muß mein Lachen unterdrücken und greife zum Hörer. Nun erfahre ich, dass ein langjähriger Kunde von uns ein Problem hat. Der versprochene schönste Moment vom Tag vorbei. Dieser Mann heißt Freund und wohnt in Potsdam. Dort hält er eine stattliche Zahl von Alpakas der unterschiedlichsten Arten. Besonders erwähnenswert, ist, daß er eine Marzipan und Schokoladenfabrik in Berlin besitzt. Als Liebhaber von allem Süßen hat sich das schon oft als vorteilhaft erwiesen. Im Moment war mir aber nicht nach Schokolade zu mute. Neidisch, fast schon ein bisschen ärgerlich schaue ich beim losgehen auf meine Frau im Bett. Mir steht eine Stunde Fahrt durch die Nacht bevor. Was mich dann erwartet, weiß der Himmel. Die Alpakas und Lamas sind sehr niedlich anzuschauen und wenn sie gut an den Umgang mit Menschen gewöhnt sind, recht umgängliche Tiere. Ich behandle gerne solch exotische Tiere, sie machen mir das tierärztliche Einerlei angenehm abwechslungsreich. Eine weniger schöne Eigenschaft dieser Tiere ist, dass sie meist schwer zu behandelnde Erkrankungen haben und schwer auf die Therapien ansprechen. So bedrückt mich auf der ganzen langen Fahrt das mulmige Gefühl, etwas
Unangenehmes zu erleben. Das Haus des Herren Freund ist sehr schwer zu finden. Es liegt auf einer Halbinsel und ist nur über eine schmale Brücke zu erreichen. Diese Brücke ist immer nur in einer Fahrtrichtung wechselseitig zu befahren und so muß ich lange an einer roten Ampel stehen. Selbstverständlich kommt mir niemand zu dieser mitternächtlichen Stunde entgegen, aber warten muß ich trotzdem. Während dieser nicht enden wollenden Wartezeit kommen mir so manche schreckliche Ahnungen, was mich wohl erwarten wird. Nun kann ich endlich fahren. Es ist grün. Die 100 Meter hätte ich auch laufen können, aber meine Instrumente und Arzneien sind im Wagen. Es ist immer gut, wenn nicht so weite Fußwege anfallen, wenn schnell mal was gebraucht wird. Das erste was mich erwartet, ist die Freundin des netten Herrn Freund. Sie
weint immer, wenn ein Tier krank ist. Diesmal aber weint sie so sehr, daß ich nichts Verwendbares aus dem Gejammer entnehmen kann. Da ich weiß, wo der Stall ist, lasse ich sie stehen und gehe zu meinem Patienten. Dort kauert Herr Freund neben einer stöhnenden Alpakastute. Ich weiß nicht, wer elender aussieht. Der Besitzer oder der Patient. Ich erfahre, das die Stute schon seit den Nachmittagsstunden am fohlen ist und sich irgendwie nichts tut. Ob er erst so spät angerufen hat, damit seine Freundin noch etwas weinen kann? Jedenfalls macht er sich darüber immer lustig. Jetzt bemerke ich einen üblen Geruch. Die Stute hat blasse Schleimhäute und kann kaum noch den Kopf an dem langen Hals hochhalten. Als erstes versuche ich eine Infusion, der ich ein Schmerzmittel beigebe. Die Halsvenen dieser Tiere sind äußerst schlecht zu finden und in diesem desolaten Zustand ist es besonders kompliziert. Es gelingt schon nach dem zweiten Versuch die Kanüle zu platzieren. Geschafft! Erleichtert atme ich auf. Nun kann ich mich dem eigentlichen Problem am anderen Ende des Tieres widmen. Da fällt mein Blick auf den armen Herrn Freund. Ich kann nicht umhin ihn zu fragen, ob er auch so einen Tropf haben will. Zu meiner Verwunderung antwortet er mit ja. Fügt aber hinzu, dass viel Alkohol drin sein müsste. Ich lehne dankend ab und ziehe mein Hemd und T-Shirt aus, lege mich auf den Stallboden und beginne mit der vaginalen Untersuchung. Vor eineinhalb Stunden lag ich auch, aber auf dem Rücken im Bett neben meiner Frau. Das Fohlen hat eine Querlage und ist bereits tot. Der üble Geruch ist hier hinten noch intensiver. Das schlimmste an solch einem Gestank ist, dass man ihn nicht los wird, noch nach Tagen haben die
Arme diesen Geruch gespeichert. Es gibt zwei Möglichkeiten das tote Fohlen zu entbinden. Erstens ich zerteile es und hole es in Stücken aus dem Uterus. Diese Prozedur nennt man
Embryotomie. Es ist genau so barbarisch, wie es sich anhört. Oder zweitens, ich versuche das Fohlen im Mutterleib zu drehen und als Ganzes zu entbinden. Ich entscheide mich für die zweite Variante. In meine Überlegungen fließen auch die Tränen der Freundin mit ein. Es beginnt ein zäher und langer Kampf mit Fohlen, Stute, Gestank und Millionen von Keimen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Tiere mit solch einer massiven Infektion fertig werden. Noch Tage nach solch einem Eingriff sind meine Arme von unzähligen Eiterpusteln übersäht. Nach einer Stunde dieses Kampfes ist es mir gelungen das tote Fohlen heraus zuholen. Gefolgt von einem großen Schwall stinkender Flüssigkeit liegt es vor mir im Stroh. Alle Beteiligten,
einschließlich der Mutterstute, sind erleichtert. Die Freundin hört sofort auf zu weinen! Wahrscheinlich braucht sie jetzt eine Infusion nach den vielen Tränen. Ehe ich mich waschen kann, muß ich noch die Stute versorgen. Es ist nicht sicher dass sie überlebt. Ich wasche mich, steige müde in mein Auto und mache mich auf den langen Heimweg. Komisch, diesmal habe ich keine Süßigkeiten bekommen. Sie hätten mir bestimmt auch nicht geschmeckt. Als ich nach hause komme und tatsächlich noch zwei Stunden schlafen kann, freue ich mich wieder auf mein Bett. Ich lege mich neben meine Frau mit einem gewissen
Gefühl der Zufriedenheit und höre: „Du stinkst!“ Wo Sie recht hat Sie recht, denke ich und schlafe ein. Das war also der schönste Moment vom Tage? Ich will noch erwähnen, daß das arme Alpaka die ganze Geschichte überstanden hat und zwischenzeitlich gesunde Fohlen geboren hat.
