Es dauert nur wenige Augenblicke, dann steht der Verteidigungsring, den die stets bei ihren Waffen und Pferden schlafenden Darrkrieger rund um ihr Lager mit ihren Körpern, ihren Waffen und ihren Pferden bilden. Die vom laufenden Pferd gestoßene schwere Kampflanze der Darrkrieger ist geeignet, die gepanzerten Bereiche von Brust- und Hinterleib der Aranea-Kriegerinnen mühelos zu durchdringen, doch entziehen die Aranea sich dieser Gefahr durch den Gebrauch ihrer Jagdnetze, die sie aus sicherer Entfernung zielgenau den Lanzen schwingenden Darr entgegenspeien.
Ob Darr, ob Pferd, ob heranfliegende Lanze – was mit dem Jagdnetz in Berührung kommt, verfängt sich unlösbar in seinen klebrigen Fangfäden.
So bleibt es dem Zufall überlassen, wenn hier und da eine verirrte Lanze an den Jagdnetzen vorbei, ihren Weg ins Ziel findet und der einen oder anderen Jagdspinne den Tod bringt.
Neben dem Magier kämpft, noch immer zu Pferd, Häuptling Mokk. Es gelingt ihm ebenso wie seinen Kriegern nicht, an der Barriere der Jagdnetze vorbei, den Tod in die Reihen des Feindes zu tragen.
„Magier“, ruft Mokk durch das Stöhnen sterbender Krieger und Pferde, durch die Schmerzensschreie schwer verletzter Krieger und ihrer Pferde, durch das Entsetzen von Kriegern und Pferden, die von einem der heranfliegenden Jagdnetze erfasst, sich unlösbar unter brennenden Schmerzen im Netz der klebrigen Fangfäden verfangen haben.
„Magier, es scheint, dass nur aus deinen Händen der Tod in die Reihen der Feinde getragen wird – was schlägst du vor?“
„Ich schlage dir vor, Mokk, mein Angebot für ein Bündnis anzunehmen. Sonst seid ihr im Morgengrauen alle tot – du wirst nicht einmal um deine Kinder, die zu deinen Kriegern gehören, trauern müssen.“
„Niemals werde ich einem Bündnis mit dir und noch weniger einem Bündnis mit deinem Vater zustimmen. Lieber will ich hier sterben. Und es tröstet mich der Gedanke, dass du mit dem Morgengrauen ebenfalls tot sein wirst.“
„Du irrst dich, Mokk. Ich werde nicht hier und nicht heute sterben. Aber wie du willst. Ich habe nichts dagegen, wenn du und deine Krieger lieber sterben wollen anstatt zu leben.“
Durch das Stöhnen der Sterbenden, durch die von allen Seiten heranflutenden Wogen der Schmerzensschreie klingt immer wieder der verzweifelte Ruf nach Licht. Doch die wenigen Feuer, die für spärliches Licht an den wichtigsten Stellen des Lagers gesorgt hatten, sind längst niedergebrannt, die kärglichen Brennstoffvorräte längst zu flüchtigem Licht und Rauch verbrannt.
„Magier, warum verhinderst du dieses sinnlose Sterben nicht, wenn du es doch kannst, wie du immer wieder versichert hast?“, klingt die schreiende Stimme von He in seinen Ohren.
„Die Darr wollen das Bündnis mit dem übermächtigen Kaiser Shen-nun, der die Menschen in meiner Heimat von Osten bedroht. Aus Nord und West droht uns Gefahr von den ebenfalls übermächtigen Darr und den Gor. Zwischen diesen Mächten liegend, würden die Dörfer meiner Heimat zerrieben. Warum also soll ich die Gelegenheit nicht nutzen, einen gefährlichen Feind, einen Todfeind loszuwerden.“
„Dann bist du unerbittlich?“
„Ja, um die Krieger der Darr tut es mir nicht leid.“
„Kannst du mit deiner Magie nicht wenigstens für Licht sorgen?“
„Willst du wirklich das hässliche Gesicht des Krieges sehen, He? Meinetwegen. Aber es wird euch nichts nützen. Nur die Macht des Kristalls kann euch gegen diesen Feind helfen.“
Wieder greift der Magier mit der Hand in seine Brust und zieht sie gemeinsam mit dem Kristall darin wieder heraus. „Leuchte“, flüstert er leise und der Kristall beginnt in der Hand des Magiers aufzuleuchten.
