Nicht lange, und Fannys Gesellschaften bildeten das Stadtgespräch. Die Gäste mehrten sich — Adel, Künstler, Müßiggänger, Söhne reicher Eltern und Opportunisten jeglicher Art bevölkerten das Haus. Allmählich entwickelten sich diese Besuche zu einer ständigen Einrichtung an bestimmten Tagen. Nach dem „en vogue“ befindlichen Vorbild Frankreichs nannte sie die Empfänge ihre „Jours“.
Es war ein zwangloses Kommen und Gehen innerhalb der ebenfalls nach französischem Vorbild festgesetzten Zeit.
Einmal in der Woche, donnerstags, empfing Fanny in ihrem Boudoir, wobei sie darauf achtete, daß die Zofe Nancy anwesend war.
Lebhafte Diskussionen über Tagesthemata wechselten mit künstlerischen Vorträgen. Und manche politische Intrige wurde hier gesponnen.
Der Herzog von D*** fand sich regelmäßig ein und machte Fanny den Hof. Mrs. Cole empfand eine Aversion gegen den eleganten, allzu glatten und, wie ihr schien, berechnenden Vertreter des Hochadels. Sie witterte Schwierigkeiten, die sich aus den häufigen Besuchen des Herzogs ergeben könnten.
„Lady Douglas, Sie sind gänzlich zerstreut!“ Die Königin, äußerst ungehalten, rügte die Hofdame, die ihr schon zum zweiten Male den falschen Schmuck reichte.
Ihre Majestät war aufbrausender und mürrischer denn je. Des Königs Gesundheitszustand und die Intrigen, die um Georg gesponnen wurden, ohne daß sie helfend einspringen konnte, zerrten an ihren Nerven.
Nicht weniger belastet von der Konspiration bei Hof war Lady Douglas. Sie, die Vertraute der Gemahlin Georgs III., trieb ein übles Doppelspiel, das Nervenkraft kostete und die Hofdame in Gewissenskonflikte trieb. Immer häufiger geschah es, daß Mylady außerhalb ihrer Zimmer ihr Wesen trieb. Die Königin ahnte allerdings nichts davon. Noch weniger, daß sie in solchen Fällen mit Herzog von D*** konspirierte. Gegen seine Majestät. Aber zu ihrem Vorteil? Der Hofklatsch blühte. Den Gräfinnen Learncall, Cavendish und Droughgate war „die Douglas“ schon längst ein Dorn im Auge. Neulich hatte die Herzogin von D * * * eine abfällige Bemerkung über ihre
Cousine gemacht. Damit schien in den Augen der übrigen Hofdamen das Urteil über Lady Douglas gesprochen.
Tatsächlich aber vermutete die Herzogin in Lady Douglas eine Rivalin, die versuchte, den Earl of Chatham, einen Liebhaber der Herzogin, für sich zu gewinnen. Daß Myladys Ambitionen ganz auf den Herzog von D * * * gerichtet waren, wußte dessen Gattin nicht, noch ahnte sie es. Die Herzogin hätte das auch wenig berührt.
Anläßlich einer großen Gesellschaft sollte Frances den Freunden und Bekannten des Hauses vorgestellt werden. Ihre Mutter hatte dem Drängen der jetzt Vierzehnjährigen, an einem der nächsten „Jours“ teilnehmen zu dürfen, nachgegeben. Dieses für sie bisher größte Ereignis versetzte Frances schon Tage vorher in helle Aufregung. Stundenlang wühlte sie in ihrem Kleiderschrank — nichts gefiel ihr. Nicht einmal die modernen Kleider schienen ihr gut genug, von denen sie schließlich vier in die engere Wahl zog. Vor dem Spiegel prüfte und verwarf sie, begann von neuem und kam zu keinem Entschluß.
Dorothee beobachtete die hektische Geschäftigkeit ihrer Schwester. Sie stichelte und ließ sich zu hämischen, bissigen
Bemerkungen über ihre Putzsucht, ihre Eitelkeit, ihr albernes, dummes Getue hinreißen. Wer schon in der Gesellschaft werde auf sie aufmerksam werden, ihr Beachtung schenken — einem Mädchen, das noch grün hinter den Ohren sei. „Wenn Du trotzdem Aufsehen erregen willst, steck’ Dir doch eine Pfauenfeder in den Popo ...
Schwupps — flog ein Schuh in Richtung Dorothee. Er traf auch — allerdings nicht die Schwester, sondern Mrs. Cole, die eben das Zimmer betrat.
Frances biß sich in den Knöchel des Zeigefingers — aber das Mißgeschick steigerte ihre Erregung noch. Und während sie ein hastiges „Vergebung, Madame!“ hervorstieß, angelte sie schon nach dem zweiten Schuh . . .
