Ich ging die Treppe hinunter, um mich in das Gespräch einzuschalten. Papas Miene sah sehr nachdenklich aus. Meine Mutter sah ihn eindringlich an. »Ich war ja von Anfang an dagegen, Theo.«
»Rita, wir machen da jetzt das Allerbeste draus. Du kennst mich. Wir bekommen das schon hin. Jetzt gibst du mir mal einen Kuss und dann müssen wir wirklich los. Emelie, bist du soweit?«
*
Nach zwei Stunden Autofahrt, von denen wir gut eine im Feierabendstau verbracht hatten, erreichten wir endlich die Allee. Es war schon stockdunkel. Die Straßenlaternen leuchteten und ließen einen das Schloss schon von weitem erkennen. Wir parkten am Gehsteig vor der Schlossmauer uns gingen die letzten paar Meter zu Fuß. Ich verspürte eine leichte Aufregung, die sich durch ein Kribbeln in meinem Bauch bemerkbar machte. Was uns im Schloss nur erwarten würde? Ich hoffte sehr, dass wir in den Räumen ein nicht allzu großes Chaos vorfinden würden. Von der Straße aus konnte man trotz der diesigen Beleuchtung erkennen, wie heruntergekommen das Schloss wirklich war. Es glich fast einer Schlossruine. Hoffentlich sieht es innen nicht so heruntergekommen aus, dachte ich mir. Der ganze Park um Schloss Hohenstein war verwildert. Hohe Büsche und Unkraut umzäunten das Gebäude soweit man blicken konnte. Das große gusseiserne Eingangstor zum Grundstück war trotz des Einbruchs in der letzten Nacht unbeschädigt geblieben. Es stand sperrangelweit offen.
*
Der schwere, muffige Geruch in der Galerie erinnerte mich an den schlecht gelüfteten Gewölbekeller unter dem Haus meiner Großeltern. Das Atmen hier fiel schwer. Wir sahen uns um. An den stattlich hohen Wänden, die über der Holzverkleidung mit hellblauer Ornament-Stofftapete tapeziert waren, prangten die lebensgroßen Portraits sämtlicher Ahnen von Salborgh und Friedrich. Friedrichs Urahnen hatten fast durchweg sehr helle Haut. Die meisten waren weißblond oder rothaarig. Friedrich fiel mit seiner nordischen Erscheinung nicht aus der Reihe. Die filigranen Gesichtszüge und die flache Nase hatte schon sein Urgroßvater. In der Mitte der Galerie stand Salborghs Flügel. Mein Blick fiel sodann auf die dunkelbraune Jugendstilkommode. Alle fünf Schubladen waren aufgezogen. Ich schritt heran, um mir das Chaos aus der Nähe zu betrachten. Auf dem hellen Fischgrätparkett lagen massenweise durchwühlte Dokumente. Darunter auch drei Sparbücher verschiedener Banken. In der oberen Schublade befand sich Salborghs unangetastete Schmuckkassette.
»Jetzt erkläre mir doch bitte mal, warum die den Schmuck nicht mitgenommen haben! Was haben die hier nur gesucht?«
»Tja, wenn wir das wüssten. Vielleicht hat Mama ja doch Recht. Ich habe vorhin zuhause zufällig euer Gespräch mitbekommen.« »Ehrlich gesagt halte ich die Mutmaßungen deiner Mutter auch nicht für ganz abwegig, aber ich wollte sie vorhin einfach beruhigen. Rita macht sich ja mittlerweile die größten Sorgen.«
»Aber du weißt ja auch, dass sie gerne ein bisschen übertreibt.«
Mein Vater schaute mich plötzlich etwas gequält an und legte mir seine Hand auf die Schulter.
»Kind, ich muss dir was gestehen. Ich habe euch etwas verheimlicht...«
Kapitel 2
Die Spätherbsttage können auf Teneriffa nochmal ziemlich heiß werden. Es war eines der Jahre in denen selbst Ende Oktober nochmal die dreißig Grad geknackt werden. Aufgrund der Hitzewelle war an diesem Nachmittag die halbe Hauptstadt mit Kind und Kegel am Strand versammelt, um sich im Atlantik abzukühlen. Man hatte Mühe, sein eigenes Wort zu verstehen. Es roch salzig und nach Sonnencreme. Hin und wieder sorgte der Wind dafür, dass sich der Strandodeur mit dem Parfum der Menschen auf den benachbarten Liegeplätzen mischte. Der Passat fegte von Nordost über die Playa und machte die Hitze in San Andres sehr erträglich. Die beiden Mädchen hatten gerade ihre Tücher in den Sand gelegt und mit grauen Lavasteinen beschwert, um sie vorm Wegfliegen zu bewahren. Sie beschlossen eine Runde schwimmen zu gehen, um sich abzukühlen.
