Es war an der Zeit, Abschied zu nehmen. Fanny preßte Charles’ Arm, drängte sich an ihn, bot ihren Mund zum Kuß. Erst der Ruf des Steuermanns: „Mr. Burton, wir warten auf Sie!“ brachte beide zur Besinnung. Eine letzte Zärtlichkeit — Charles löste sich aus den Armen seiner Frau. Dann ging er schweren Schrittes an Bord.
Die Ankerketten rasselten — rauschend entfalteten sich die Segel. Das schwere Schiff legte vom Quai ab. Hastige, törichte Worte des Abschieds, bis das Schiff außer Rufweite war. Seidene Tüchlein hüben wie drüben — Zeugen flatternder Gedanken, die nichts mehr fassen konnten, als den Schmerz des Abschieds. Auf wie lange?
Bedrückt bestieg Fanny die Kutsche.
Kapitel 2
„Liebe Mrs. Cole, ich langweile mich zu Tode!“ Fanny hatte trotz der vielen Jahre, die ihre mütterliche Freundin nun schon bei ihr war, trotz der weiten Kluft, die gesellschaftlich zwischen ihnen lag, nicht daran gedacht, sie wie eine Angestellte zu behandeln. Und für Mrs. Cole war Fanny immer noch das kleine, bezaubernde Mädchen, das sie einst in ihr „Haus“ genommen und am reichlich fließenden Quell getränkt hatte, den weiberlustige, finanzkräftige Kavaliere nie versiegen ließen.
„Hmm,“ nickte die Cole, „Charles ist jetzt über ein halbes Jahr fort, und sein letzter Brief erreichte uns vor zwei Monaten. Aber — Sie haben doch die Kinder!“
„Wer hat die Kinder?!“ Fanny brauste auf. „Sie haben sie doch! Dorothee und Edward hängen mehr an Ihnen als an mir!“
„Nur Frances nicht!“ maulte die Cole. „Für die haben Sie immer Zeit.“
„Na und??“ Kam die Rede auf Frances, kehrte Fanny ihre Stacheln wie ein Igel heraus. Ihre Augen begannen zu flackern, die Unterlippe schob sich vor. Mrs. Cole kannte diese Sturmzeichen. Sie lenkte ein. Wegen Frances hatte es schon genug Streit gegeben. „Sie haben recht! Charles fehlt an allen Ecken und Enden. Aber gewiß wird er bald zurückkehren.“
Fanny war davon nicht überzeugt: „Es kann unter Umständen noch Monate dauern, bis die Geschäfte in Montreal abgewickelt sind. Und die Rückreise nimmt auch einige Wochen in Anspruch.“
Wirtschaftliche Not litt sie nicht. Charles hatte das Vermögen, das sie in die Ehe eingebracht hatte, gut verwaltet und um über die Hälfte vermehrt. Aber es ärgerte sie, während der Abwesenheit ihres Mannes von der Substanz zehren zu müssen, da laufende Einnahmen ausblieben. Fanny war überdies eine Frau, die sich gern bewundern ließ, die bestätigt wissen wollte, daß sie schön, begehrenswert, reich und glücklich sei. Charles hatte mit dererlei Vorstellungen nie gegeizt.
Mrs. Cole kannte den Grund der Unzufriedenheit. So beschloß sie eines Tages, Fanny vorzuschlagen, eine Gesellschaft zu geben. Auch ihr ging die Zurückgezogenheit auf die Nerven. Außer Lord Douglas und dem Juwelier Mr. Whitman, der das Vermögen der Burtons verwaltete, empfing Fanny kaum Besuch.
„Fannykind,“ flötete die Cole anderntags am Frühstückstisch, „Sie sollten etwas für Ihre Gesundheit tun!“
Fanny blickte auf. Da war etwas im Unterton der Cole, das sie an längst vergangene Zeiten erinnerte.
„Wenn ich so bedenke, was Sie früher für ein lebenslustiges, unbekümmertes Weibsbild . . . — sie sagte mit voller Absicht „Weibsbild“ — „waren, dann erscheint mir Ihr jetziger Zustand beklagenswert!“ Sie machte eine Pause und fuhr fort: „Sie sollten wieder einmal Menschen um sich sammeln!“
Fanny verschluckte sich und hustete, bis die Tränen kamen, die von einem Lachen abgelöst wurden. Konnte die Cole Gedanken lesen?
Mrs. Cole lief um den Tisch herum und klopfte der Hausherrin den Rücken. Als der Anfall vorüber war, protestierte Fanny zum Schein gegen einen solchen „unmöglichen“ Vorschlag.
Die Cole gab diesem „Protest“ die richtige Deutung.
Beim Tee stellten beide Frauen bereits Überlegungen an, wie diese Soiree zu gestalten sei und unter welchem Vorwand. „Ist es notwendig, sich durch irgendeinen äußeren Anlaß für eine Einladung zu rechtfertigen, die in Abwesenheit des Hausherrn gegeben wird? Ich glaube nicht!“, beschwichtigte die Cole ihre jüngere Freundin.