Bolle
Heute ist ein trauriger Tag. Ich muß zu einer Beerdigung. Gestorben ist eine liebe Freundin, die mir über viele Jahre eine treue Stütze war. Sie wurde 83 Jahre alt. Alle meine Sorgen und Probleme konnte ich mit ihr besprechen. Und es gab keine Frage, die offen blieb. Immer wusste sie eine hilfreiche Antwort. Manchmal hat sie auch einfach zugehört. Eine Gabe, die heutzutage leider verloren gegangen ist. Wie viele Stunden habe ich in ihrer Stube gesessen, Kaffee getrunken und Kekse gegessen. Oft habe ich stundenlang mit Bolle, ihrem Rauhaarteckel gespielt und mich über alle möglichen Bücher mit ihr ausgetauscht. Aber alles fing ganz einfach an. Vor etlichen Jahren saß das Ehepaar Spengeler in meinem Wartezimmer. Sie hatten einen roten Langhaarteckel mit Namen Felix. Beide waren schon im Rentenalter, aber der alte Herr arbeitete noch immer bei einer Fahrstuhlfirma in Berlin. Dorthin fuhr er täglich mit seinem alten Golf. Ich weiß heute nicht mehr, was dieser Teckel hatte. Aber es war nichts Besonderes. Seit dieser Zeit kamen die drei immer regelmäßig zu mir. Alle drei hatten den gleichen Gang. Schon damals wurden unsere Gespräche nur durch die anderen Wartenden Patienten beendet. Auch wurde ich damals regelmäßig zum Essen eingeladen. An den Abenden erfuhr ich viel über das bewegte Leben der beiden Leute. So erfuhr ich, dass Ihr Vater nach dem Krieg denunziert wurde und in russische Gefangenschaft kam und dort verstarb. Ihr Elternhaus wurde enteignet. Seitdem wohnte sie gegenüber. Aber dazu später. Dann kam der Tag an dem Herr Spengeler plötzlich verstarb und kurze Zeit später der Teckel. Aber Frau Spengeler hatte so viel erlebt, dass sie auch diese Klippe umschiffte. Sie bekam einen neuen Teckel. Er hieß Bolle und war der schon beschriebene Rauhaarteckel. Komisch, wenn man nun erwartet, dass ein junger Hund spontan und ungeduldig ist. Nein Bolle hatte von Anfang an den gleichen Gang wie Frau Spengeler. Nur später hatte sie einen Stock, der Hund nicht. Von nun an trafen wir uns öfter. Später machte ich immer Hausbesuche um, der älter werdenden Frau den beschwerlichen Weg zu ersparen. So entwickelte sich unsere Freundschaft. Durch die ich auch ihre Tochter, Enkelin und andere Freunde kennenlernte. In unregelmäßigen Abständen erfolgten meine Besuche, nicht immer um Bolle zu verarzten.
Einmal konnte ich mich auch außerhalb meiner tierärztlichen Kunst bei ihr revanchieren. Es ging um die Rückgabe ihres Elternhauses. Ich war damals Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung unserer Stadt. Ich konnte mich für ihre Angelegenheit einsetzen. Leider erfolglos. Mit den Worten: „Wenn Sie aus dem Westen wären, hätten sie Ihr Grundstück längst zurück.“, wurde der Antrag abgelehnt. Sie war sehr traurig, aber ihr gutmütiges Wesen ließ sie daran nicht verzweifeln.
Oft traf ich beide bei Gängen durch die Stadt. Es war immer das gleiche Bild. Ich konnte schon von weitem beide an dem für sie typischen Gang erkennen. Links der Gehstock, dann die alte Frau und der Hund, der auf dem gleichen Bein hinkte, wie sie. Niemals zog der Hund, wie es andere Hunde tun an der Leine oder machte irgendwelche ausweichenden Bewegungen. Immer der gleiche Trott. So bald ich sie ansprach, war da die markante jugendlich fröhliche Stimme.
Dann kam der schreckliche Tag, an dem ich Bolle einschläfern musste. Er war so sehr an Leberkrebs erkrankt, dass eine Heilung nicht mehr möglich war. Um ihn von seinen Leiden zu befreien, blieb kein anderer Ausweg. Sie schaffte sich keinen Hund mehr an. Unsere Treffen, besser meine Besuche bei ihr,