Als sie mit ihrer Luftmatratze den Wellenbrecher erreicht hatten, stützen sie sich auf die Matratze und verweilten. Hier war es ziemlich ruhig und das Strandleben war akustisch kaum noch zu vernehmen.
»Ich mache mir in letzter Zeit große Sorgen um meine Mutter. Sie verhält sich so eigenartig. Ich habe sie noch nie so mitgenommen und besorgt erlebt. Aber wenn wir sie fragen, ob sie in Ordnung ist, lächelt sie nur und sagt es gehe ihr gut. Sie redet nicht mal mit Papa darüber. Ich habe schon überlegt, ob sie vielleicht eine schlimme Krankheit hat und deswegen ständig so apathisch wirkt. Aber dann würde sie ja wenigstens mit meinem Vater reden. Sie sagt niemandem was los ist. Papas Besorgnis wandelt sich mittlerweile schon in Wut um, weil sie andauernd bestreitet, dass irgendetwas wäre. So habe ich sie noch nie erlebt.«
»Ach, dann mach dich doch nicht so verrückt! Sie würde schon sagen, wenn es ihr nicht gut ginge. Deine Mom ist einer der kommunikativsten und mitteilungsfreudigsten Menschen, die ich kenne. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie euch so etwas verschweigen würde. Und schon gar nicht deinem Vater. Die beiden sind doch ein Herz und eine Seele.«
»Nein Linda, wirklich. Es ist ganz seltsam mit ihr. Sie ist wie ausgewechselt.«
»Cristina, ich kenne deine Familie seit ich denken kann und ich glaube du solltest das nicht überbewerten.«
»Vielleicht hast du Recht. Komm, wir schwimmen zurück zum Ufer. Mir wird es langsam kalt.«
Die beiden hatten es sich gerade wieder auf ihren bunten Strandtüchern gemütlich gemacht, als Carmen und Pablo um die Ecke auf sie zu kamen. Sie begrüßten die beiden Mädchen freudig. Carmen wirkte leicht angespannt, aber dennoch gut gelaunt und begrüßte ihre Tochter und deren Freundin sehr herzlich.
»Hallo ihr Hübschen! Linda, freut mich, dich zu sehen. Wie geht's dir denn? Hat deine Mama dir schon erzählt, was wir geplant haben?« Linda schaute ziemlich fragend und Carmen schien das zu erfreuen.
»Rosa und ich liegen über Weihnachten zu Heidi nach Deutschland. Sie hat uns eingeladen, Silvester mit ihr und ihrer Fmilie zu feiern. Ist das nicht toll? Das heißt ihr seid uns dann zehn Tage los. Bei denen im Schwarzwald liegt immer so viel Schnee, da kommt nicht mal unser Teidegipfel mit. Das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Einfach traumhaft diese Winterlandschaft.«
Linda lächelte und nickte schnell. »Ja, achso. Natürlich! Mama ist schon ganz aus dem Häuschen. Sie war sogar schon warme Wintersachen einkaufen. Ich freue mich sehr für euch. Das wird sicher eine tolle Zeit!«
»Dein Vater und ich sind nicht eingeladen. Stell dir das mal vor, Linda! Cristinas Vater schaute leicht grimmig.
»Aber wir sind ja froh, wenn wir die Weiber auch mal los sind«, bemerkte er grinsend.
Kapitel 3
Zögernd und mit errötetem Kopf begann mein Vater endlich zu Erzählen.
»Also um ehrlich zu sein: Ich hatte mich ja vor der Testamentseröffnung schon mal mit dem Notar getroffen. Salborgh hatte einen Brief an das Testament geheftet. Er war an dich gerichtet und nicht in einem Umschlag. Der Notar hat ihn mir vorgelesen und mich gebeten ihn dir zu geben, weil er wollte, dass du ihn durchliest, bevor du bezüglich der Annahme des Erbes eine Entscheidung triffst.« Mein Vater schaute jetzt noch viel gequälter und errötete immer mehr vor Scham. Ich traute meinen Ohren nicht ganz. Das darf ja wohl nicht wahr sein.
»Wie bitte?«
»Es tut mir leid, Emie! Ich hatte keine Gelegenheit ihn dir zu geben. Wir hatten keine Sekunde. Es ging doch dann plötzlich alles so schnell und deine Mutter sollte auf keinen Fall davon erfahren. Du weißt doch wie schnell sie sich aufregt.«
Mein Vater holte den zusammengefalteten Zettel aus seiner Westentasche. »Hier! Es steht nichts Schlimmes darin, aber offensichtlich