Mrs. Cole griff ein, schlichtete den Streit, wie sie es oft tun mußte, und riet Frances dann zu einem dunkelgrünen Satinkleid, das besonders gut zu ihrem vollen, rotblonden Haar paßte.
Der große Tag lag hinter Frances. Ihr zu Ehren war das Buffet reichhaltiger als sonst gewesen; der Champagner floß in Strömen. Mrs. Cole fand das entsetzlich verschwenderisch, aber Fanny wußte sie zu beschwichtigen.
Frances war bewundert und umschwärmt worden. Nicht wie ein Nestjunges, das flügge geworden war und dessen Gesellschaftsfähigkeit nun dokumentiert werden sollte. Man hatte sie akzeptiert.
Gesichter und Namen, Komplimente und Elogen, offene
und versteckte Zärtlichkeiten waren als physische und sinnenhafte Wahrnehmungen auf sie eingeströmt. Ein wirres Kaleidoskop sich jagender Bilder haftete noch anderntags in ihrem Köpfchen, das sie seitdem ein wenig höher trug.
Der Herzog von D * * * war auch für Frances die imponierendste Erscheinung gewesen. Seine Gnaden hatte sich betont geneigt gezeigt — sie wie eine Dame behandelt. Ihr Puls beschleunigte sich, wenn sie an ihn dachte.
In einer Woche würde sie ihn Wiedersehen ...
Schon am übernächsten Tag erschien er mit dem Maler Gainsborough, um ein Porträt Fannys in Auftrag zu geben, das in Whitehall ausgestellt werden sollte.
Frances stand auf der kleinen Balustrade, die einen Teil der Halle umgab. Der Herzog sah sie und winkte ihr, vertraut lächelnd, zu.
Frances stand wie angewurzelt. Vor Überraschung und Entzücken vergaß sie den obligatorischen Knicks. Dann verschwand sie mit glühenden Wangen im nächsten Zimmer.
Mrs. Cole machte Fanny ernsthafte Vorhaltungen über die Verschwendungssucht, die im Hause eingerissen sei: Die „Jours“ und Soireen verschlängen Unsummen.
Fanny nickte nur — in Gedanken war sie schon auf dem Wege zu Gainsborough; ihr Porträt ging seiner Vollendung entgegen. Noch zwei oder drei Sitzungen, dann würde ihr
Konterfei einen Platz in Whitehall — unter den Vornehmen des Landes — haben. Fanny, als Dame der Gesellschaft, hatte eine weitere Stufe auf der Leiter zu den „uper ten“ erklommen — Fanny, das Freudenmädchen von ehedem.
Was hatte die Cole gesagt? Verschwendung — der Etat! Sie stand auf und wandte sich zum Gehen. „Liebe Mrs. Cole,“ warf sie gleichgültig hin, „das arrangieren Sie schon! Denken Sie sich was aus!“ Und draußen war sie.
Frances lag im Bett und starrte gegen die Decke ihres Zimmers. Maman, die eben bei ihr gewesen war, hatte ihre Hand gestreichelt, als sie von dem Herzog schwärmte, und ihr bestätigte, daß er ein schöner Mann sei. „Was Wunder, wenn Du sogar einem Herzog gefällst! Du bist hübsch und jung ...“
War sie wirklich hübsch? Die Kerze brannte noch — Frances sprang aus dem Bett und stellte sich vor den großen Spiegel. Prüfend betrachtete sie sich. Sie hatte die gleichen, regelmäßigen Gesichtszüge wie ihre Mutter, nur glatter und runder. Ihre grüngrauen Augen leuchteten. Ein wohliges, prickelndes Gefühl spielte auf der Oberfläche des Nackens und der
Brüste ...
Langsam ließ sie das Nachthemd hinabgleiten und stieß es mit dem Fuß beiseite — ein Häufchen Nichts, nachdem es der Formen eines ebenmäßigen, jungfräulichen Körpers entbehrte.
Zwei Schritte weg vom Spiegel erfaßte Frances ihr Ebenbild von Kopf bis Fuß. Mit beiden Händen durchwühlte sie vom Nacken her ihr volles, weiches Haar, das im Schein der Kerze rotgolden schimmerte.
Nach einigen leichten Links- und Rechtsdrehungen, die Arme nach oben angewinkelt, daß die festen Hügelchen der Brüste von allen Seiten sichtbar wurden, fragte sie ihr Spiegelbild: „Bin ich wirklich schön und begehrenswert?“ Mit der Antwort war sie nicht ganz zufrieden.
Sie ließ die Arme schlaff nach unten fallen und zuckte ein-, zweimal mit den Schultern. Den Kopf zur Seite geneigt, fuhr sie mit den Händen den Körper entlang, abwärts bis zu den Hüften. Zwischen ihre weißen, regelmäßigen