„Und wenn,“ trumpfte Fanny auf, „dann sollen sie sich die Mäuler zerreißen; ich pfeife darauf!“ So war die Soiree beschlossene Sache.
Lohndiener wurden engagiert, Essen und Getränke bestellt. Einladungen gingen hinaus. Am wichtigsten aber war die Frage, was Fanny anziehen sollte. Nichts unter zahlreichen Roben schien ihr geeignet. Also mußte innerhalb von zehn Tagen ein neues Kleid geschneidert werden. Selbstverständlich vom ersten Taylor Londons.
Das war zur Zeit Monsieur Legrand, der sich seit kurzem in London niedergelassen hatte, um, wie er sagte, den Damen der Gesellschaft Pariser Eleganz zu bringen. Er war überbeschäftigt und sündhaft teuer. Zudem war es schwer, ihn zur Einhaltung eines Termins zu bewegen. Er brauche Zeit zur Inspiration — begründete er.
Fanny blieb es ein Rätsel, wie Mrs. Cole es zuwege brachte, den Meister zu überreden, sie aufzusuchen und zu versprechen, das Kleid in der kurzen Frist anzufertigen. Jedenfalls — Monsieur Legrand erschien!
Er machte seinem Ruf alle Ehre: er stolzierte einher wie ein gespreizter Pfau. Zum vollendeten Stutzer fehlte ihm lediglich der Degen. Mit Grandezza verbeugte er sich vor Fanny, brach in entzückte Rufe über ihre Schönheit, ihren Charme und — „mon Dieu“ — über ihre
bezaubernde Figur aus. „Magnifique!“.
Mit spitzen Fingern wühlte er in Stoffballen, die überall auf Stühlen, Tischen und Kommoden ausgebreitet lagen. Stoffe, die Fanny bevorzugte, und aus denen Monsieur seine Wahl für das Kleid treffen sollte. Er entschloß sich für einen königsblauen Samt. Dazu kamen Bordüren aus geflochtenem Silber und hochhackige Schuhe aus silberdurchwirkter Seide.
Als Clou dieser „robe magnifique“ wollte er auf den üblichen Kragen aus Brüsseler Spitze verzichten und stattdessen etwas Einmaliges, Besonderes und Aufregendes applizieren: einen Kragen aus Leopard! Er sollte rundherum laufen und Schultern und Busen — „tres magnifique!“ — weitgehend entblößt lassen. Madame könne es sich leisten. Dann hörte man nichts mehr von Monsieur Legrand. Der Tag, an dem Fanny das Kleid tragen wollte, rückte näher. Zweimal schon war Mrs. Cole in der Werkstatt des Meisters gewesen, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Monsieur sei angestrengt bei der Arbeit und dürfe auf keinen Fall gestört werden, wies man sie ab.
Am Tage der Soiree erschien Monsieur Legrand gegen elf Uhr. Affektiert und gespreizt wie ein Lustknabe. Langsam und betont sorgfältig breitete er seine Schöpfung aus, streifte sie der Trägerin über. Das Kleid saß wie angegossen. Zwar schien Fanny das Leopardenfell recht ungewöhnlich — aber Monsieur Legrand diktierte die Mode. Seine Creationen, mochten sie noch so ausgefallen sein, machten Furore. Nicht weniger aber auch die Damen der Gesellschaft, die dieser allzu weibische Mann kleidete. Diese Robe zeichnete Fannys Kurven raffiniert nach, betonte sie und verriet mit der Andeutung interessanter Details einen vollendeten, begehrenswerten Körper. Sie betrachtete wohlgefällig ihr Spiegelbild, strich über den Samt, der den Busen gerade noch bedeckte, fühlte und sah die Spitzen der sanften, festen Rundungen wachsen — eine Regung, die sie verschüttet glaubte. Sie war’s zufrieden.
Lord Douglas war einer der ersten Gäste. Er brachte einen Freund mit, der seit einiger Zeit von sich reden gemacht hatte: den Maler Thomas Gainsborough. Galante Portraits, die er von den Damen des Hofes und der Gesellschaft malte, hatten ihm seinen Ruf eingetragen. Man buhlte um seine Gunst — galt es doch als besondere Ehre, von Gainsborough gemalt zu werden. Auch Fanny hatte von ihm gehört.
Allmählich füllte sich die Halle. Prominentester Gast war der Herzog D * * *. Mrs. Cole blieb es nicht verborgen, daß der Herzog Feuer fing, als er der schönen Gastgeberin gegenüberstand. Kann das ein Vorteil für Fanny sein oder das Gegenteil? fragte sie sich.
Es wurde ein reizender Abend. Für Fanny umso mehr, als