Die Ei-Geborenen. Michael H. Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael H. Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847698166
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sah die Große Mutter schockiert an. „Du denkst an ein Männchen?“ Die Hüterin des Eis schnaubte verächtlich. „Auch ein Männchen könnte sich nicht unerkannt bewegen. Es mag kleiner als eine Kriegerin sein, aber es ist zudem auch noch zu dumm, sich richtig zu verhalten.“

      Shanaii-Doras-Sha richtete sich auf und sah die Hüterin kalt an. „Hältst du deine Große Mutter für dumm?“

      „Natürlich nicht“, versicherte Nadaii. Ihre Kehle wurde dunkel vor Erregung. „Du willst wirklich ein Männchen mit einer solch wichtigen Aufgabe betrauen?“

      „Es wird nicht alleine sein. Eine deiner Klauen wird es begleiten und ihm notfalls beistehen. Aber ich will, dass die Klaue sich verborgen hält. Das Männchen soll Gelegenheit erhalten, sich unter den Säugern zu bewegen. Sie sollen es für harmlos halten und kein Misstrauen gegen es verspüren.“

      „Das werden sie nicht. Männchen sind harmlos.“

      „Nadaii!!“

      „Verzeiht, Große Mutter. Ich will nicht respektlos erscheinen, aber ich verstehe nicht, wie ein Männchen sich unter den Säugern bewegen können soll. Auch wenn es nur ein Männchen ist, werden sie es als Raan erkennen.“

      „Olud-Sha.“

      „Oh.“ Nadaii entblößte amüsiert die Reißzähne und kratzte mit dem Hinterbein. „Ja, den mögen sogar die Säuger für harmlos halten. Er ist sehr klein, harmlos und unbedeutend.“

      „Er ist sehr klein, aber keineswegs harmlos oder unbedeutend.“ Shanaii-Doras-Sha sah die Hüterin eindringlich an. „Wenn er es richtig anstellt, werden sie ihn für harmlos halten und bei sich dulden. Damit ist er von großer Bedeutung für das Volk der Raan, denn er wird meine Augen und Ohren sein.“ Ihr Blick wurde schärfer. „Und deine Klaue wird ihn schützen, Nadaii-Sha, Hüterin des Eis.“

      Nadaii ging unwillkürlich in die Ehrenhaltung über und präsentierte ihre Klaue. „Ich selbst werde die Klaue führen und Olud-Sha hüten.“

      „Nein, Nadaii-Sha. Du wirst deine Klauen auf den Tag vorbereiten, an dem wir, vielleicht, in das Land der Säuger vordringen werden. Du wirst deine beste Trägerin des Eis mit der Aufgabe betrauen. Du selbst wirst hingegen dafür sorgen, dass deine Klauen bereit sind, wenn das Blut sie ruft.“

      „So wird es geschehen, Große Mutter.“

      Nadaii war entlassen und sie drehte sich auf dem linken Hinterbein, bevor sie die Ehrenhaltung aufgab und die Räume Shanaiis verließ. Ihre Haltung war untadelig. Nur das nervöse Zucken ihres muskulösen Schwanzes verriet, dass die Kommandantin der Klauen in höchstem Maße irritiert war, dass einem unbedeutenden Männchen wie Olud-Sha eine so wichtige Aufgabe anvertraut wurde. Immerhin, das Männchen würde in Begleitung einer Klaue sein. Nadaii würde die besten Kriegerinnen aussuchen uns sie wusste auch, wer die Klaue führen würde. Es gab nur eine Kriegerin, der sie diese Mission anvertrauen würde.

      Anaii, Trägerin des Eis und Kommandantin der Blutklaue.

      Kapitel 6 Ein schrecklicher Verdacht

      Densen Jolas bemühte sich, langsam zu gehen, und ermahnte Hermen und den anderen Gardisten der imperialen Leibwache, seinem Beispiel zu folgen. Er konnte und wollte die Nachricht vom Tod des Imperators nicht glauben, obwohl es keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt von Hermens Botschaft geben konnte.

      Die Verlautbarungen des Imperators wurden auf den öffentlichen Plätzen des Imperiums verlesen, in jeder Stadt, und da das Imperiums groß war, dauerte es, bis die Worte des Kaisers in jeden Winkel seines Reiches gelangten. Das Gerücht vom Tode des Imperators verbreitete sich hingegen wie ein Lauffeuer. Je näher Densens kleine Gruppe dem imperialen Palast kam, desto deutlicher waren die Anzeichen, dass sich die Nachricht von seinem Tode ungebremst ausbreitete. Menschen standen in kleinen und großen Gruppen auf den Straßen, traten aus ihren Häusern, um sich anzuschließen, und jedes Mal, wenn Densen an den Menschen vorbei kam, warfen sie ihm besorgte Fragen zu.

