einem Spitz in Verbindung gekommen sein. Murki war sein Name. Er hätte keinen treffenderen Namen haben können. Murki war bereits acht Jahre alt, als er erstmals meine Praxis aufsuchte. Außer den üblichen Impfungen und Wurmkuren hatte er manchmal eine Schnittwunde oder Erkältungen. Die drei kamen regelmäßig in die Praxis. Sie waren immer sehr besorgt um die Gesundheit ihres Hundes. Dementsprechend oft, besuchten sie mich. Sie erzählten nicht viel über Privates, nur immer darüber, was sie alles mit Murki erlebt hatten. Der Hund muß ihr ein und alles gewesen sein. Mit zunehmendem Alter stellten sich die bei Hund und Mensch üblichen Altersbeschwerden ein. Murki litt an chronischer Niereninsuffizienz. Regelmäßige Blutuntersuchungen und eine entsprechend anzupassende Therapie waren die Folge. Manchmal musste Murki auch an den Tropf, wenn seine Werte arg zu schlecht waren. Mir fiel auf, dass die Frau Warmbroth nur noch wortkarg im Zimmer stand. Von mal zu mal wurde ihre Worte weniger, bis sie eines Tages nichts mehr sagte. Angefangen hat diese unerklärliche Wandlung im September. Dann kam die Zeit, da blieb die Frau im Wartezimmer sitzen. Beim Gehen fasste Herr Warmbroth seine Frau am Arm und führte sie hinaus. Ich traute mich aber nicht nach der Ursache dieser plötzlichen Verhaltensänderung zu fragen. Eines Tages kam Herr Warmbroth nur noch mit Murki zur Behandlung. Er sah auch nicht mehr so ausgeglichen aus, wie früher. So traute ich irgendwann doch nach den Veränderungen bei seiner Frau zu fragen. Ich bekam die traurige Antwort, dass sie an der Alzheimer-Krankheit leidet. Was für eine schreckliche Diagnose. Nachdem er mir von seinem schweren Schicksal erzählt hatte, wurde er wieder gesprächiger. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass er mehr wegen der Unterhaltung mit mir kam, als um Murki´s wegen. Anfang Dezember kam er noch betrübter, als in der letzten Zeit und erzählte, dass seine Frau verstorben war. Sie war erstaunlich kurze Zeit krank gewesen. Nun blieb ihm nur noch Murki. Jetzt kam er seltener in die Praxis. Und als ich Murki wieder sah, war ich erschrocken. Er war sehr dünn geworden, das Fell war struppig und glänzte nicht mehr so, wie sonst. Nur der Bauch war unheimlich angeschwollen. Ich ahnte nichts Gutes und die Untersuchung bestätigte meine Vermutung. Murki hatte einen riesigen Lebertumor. Murki war zwischenzeitlich so malade, dass er nicht mehr operiert werden konnte. Der alte Mann tat mir unendlich leid. Vor kurzem hatte er seine Frau begraben müssen und nun würde er auch noch seinen Hund verlieren. Es lag nun auf meinen Schultern diese schreckliche Nachricht zu verkünden. Der alte Mann wurde während des Gespräches sichtlich älter. Wortlos trottete er mit seinem Hund davon. Ich sah Murki und seinen Besitzer nur noch einmal. Es war der Tag, an dem ich Murki aufgrund seiner fortschreitenden Krankheit einschläfern musste. Er kam dazu in die Praxis, obgleich ich ihm einen Hausbesuch anbot. Dann trug ich ihm den toten Hund in sein Auto. Ich habe Herrn Warmbroth nie wieder gesehen oder etwas von ihm gehört.
