Die Ei-Geborenen. Michael H. Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael H. Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847698166
Скачать книгу
Stunden bereitete er die Maßnahmen des kommenden Tages vor und besprach sich mit dem imperialen Kanzler. Als alles vorbereitet war, nahm er sich die Zeit, sich in der Palastküche etwas zu Essen zu besorgen. Er schlang die Nahrung hinunter, ohne wahrzunehmen, was er da eigentlich aß. Seine Gedanken weilten bei Donderem-Vob.

      Donderem, dem Gefährten so vieler gemeinsamer Kämpfe. Donderem, dem Kaiser des Imperiums. Donderem, dem Freund.

      Densen seufzte. Es war nur recht, sich von dem alten Freund noch persönlich zu Verabschieden, bevor die Zeremonien einsetzten und Trauernde und Neugierige den toten Kaiser umgaben.

      Er wusste, dass man den toten Imperator in seinem Amtsraum aufgebahrt hatte. Seufzend setzte er den Helm der imperialen Garde auf und bemerkte, dass er die Feder noch nicht zum Zeichen der Trauer geknickt hatte. Als sei dies ein Symbol dafür, dass er sich mit dem Tod des Imperators nicht abfinden wollte. Seufzend zerbrach er die schwarze Feder und setzte den Helm wieder auf.

      Dann, endlich, machte er sich auf den Weg, sich von seinem Imperator und Freund zu verabschieden.

      Obwohl es Sommer war und die Sonne erst spät unterging, begann es inzwischen zu dunkeln. Vor dem Amtsraum des Imperators hielten Hermen und ein anderer Gardist die Ehrenwache. Hermen nickte seinem Hauptmann zu und öffnete die Tür.

      Inmitten des Amtsraumes, und der in den Boden eingelegten Karte des Imperiums, stand die Bahre mit dem Imperator. Densen hatte keinen Blick für die geschnitzten Einhörner, auf denen der Tote zu ruhen schien. Sein Blick galt Donderem, dessen Gesicht entspannt und friedlich wirkte.

      Der tote Imperator war in sein Festgewand gekleidet, mit imperialem Umhang und Schärpe. Densen war überzeugt, dass sein toter Freund lieber die Uniform der Lanzenreiter getragen und das Schwert in der Hand gehalten hätte. Aber die Regentin hatte anders entschieden.

      Der Hauptmann trat neben die Bahre des toten Freundes, berührte flüchtig die kalte Hand, die so oft ihr Schwert für das Imperium geschwungen hatte. Nun, als er die Kälte und Leblosigkeit der Haut spürte, konnte Densen sich nicht mehr beherrschen. Erst zögernd, dann ungehemmt, rannen Tränen über seine Wangen. Er hielt die Hand des Toten und vor seinem inneren Auge belebten sich die Bilder der Vergangenheit. Gemeinsame Ritte und Schlachten, die fröhlichen Feiern im Kreis der Freunde und Kampfgefährten, die langen Gespräche um die Zukunft des Imperiums… Die Bilder glitten dahin, und Densen glaubte, die vertraute Stimme Donderems zu hören, die ihm Trost zu spenden versuchte.

      Er hätte nicht zu sagen vermocht, wie lange er die Hand des toten Imperators hielt, bis er sich zögernd von ihm löste und zurücktrat. Tränen trockneten auf seiner Haut, während er Abschied nahm.

      Erst fiel es ihm nicht auf. Sein Blick glitt darüber hinweg und Densen wollte sich bereits abwenden, als er verharrte. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt, aber er konnte nicht bestimmen, was es gewesen war. Erneut musterte er den Toten, konzentrierte sich diesmal auf jede Kleinigkeit.

      Es war kaum zu bemerken. Aber Densen Jolas hatte den scharfen Blick eines erfahrenen Kämpfers und seine Augen verengten sich, als seine Blicke auf den Füßen des Imperators ruhten. Der Tote trug Riemensandalen und es war normal, dass sich diese Riemen gelegentlich etwas fester in die Haut pressten und Druckstellen verursachten. Aber was Densen nun sah, waren nicht die gewöhnlichen Druckmarken von Riemensandalen. Er wusste nicht, was es war, aber er spürte instinktiv, dass es von Bedeutung sein musste.

      Densen Jolas trat dicht an die Füße heran, seine Finger glitten forschend über die Riemensandalen. Da waren Abschürfungen, die es dort nicht hätte geben dürfen. Sie waren kaum zu sehen, aber sie waren da. Der Hauptmann leckte sich nervös über die Lippen. Die Abschürfungen glichen blutigen Striemen, aber es war kein Blut zu erkennen. Solche Striemen hatte Densen schon einmal gesehen. Damals hatte er einen gestürzten Lanzenreiter während des Gefechtes auf sein Einhorn gezogen. Seine Hand hatte sich um das Handgelenk des Mannes gekrallt und ebensolche Striemen verursacht.