      „Habt Geduld, Leute“, wiegelte der Hauptmann der Leibgarde ab. „Ich weiß auch nicht mehr, als ihr selber. Sollte dem Kaiser etwas Ernstes zugestoßen sein, wird der Hof es bekannt geben. Also, geduldet euch und wartet auf die offizielle Verkündung.“

      In der Straße zwischen Senatsgebäude und Palast kam ihnen eine halbe Schwadron der Leibgarde entgegen. Die Federn auf ihren Helmen waren geknickt und dies verriet Densen, dass es wirklich geschehen war. Der Kaiser war tot. Der kommandierende Offizier erkannte Densen und grüßte ehrerbietig. „Wir haben Befehl des imperialen Kanzlers, die Wachen zu verstärken. Kanzler Wilbur befürchtet Unruhe, wenn die Nachricht bekannt wird.“

      „Offensichtlich verbreitet sich die böse Kunde schon“, brummte Densen. Er sah den Offizier betrübt an. „Dann ist es also wahr? Donderem-Vob ist tot? Wie konnte das geschehen? Vor wenigen Stunden sprach ich noch mit ihm.“

      „Ein verhängnisvoller Unfall, Hauptmann“, erwiderte der Mann leise. „Ich weiß selbst nicht genau, was geschehen ist. Man sagt, Ihre Imperialität sei in Gegenwart der Hochgeborenen Vob verstorben. Man wird es dir sicher sagen, du bist ja der Hauptmann der Garde. Der Kanzler schickt schon nach den Mitgliedern des Senats. Glücklicherweise sind sie alle in der Stadt, da es morgen eine wichtige Versammlung geben sollte.“

      Densen nickte den Männern zu und eilte dann, im Gefolge von Hermen und dem zweiten Gardisten, durch das Haupttor des Palastes auf den mit Kies bestreuten Weg, der zum Hauptgebäude führte. Auch hier standen Gardisten und Angehörige des Hofes und tuschelten miteinander. Auch hier sah man die zum Zeichen der Trauer geknickten Federn der Helme. Die Männer und Frauen des Hofes hatten sich rote Stoffstreifen um die Oberarme gebunden. Das Symbol stand für vergossenes Blut und die damit verbundene Trauer, doch es wurde ebenso verwendet, wenn eine Krankheit oder das Alter das Leben einer wichtigen Persönlichkeit gefordert hatten. Donderem-Vob war jedoch nicht krank gewesen und sicher ebenso wenig altersschwach. Densen Jolas spürte tiefe Sorge und Trauer in sich, aber er konnte sich jetzt nicht die Zeit für Gefühle nehmen.

      Die Sohlen seiner Riemensandalen klatschten laut in den marmornen Gängen des Palastes. Einer der Diener eilte auf ihn zu. „Ihre Imperialität erwartet dich im Privatbad, Hauptmann.“

      „Ihre Imperialität?“ Für einen Augenblick war Densen verwirrt, hoffte, das Gerücht sei falsch, und Donderem-Vob werde ihn munter und neugierig erwarten. Dann begriff er, dass der Bedienstete die Hochgeborene Witwe meinte, die nun Donderems verwaisten Platz einnehmen würde. „Du meinst die Hochgeborene Vesana-Vob?“

      Er betonte seine Worte, um zu betonen, dass die Witwe des Imperators noch nicht an dessen Stelle getreten war. Sie würde es tun, aber noch war das nicht der Fall, und in Densen regte sich Widerstand, in der jungen Frau die künftige Herrin des Imperiums zu sehen.

      Der Hauptmann bemerkte den unsichern Blick des Mannes. „Es ist gut“, sagte er leise. „Ich kenne den Weg.“

      Er wollte diese Schritte alleine zurücklegen, ohne die neugierigen Blicke des Mannes zu spüren. Die Freundschaft des Imperators mit seinem Hauptmann der Leibgarde war allgemein bekannt. Ebenso Densens Zurückhaltung der Hochgeborenen Vesana-Vob gegenüber. Je näher er dem Privatbad kam, desto bewusster wurde es Densen, dass es nun Veränderungen im Imperium geben würde. Vielleicht sogar gravierende Veränderungen, denn Vesana-Vob würde den Kaiser niemals ersetzen können. Ja, sie mochte seinen Thron einnehmen, aber die Weisheit des alten Kämpfers würde ihr fehlen.

      Eine gemischte Gruppe aus Gardisten und Hofangehörigen drängte sich vor der Doppeltür des kaiserlichen Privatbades. Als sie den Hauptmann erkannte, öffnete man rasch die Tür. Densen trat ein, bemüht, um seine Fassung zu ringen, als die letzten Zweifel, von einer irrationalen Hoffnung genährt, beim Anblick Donderem-Vobs schwanden.

      Der Raum war groß und durch die gläserne Kuppel von Licht überflutet. Palmen waren entlang der Wände gepflanzt und ein Teil des Bades mit weißem Sand ausgestreut. Liegebänke luden zur Entspannung ein. In der Mitte befand sich das ovale Becken aus blauem Marmor. Goldene Wasserspender, in der Form von