Ein fast totes Pferd
Nur wenige Pferde gehören zu meiner Praxis. Eine der wenigen Pferdehalterinnen ist eine Berliner Polizistin. Sie wohnt nur wenige Kilometer entfernt, so dass es bei Notfällen nur kurze Zeit, braucht bis ich bei meinem Patienten bin. Sie besitzt drei Pferde, als Reit- und Zuchttiere. Eines Nachts rief sie, ihr Name war Dornbusch, ihr Pferd habe eine leichte Kolik und sie benötige meine Hilfe. Kurze Zeit nach dem Anruf stand ich vor ihrem Haus. Koliken können verzwickte Angelegenheiten sein und einem die ganze Nacht kosten. Dementsprechend beunruhigt ging ich in Richtung des Stalles. Ein hell erleuchtetes Scheunentor wies mir den Weg. Was ich dort erblickte, ließ mich erstarren. Im Stroh auf dem Boden lag das Pferd in Seitenlage und rührte sich nicht. Im ersten Moment dachte ich, das Pferd war tot. Erst bei näherem Hinsehen, konnte ich Atembewegungen erkennen. In meinem Kopf schossen unendlich viele Gedanken hin und her. Eine gewisse Panik oder Hektik lässt sich nicht leugnen. Ganz im Gegensatz zu mir und meinen hektischen Gedanken stand Frau Dornbusch völlig entspannt neben ihrem Pferd. Meine Frage zur Dauer und Symptomatik meiner Patientin klangen irgendwie schrill. In Gedanken überlegte ich mir alle möglichen Therapiemöglichkeiten bis hin zum Einschläfern. Ich bekam die Antwort: „Ach das macht die Stute immer so. Sie ist ein bisschen wehleidig.“ Nun diese Antwort beruhigte mich etwas. Der Rest war recht einfach. Die Untersuchung ergab eine einfache Krampfkolik. Nach einigen intravenösen Spritzen stand das Pferd, von dem ich glaubte, es nicht mehr retten zu können, auf und begann sofort Heu zu fressen. Kein Mensch konnte erahnen, wie aussichtslos die Situation noch vor wenigen Minuten erschien. Im Stall stand ein Pferd und fraß. Das einzige was anders war, war das verschwitzte Fell des Tieres.
Ich fuhr etwas verwirrt und mit allerlei wirren Gedanken zurück nach Hause. Seit diesem Ereignis bin ich nicht mehr so beunruhigt, wenn ich zu diesem Pferd gerufen werde. Selbstverständlich sind die anderen Pferde der Frau Dornbusch normale Patienten und liegen nicht gleich auf der Seite. Komischerweise wurde meist nur dieses Pferd bei Frau Dornbusch krank. Und das Bild war immer das gleiche. Im Stall lag das Pferd auf der Seite und Frau Dornbusch stand entspannt daneben. Es gab noch eine Besonderheit. Diese zweifelhaften Anrufe kamen immer nachts.
Eines Nachts kam wieder der berühmte Anruf. Diesmal war es keine Magen-Darm-Kolik. Nein, das Pferd hatte sich zur Abwechslung mal was anderes ausgesucht. Vielleicht wurde es dem Tier zu langweilig, immer dieselbe Krankheit zu haben. Nun, hatte ich es mit einer Schlundverstopfung zu tun.
Bei Schlundverstopfungen bleiben Essenbestandteile in der Speiseröhre stecken. Schnell bildet sich an der betreffenden Stelle ein Krampf der Speiseröhrenmuskulatur. Damit wird die Obstipation noch verstärkt. Hinzu kommen, aufgrund der Schmerzen, Schock und Kreislaufversagen. Schnell tritt der Tod ein. Es ist Eile geboten.
Ich fahre also die kurze Strecke zum Stall der Frau Dornbusch. Diesmal ist sie nicht entspannt. Sie kniet über dem klatschnassen Pferd auf dem Stallboden. Ich weiß nicht, wer mehr zittert. Das Pferd, oder die Frau. Aus dem Mund des stöhnenden Tieres läuft weißer Schaum. Die Augen sind blutunterlaufen und weit aufgerissen. Diesmal sieht es noch schrecklicher aus, als sonst. Mir gehen die berühmten Worte: „…Lass alle Hoffnung fahren…“ durch den Kopf. Ich renne zum Auto, meine Medikamente und Instrumente holen. Zuerst mal den Kreislauf stabilisieren und die Schmerzen beseitigen, dann etwas gegen den Krampf an der Obstipationsstelle. Das Tier steht wieder auf. Ein erster Erfolg. Nun beginnt die eigentliche Prozedur. Die verstopfte Speiseröhre muß frei gespült werden. Dazu werden durch jedes Nasenloch des betreffenden Tieres eine Nasenschlundsonde eingeführt und bis zur Verstopfungsstelle vorgeschoben. Die eine Sonde hat ein größeres Lumen. Diese wird als Ablauf genutzt. Durch die andere wird Spüllösung aus einem Irrigator oder Luft, meist Atemluft des Tierarztes, eingepresst. Diese Prozedur führt meist zum Erfolg. Hier nicht. Auch Wasser aus dem Wasserhahn half nicht, die Verstopfung zu lösen. Ich war schon ziemlich ko vom