      Aber diese Striemen lagen nicht um die Handgelenke des toten Kaisers. Sie waren nicht entstanden, als man ihn verzweifelt aus dem Bad gezogen hatte. Diese Wundmale befanden sich an den Fußgelenken und niemand zog einen Ertrinkenden an den Füßen aus dem Wasser.

      Vielleicht waren die Wunden entstanden, als man den Toten später aus dem Becken herauszog? Und wenn nicht?

      Densen spürte Hitze, die seinen Körper durchflutete. Ein entsetzlicher Verdacht drängte sich ihm auf. So furchtbar, dass er ihn von sich weisen wollte. Niemand konnte ein Interesse daran gehabt haben, den Imperator zu ermorden.

      Der Hauptmann dachte an Wilbur. Diesem zwielichtigen Mann würde er es zutrauen. Aber es hieß, die Hochgeborene Vob sei zugegen gewesen, als es geschah. Sollte die Witwe des Kaisers…? Das konnte, das durfte nicht sein.

      Densen Jolas stieß einen schweren Seufzer aus. Er war es seinem Freund schuldig, Gewissheit zu erlangen. Aber wie sollte das geschehen? Die Striemen konnten beim Versuch der Rettung des Imperators entstanden sein, doch ebenso bei seiner Ermordung.

      Er musste sich eingestehen, dass er zu wenig von solchen Wunden verstand, um ihre Ursache ergründen zu können. Zumal seine Stimme nur wenig Gewicht hätte, wenn sich sein Verdacht bestätigen würde. Er brauchte das Urteil eines Mannes, dessen Kompetenz nicht anzuzweifeln war. Es gab nur einen, der über jeden Zweifel erhaben sein würde. Der Kundige Soren, Leibarzt des Imperators und der Hochgeborenen.

      Densens Gesichtsausdruck war nicht zu deuten, als er, an den beiden Ehrenwachen vorbei, den Raum verließ und sich auf den Weg machte, Soren zu finden.

      Soren hatte als Arzt in einem kleinen Dorf begonnen und war schließlich dem Regiment des Kaisers beigetreten. Mit den 7ten Lanzenreitern hatte er vielfältige Erfahrungen in der Wundversorgung gewonnen.

      „Es gibt nichts, was die Kenntnis der Heilkunde rascher fördert, als die Wundversorgung im Krieg“, hatte Soren einmal erwähnt und er lag damit sicherlich nicht falsch. Die Kenntnisse der Anatomie lagen in der Öffnung des menschlichen Körpers begründet, und die Not des Krieges hatte viele Ärzte in der Behandlung der verschiedensten Verletzungen erfinderisch gemacht.

      Als der Kaiser das Regiment verließ, war Soren mit ihm gegangen. Inzwischen hatte er ein Wissen angesammelt, dass ihm zu dem Ehrentitel „Kundiger“ verhalf. Er lehrte an der Universität Newams und vermittelte seine Kenntnisse anderen Ärzten. Sein fachliches Urteil war über jeden Zweifel erhaben. Wenn jemand die Striemen an den Fußgelenken des Kaisers zu deuten wusste, dann dieser erfahrene Mann.

      Der Kundige Soren war in seinen Privatgemächern und blickte von einer alten Schriftrolle auf, als Densen an seiner Tür pochte und eintrat. Das Alter hatte seine Gestalt gebeugt und seine Haare Weiß werden lassen, aber seine Augen und sein Verstand waren scharf geblieben. Der Kundige trug die rote Robe seines Standes als Arzt und hatte zusätzlich eine rote Armbinde angelegt, die sich kaum von der Farbe seines Gewandes abhob.

      „Wir haben einen guten Freund und Imperator verloren“, sagte der Kundige leise und sah Densen mitfühlend an. „Wir fühlen denselben Schmerz, mein Freund.“

      Densen Jolas nickte und drückte die Tür in den Riegel. „Ein furchtbarer Badeunfall, nicht wahr?“

      Soren musterte sein Gegenüber und der Blick des Kundigen wurde nachdenklich. „Ich höre da eine merkwürdige Betonung in deiner Stimme, Hauptmann Jolas.“

      Densen räusperte sich nervös. Sein Verdacht war schrecklich und durfte nicht leichtfertig geäußert werden. Aber wenn ein Verbrechen verübt worden war, durfte es nicht ungesühnt bleiben. „Kundiger Soren, kann ich offen sprechen?“

      Soren wies auf eine der Liegen. „Wir waren beide bei den 7ten Lanzern, mein Freund. Du hast meinen Hintern vor der Streitaxt eines Walven gerettet und ich habe deinen Hintern genäht, als ein Pfeil ihn durchlöcherte. Eine seltsame Frage, Densen, mein Freund. Natürlich kannst du offen sprechen. Wie anders sollten alte Kampfgefährten miteinander verfahren?“

      „Kundiger Soren, ich möchte, dass du den Kaiser noch einmal genau untersucht.“

      „Das klingt jetzt sehr offiziell, Densen. Sprichst du als Hauptmann der imperialen Leibgarde oder