Nach einem kurzen Augenblick des Nachdenkens fügt der Sohn des Mokk noch hinzu:
„Ich werde den Magier bitten, ihn begleiten zu dürfen. Die Kriegerin Chin, die wohl auch in die Gewalt des Kaisers geraten ist, hat noch meinen Seelenbeutel. Ich wage nicht zu sterben, bevor ich den
Beutel mit dem fehlenden Teil meiner Seele zurück habe.“
„Dann werde ich dich begleiten, Bruder“, stimmt He zu. „Ich besitze kein eigenes Schwert, keine andere eigene Waffe und auch die Kriegerwürde nicht mehr. Beraubt vom eigenen Vater. Ich werde in jedem Falle unseren Stamm, unsere Heimat verlassen!“
„Und mit euch“, ruft Ho vergnügt, „gehen eure Schwestern“, ergänzt Ha.
Der Magier hat mittlerweile den breiten Belagerungsring um das Lager der Darr durchschritten und nähert sich einer hügelig ansteigende Erhebung, die wie ein Wachturm gute Aussicht über den Schauplatz des kriegerischen Geschehens bietet.
Auf der Anhöhe erwartet ihn bereits die Weiße, die Königin und Gebieterin der Achtbeinigen.
Er nähert sich der Königin bis auf zwei Schritte und verharrt dort schweigend und beobachtend, bis die Weiße das Wort ergreift.
„Du weißt, wer ich bin!“, konstatiert die Weiße.
„Ja“, bestätigt der Magier einsilbig
„Und du wirst mir den Kristall überlassen?“
„Gerne würde ich ihn loswerden. Aber er scheint dies nicht zu wollen. Er ist eine schwere und außerdem gefährliche Bürde. Ergreif ihn und nimm ihn mit dir, wenn du kannst. Ich will ihn nicht.“
„Du hast das natürliche Gleichgewicht zwischen Sterblichen und Unsterblichen empfindlich gestört, Bogenschütze.“
„Gab es je ein solches Gleichgewicht, Gottheit? Wie passt dir dein Körper, aus dem du, die Gottheit, dich nicht befreien kannst?“
„Du irrst dich, Bogenschütze. Es gibt kein Gefäß in der Welt der Sterblichen, das einer Gottheit vollständig Aufenthalt ermöglichen würde. Der wesentliche Teil meiner Seinsform ist von keinem Körper zu umfassen und obwohl das Dasein einer Gottheit nicht teilbar ist, ist doch ein winziger Teil von mir in diesem Körper der weißen Jagdspinne gefangen.“
„Dann umhüllt der andere Teil von dir also den Körper der Weißen. Ihr bildet dann immer noch eine Art Einheit aus körperlichem und nicht körperlichem Sein.“
„Du hast dich der Wahrheit ein kleines Stückchen angenähert, Bogenschütze, und den Grund für meine Ohnmacht erkannt. In diesem Zustand des körperlichen und nicht körperlichen Seins kann keine Gottheit ihre Kräfte entfalten.“
„Dann wird aus einer Gottheit ein begrenztes Wesen, das nur noch über die natürlichen Kräfte ihres Wirtskörpers verfügt – dann hast du offensichtlich eine schlechte Wahl getroffen. Warum aber tauscht eine Gottheit den Zustand der Vollkommenheit gegen den der sinnlichen Begrenztheit ein?“
„Das würdest du nicht verstehen, Bogenschütze. Lass mich jetzt in den Kristall, damit ich in meine eigene Form der Existenz zurückkehren kann!“
„Nein.“
„Was? – Nein? Warum nicht?“
„In meiner Form der Existenz gibt es nichts geschenkt. Ich überlasse dir den Kristall nur unter der Bedingung, dass mit dir jede der Achtbeinigen, jede auch noch so geringe Spur von ihnen, jedes noch so kleine Teilchen – einfach alles von diesen gefräßigen und bösartigen Achtbeingen, die du in meine Welt gebracht hast, mit dir verschwindet und außerdem ...“
Während der Magier der Gottheit seine Bedingungen diktiert, verhandelt der kluge Hoggo noch mit Mokk und dem Rat der Krieger, der längst begriffen hat, dass die Hilfe des Magiers im Kampf gegen die Achtbeingen über Leben und Tod nicht nur der Darrkrieger im Lager, sondern über Leben und Tod des ganzen Volkes der Darr entscheiden wird. Mokk muss schließlich einsehen, dass der Kriegsrat es nicht hinnehmen wird, das Dasein des Darrvolks seinem leidenschaftlichen Hass zu opfern.