„He“, ruft er der Kriegerin durch den sich nähernden Kriegslärm zu, „ich versuche, eine kurze Unterbrechung des Angriffs zu erreichen. Nutze du die Zeit, den Rat der Krieger noch einmal zusammenzurufen. Es ist eure letzte Chance – und niemand soll etwa glauben, die Feinde würden sich auf die Vernichtung dieses Kriegslagers beschränken. Ich weiß durch meine fliegenden Kundschafter, dass bereits eine zweite Armee der Achtbeinigen sich auf den Weg gemacht hat, das Volk der Darr in seiner Heimat anzugreifen und zu vernichten.“
Spätestens zu dem Zeitpunkt, als der Bogenschütze im Dunklen Planeten das „Tor zur Freiheit“ durchschritten hatte, was für einen unmessbar kurzen Zeitraum den Zustand der „Allmacht eines göttlichen Wesens“ zur Folge hatte – spätestens seit diesem Zeitpunkt, weiß der Magier um die Gefährlichkeit des Kristalls und um den hohen Preis seiner Nutzung.
Es ist nicht ohne Gefahr, mitten im Kampfgetümmel zur Konzentration die Augen zu schließen. Doch die sichere mentale Kontrolle über den Kristall im aktivierten Zustand, ist unabdingbare Voraussetzung, nicht selbst unter die Kontrolle des Kristalls zu geraten.
„Flieg hoch, rätselhaftestes Ding des Sternenmeers, und lass von den fernen Hochgebirgen im Norden und Westen bis dort zum Huang-ho, wo er im Osten sich in seinem Lauf nach Süden wendet, die dunkle Nacht zu hellem Tag sich wandeln ...“
He war nicht in der Lage gewesen, den Magier und das seltsame Geschehen um ihn und den Kristall auch nur für einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Versteinert vor Ehrfurcht gegen das, was ihr als Verkörperung einer strahlenden Gottheit erscheint, hat sie alles um sich herum vergessen.
Die Sonne, die mitten in der Nacht von der Erde zum Himmel aufsteigt und soweit das Auge schauen kann, die Dunkelheit in der Welt mit Licht erfüllt, der Magier, der jetzt mit geschlossenen Augen mitten unter den Kämpfenden steht, als wäre er ein lebloser Felsen, all das erfüllt die junge Kriegerin mit Furcht und großer Sorge.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, den Magier von allen Vorwürfen, ein Lügner und Betrüger zu sein zu befreien – dann war dieser Beweis für tausende von Augenpaaren sichtbar jetzt erbracht.
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Als der Magier die Augen öffnet, findet auch He wieder zu sich selbst. Doch noch immer wollen ihre Augen nicht für den kleinsten Augenblick die Gestalt des Magiers aus dem Blick verlieren. Ihr Herz klopft bis zum Hals hinauf so heftig, dass es schmerzt. Sie hört den Krieger leise sprechen. Mit der Weißen, der Königin der Achtbeinigen, die doch nirgendwo sichtbar ist und nur wenige Augenblicke später unterbrechen die Achtbeingen die Kampfhandlungen, stehen einfach nur noch regungslos da.
So kurz die Kampfhandlungen auch andauerten – das sichtbare Ergebnis liegt in der hellen Nacht für jedes Auge gut sichtbar, überall auf dem Boden angehäuft oder zerstreut.
Das Ächzen, Stöhnen und Schreien der Schwerverletzten, der Sterbenden, der im Todeskampf sich windenden in den Jagdnetzen gefangenen Krieger klingt grauenvoll in He‘s Ohren.
Kreuz und quer liegen die toten Krieger so, wie sie tot oder tödlich getroffen von den Pferden gestürzt sind. Tote Pferde liegen auf ihren toten Reitern, tote Reiter liegen auf toten Pferden. Hunderte von Augen, die starr und regungslos in den hellen Nachthimmel starren, als würde dort neues Leben verteilt.
Längst steht He nicht mehr allein vor dem Magier, der sich langsam, wie gleichgültig, auf den Weg zur Königin macht. Ruhig, als täte er dies jeden Tag, drängt er sich durch die dichten Reihen der Jagdspinnen, nur verfolgt von deren sich mit ihm bewegenden gestielten rot glühenden Augen.
He‘s Schwestern und ihr Bruder „Sohn des Mokk“ stehen tuschelnd und flüsternd vor ihr. Neben dem Sohn des Mokk steht der riesige Garg. als einer der erfahrensten Krieger der Darr.
„Lasst uns einen letzten Versuch wagen“, beendet der Sohn des Mokk das Getuschel der vier Geschwister, „den drohenden Niedergang unseres Volkes zu verhindern. Unser Vater wird uns verstoßen,