Immer wieder ergreift Hoggo, Abstimmung und Einigung zwischen Mokk und dem Rat suchend, das Wort in der Runde der Krieger, zügelt hier die wilde Leidenschaft der Krieger und dort den Hass, sucht mit den Mitteln der Klugheit nach dem einen Weg, auf dem gehend der Kriegshäuptling auf seiner Weigerung eines Bündnisses gegen den Kaiser beharren kann, ohne gleichzeitig vom Magier als Bedrohung für dessen Volk und Heimat eingestuft zu werden …
Als der Magier zum Sohn des Mokk und seinen kriegerischen Schwestern zurückkehrt, schaut er ihnen nachdenklich in die Augen, als suchte er nach Antwort auf Fragen, die er noch nicht gestellt hat.
„Ich werde nicht länger warten. Wenn die Darr an ihrer Dummheit sterben wollen, dann habe ich nichts dagegen einzuwenden“, bemerkt der Magier ruhig, reckt seinen Arm mit weit geöffneter Hand dem Himmel entgegen und die kleine Sonne, die er an den dunklen Nachthimmel versetzt hat, beginnt an Leuchtkraft und Größe zu verlieren und sinkt langsam dem Boden und der geöffneten Hand des Magiers entgegen.
„Warte!“, ruft der Sohn des Mokk, „Hoggo winkt mir, dich zum Rat der Krieger zu bitten. Ich glaube, der Rat hat einen Beschluss gefasst.“
Hoggo bittet den Magier und den Sohn des Mokk, im Kreis der Mitglieder des Rats Platz zu nehmen und kommt gleich zur Sache:
„Ich sehe dich in Eile, Magier, und werde mich kurz fassen: Der Rat ist zu einer Entscheidung gekommen, die sowohl aus der Sicht des Kriegshäuptlings und des Rates der Krieger, wie auch aus deiner Sicht einen Mittelweg darstellt, auf dem beide Seiten sich entgegenkommen können.
Der Rat hat beschlossen, weder mit dem Volk des Magiers noch mit dem Volk des Kaisers ein Bündnis einzugehen. Die Darr verpflichten sich für die Zeit des Krieges zwischen dem Volk des Magiers und dem Kaiser, ihre Eroberungskriege in diesem Teil der Steppe so lange auszusetzen, bis das Volk des Magiers seinen Krieg gegen den Kaiser beendet hat. Wenn du einverstanden bist, dann werden die Krieger des Rats darauf einen Eid leisten – Bist du einverstanden?“
„Nein!“, antwortet der Magier lächelnd und zeichnet mit seinem „Nein“ Verblüffung und Ratlosigkeit in Hoggos Gesicht.
„Warum nicht, Magier?“
„Ihr sollt euch auch verpflichten, in dieser Zeit nicht die Gor anzugreifen und sie nicht von ihren Weideplätzen vertreiben, so fern sie sich friedlich verhalten. Ihr würdet sie sonst in einen Krieg mit meinem Volk treiben. Zusätzlich zum Eid der Ratsmitglieder, will ich von jedem der Ratsmitglieder etwas Blut in einem Seelenbeutel sammeln.“
Wieder muss Hoggo alle Überredungskünste aufbieten, bis er dem Kriegshäuptling und dem Rat die Zustimmung abgerungen hat.
„Der Rat will wissen, welche Sicherheit du bietest, dass dir der Seelenbeutel nicht abhanden kommt. Dann wäre er einverstanden.“
„Ich habe einen ganz besonderen Seelenbeutel“, lächelt der Magier und zeigt auf einen Lederbeutel, der am Köcher für die Pfeile befestigt ist. „Gemeinsam mit dem Kristall, wird euer Blut in diesem Lederbeutel aufbewahrt. Der kann weder gestohlen noch zerstört werden. Wenn es dem Rat aber lieber ist, wäre auch einer meiner Raubvogelfreunde bereit, den Seelenbeutel in seinem Nest sicher vor jedem Zugriff von Mensch oder Tier, Freund oder Feind aufzubewahren.“
Ein kurzer Blick in die Runde des Rats bestätigt das Einverständnis mit dem Verhandlungsergebnis und Hoggo ruft laut:
„Der Magier wird gemeinsam mit den Darr die Achtbeingen bekämpfen und der Rat der Krieger unter der Führung des Kriegshäuptlings Mokk stimmt im Gegenzug dem Übereinkommen zu, wie es eben mit dem Magier verhandelt und vereinbart wurde.
Wir werden einzeln schwören, zu den Vereinbarungen